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Hat jemand eine Ahnung? Wo sind die Werkzeuge, welche Rolle spielt der Zufall, ist Angst ein Antrieb, braucht es die Störung, was gilt es zu verteidigen? Ist das Glück eine launische Hure? Es ist ein Boojum, nicht wahr? «Mit Seife und Gabeln» ermittelt aus gegenwärtiger Perspektive soziale, politische und kulturelle Bedin- gungen für Glück. Parallelerzählung und konzeptionelle Blaupause bilden Motive aus «The Hunting of the Snark», Lewis Carrolls absurdem Versbericht aus dem Jahr 1876 über eine Handvoll unglücklicher Glück- suchender. Die als «Agonie in 8 Krämpfen» untertitelte Erzählung stellt die individuelle Herangehensweise an diese Suche ins Zentrum. Gefahndet wird nach dem Snark – doch wehe dem, der ihn findet, denn dieser könnte sich als Boojum entpuppen. Carroll beäugt das geschäftige Streben nach Glück mit Ironie und im Geist des Existenzialisten: mit Blick auf der Suche einzig gewisser Erfüllung – dem Tod. Das Diktum, wir seien alle auf der Suche nach dem Glück, korrumpiert und bindet den Glücksbegriff an rationale Zwecke. Die Flut konsumistischer Happiness-Konzepte bedient sich seiner und setzt ihn an die Stelle konkreter menschlicher Bedürfnisse wie Freiheit oder Gesundheit. Das Glück aber ist rebellisch, es widersetzt sich der Regung, konservativ zu werden, seine Beschaffenheit bleibt liberal und unscharf, seine Anwesenheit flüchtig. Treu der etymologischen Wortbedeutung, zeigt sich ein Gelücke nicht selten erst retrospektiv. data | Auftrag für parasitäre Gastarbeit beschäftigt sich seit 2003 mit Ermittlungen über das hartnäckig- formidable und kreative Potential des parasitären Prinzips. Das Parasitäre Prinzip bezeichnet die erforschte und zugleich praktizierte Arbeitsweise des Duos und dient als Werkzeug des künstlerisch- theoretischen Intervenierens in zeitgenössische Kontexte. Von 2007 bis 2010 koppelte data in einem mehrteiligen Werkkomplex über Glück gesellschaftliche Erkundungen an einzelne Motive aus «The Hunting of the Snark». Dieser Komplex bildet das konzeptionelle Fundament der Ausstellung, die in Kunstraum und Tiefparterre dreißig medial heterogene und in größerer Zahl spezifisch entstandene Arbeiten versammelt. In Gesellschaft von Künstlerinnen und Künstlern aus der Schweiz sowie aus Deutschland, Österreich, Kroatien und den USA beschließt data | Auftrag für parasitäre Gastarbeit seine Ermittlungen zum Glück und bündelt die Kräfte... «Mit Seife und Gabeln» präsentiert weder Ansichten von Glückseligkeit noch Wege ins Glück. Vielmehr tastet jede Position mit Eigensinn im Halbdunkel nach einer Lücke. Es werden Störungen und Zufälle manifest und, dass wir nur im Unglück alle gleich sind. Auch Carrolls jagender Schiffsbesatzung ergeht es nicht anders. Doch mitunter schimmert durch die Luke – auch deren Sprachwurzel liegt im Gelucke – die Ahnung, dem Glück hafte wohl etwas Transzendentes an. Während Bettina Carl zeichnerisch subjektive und kollektive Jugenderinnerungen schürft und abgleicht und eine Reflexionsebene erschafft für Sehnsüchte, die den Blick zurück nach vorne ausrichten, umreißt dagegen der Zürcher Künstler Beat Füglistaler mit hartem Strich ein absolut Gegenwärtiges. Unserem unbeirrbaren Hoffen auf das herannahende Glück verpasst er mit der Präzision des Minimalisten einen bissigen Seitenhieb. In der Videoprojektion «Die Taube hat sich geirrt» führt Ursula Palla subtil und mit gewohnt hohem ästhe- tischen Anspruch wesentliche, auf Angst und Freiheitsverlust gründende Machtverhältnisse vor. Schafft das Symbol des Friedens aus eigener Kraft den Neustart? An die Agonie, eindeutige Glücksstrategien zu entwerfen, knüpft Franz Gratwohl mit «Humanizer» aus dem Jahr 2000 an. Ungewiss bleibt anhand seiner Videobilder, ob die gefangene Motte durch das Glück der Freiheit nicht geradewegs in ihr Verderben flöge. Inwiefern alltägliches Glück gezielt stimuliert werden kann untersucht das seit 2006 in den G8+5- Mitgliedstaaten durchgeführte Experiment «The One Hundred Dollar Project» der in New York lebenden Multimediakünstlerin Elisabeth Smolarz. Die jeweils frontal ausgerichtete Kamera registriert das aufeinan- dertreffen von Personen, die sich für einhundert US-Dollar für eine Stunde an einen Ort einfinden, und was aus dieser unverhofften Interessensgemeinschaft erwächst. Glück ist...ein Lottogewinn. Die Frage nach der materiellen Beschaffenheit subjektiven Glücks umtreibt den 1982 geborenen Sebastian Schaub. Ironisch unterstreicht sein Gewinnerlos, dass die Verfehlung des Glücks weitaus mehr Potenz besitzt. Um die Hoffnung, der Glückszufall möge berechenbar sein geht es auch in der Arbeit «Inside Schrödinger’s Box» der Gebrüder Bühler, mit der sie ein gleichnamiges Gedanken-Experiment in der Quantenmechanik zitieren. Es handelt sich dabei um eine geschlossene Box, deren Inhalt eine Katze ist. Abhängig vom Zustand in dieser Box ist die Katze lebendig oder tot. Um zu erfahren wie es um die Katze steht, müsste jedoch die Box geöffnet und somit das Experiment frühzeitig beendet werden. Auch Andy Storcheneggers Installation hält mithilfe einer Katze jenes Kippmoment fest, da im Verlangen nach dem Maximum das Streben nach Glück aus dem Ruder läuft. «Vom Glück übermannt» und spottend widersetzen sich die gravitätischen Kräfte. Reizvoll an solchem Mutmaßen über das Herbeiführen eines Glückszufalls ist weniger die demokratische Komponente dieses Glücks, dass der Zufall schließlich jeden treffen kann, als vielmehr die Verzweiflung des Menschen an seiner Hoffnung bei gleichfalls irrationalem Glauben an die Richtigkeit des Spiels in Augenblicken da ihm Glück als greifbare Materie erscheint. Normen und Formen sozialer Verantwortung gebieten political correctness und bezähmen gewaltförmige Ausbrüche. Als Cinemascope in Öl hält der in Australien aufgewachsene und heute in Luzern lebende Edward Wright das Glück zwischen Spiel und Gewalt fest. «Punchy Feely» und «Friendshit» benennen das Unberechenbare, derweil der Künstler die Gefühlsbewegtheit seiner Protagonisten gleich einem Dompteur in ein grafisches Raster zwingt. Das Glücksmoment als Gesellschaftskonstruktion liegt auch jenem utopischen Konzept zugrunde, dem sich Damir O!ko annähert. Der kroatische Künstler greift eine Vision des russischen Komponisten und Künstlers Alexander Scrjabin auf, dessen nicht vollendetes Opus Magnum aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts ein synästhetisches Multimedia-Mysterium entwirft, ein Gesamtkunstwerk aus Sprache, Klängen, Farben, Gefühlen und Bewegung, gefasst in eine mobile, kristallförmige Architektur. Dem Höhepunkt dieser Apokalypse, einer Symbiose aus Ritual und Drama in der sich alle Künstler dieser Welt vereinigt hätten, widmet sich die filmische Installation «The Age of Happiness». In der vollkommenen Ekstase ersehnte Scrjabin die fundamentale Erneuerung der mensch- lichen Existenz: keine Zuschauer mehr – nur noch Beteiligte. Eine Nähe zu dieser Glücks-Vision sucht Benjamin Eggers zur Eröffnung am 15. Januar uraufgeführte Performance «Spectral Revolution». Zu unmittelbarer Partizipation mit mehr Bodenhaftung fordern die «Chance Buttons» des Berliner Künstlers Rüdiger Schlömer auf. Seine ortsspezifische Intervention »Happy ParaSite« wird am 12. Februar mit Sicherheit reale Spuren in Kreuzlingen hinterlassen. Die gleichnamige Publikation verschafft dem Gesamtkonzept «Mit Seife und Gabeln» einen weiteren Horizont und Mobilität, die hinsichtlich des geplanten zweiten Ausstellungsorts in Berlin mit acht Positionen aus der Schweiz besonders wirksam wäre. Das Zentrum der Publikation bilden Statements und Interviews mit den Künstlerinnen und Künstlern über den Stellenwert des Glücksbegriffs innerhalb der künstlerischen Tätigkeit. Umgeben ist dieses Material von vertiefenden Textbeiträgen sowie einem bebilderten Werkkatalog. Ihr Erscheinen im Verlag Revolver Publishing wird am 27. Februar zum Ab- schluss der Ausstellung mit dem Auftritt der Band Me and The Minimes um die im Kunstraum Kreuzlingen mit zwei Werken vertretene Künstlerin Silvie Zürcher gefeiert. Weitere Veranstaltungen innerhalb der Ausstellung «Mit Seife und Gabeln» sind die Interviewführung vom Sonntag den 23. Januar mit sechs Künstlerinnen und Künstlern, moderiert von data | Auftrag für parasitäre* Gastarbeit, sowie «Die Entsendung», eine parasitär angelegte Intervention am Bodensee zum Auftakt von «Happy ParaSite».

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Mit Seife und Gabeln
Eine Ausstellung zum Glück.
Kuratoren: data / Auftrag für parasitäre* Gastarbeit (Daniela Petrini, Tanja Trampe)

Künstler: Klara Borbely, Bettina Carl, Eggerschlatter , ekw 14,90 , Fawzy Emrany, Beat Füglistaler, GBC Gebrüder Bühler , Franz Gratwohl, Gabriela Gründler, Andrea Heller, Patricia Jacomella, Andrina Jörg, Sandra Knecht, Pascal Lampert, Anne Lorenz, Sonja Lotta, Andreas Marti, Damir Ocko, Ursula Palla, Sebastian Schaub, Rüdiger Schlömer, Nadja Schöllhammer, Martin Senn, Elisabeth Smolarz, Andy Storchenegger, Marion Strunk, studio A , Lex Vögtli, Edward Wright, Silvie Zürcher