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Eröffnung: 14.09.2007, 19:00 Uhr

Martin Kippenberger, einer der wichtigsten Künstler des späten 20. Jahrhunderts, faszinierte und polarisierte gleichermaßen Zeit seines Lebens. Der 1997 verstorbene Kippenberger war rebellisch und rotzig, unbelesen und, wie er selbst meinte, „un-verbildet“, süchtig nach Menschen und Alkohol, Mau-Mau und Nudelauflauf, nach Liebe und guter Kunst. Er kommentierte, redete pausenlos, war scharfsinnig und sehr klar in seinem meist vernichtenden Urteil. Sein Hang zur Selbstdarstellung, sein Ich stehen nicht nur oft im Mittelpunkt seiner künstlerischen Arbeit, sondern sind auch häufig Thema seiner Ausstellungen. Doch Kippenbergers Kunst birgt weit mehr als egozentrische Elemente, sie ist auch gespickt mit humanen Botschaften und moralischen Aufrufen. Er, der sich selbst als „Menschengärtner“ bezeichnete und als großer Aufklärer verstand, glaubte auch an das Gute im Menschen und die Verbesserung der Welt.

Hier setzt auch die Ausstellung Modell Martin Kippenberger. Utopien für alle im Kunsthaus Graz an. Sie versteht den Künstler als „Weltverbesserer“ und nimmt seinen überaus scharfen Blick für Strukturen, Machtverhältnisse und Tabus ernst. Kippenbergers Vorstellungen eines Künstlers als Produzent, Kurator und Vermittler, der sich kreativ am Mitgestalten der Gesellschaft beteiligt, können als pragmatische Fortsetzung von Joseph Beuys sozialer Skulptur verstanden werden und entwickelten sich im Bewusstsein einer 1968er-Generation, die ernüchtert feststellen musste, dass sich die Zeiten grundlegend geändert und sich die großen Utopien überlebt hatten. Insofern waren seine Utopien für alle weniger zukünftige als ständig angewandte, in deren Zentrum der Raum als Stätte der Vermittlung und des Austausches stand. Durchgespielt wurde eine Utopie der Alternative, die sich in architektonischen Skulpturen und Publikationen, Ausstellungen und Menschenkonstellationen niederschlug.

Nachdem Werk und Person bis zum verfrühten Tod kontrovers bis ablehnend beurteilt wurden, setzte nach 1997 eine beispiellose Anerkennung durch die Institutionen, die Kritiker und den Kunstmarkt ein. Zu diesem Erfolg trug nicht zuletzt eine junge Generation von Künstlerinnen und Künstlern, von Kuratorinnen und Kuratoren bei, die in diesem Werk ein Modell für ihre eigene Arbeit und die Möglichkeiten von Kunst heute erkannte. Wie kaum ein andere Künstler seiner Generation hat Martin Kippenberger ein dichtes und weitreichendes Netzwerk geknüpft, um Menschen, Formen, Geschichten, eigene Werke und Arbeiten Dritter in Beziehung zu setzen, um sich die Welt als Ort voller Möglichkeiten zu gestalten und offen zu halten.

So ist es ist nicht bei einem einzigen Werkstrang geblieben, den der Künstler über Jahre hinweg verfeinert und durchgesetzt hat. Vielmehr betrieb er mehrere Werkstränge gleichzeitig und in gegenseitiger Abhängigkeit, nicht zuletzt um medienspezifisches Arbeiten zu hinterfragen. Neben Malerei, Skulptur und Installationskunst betrieb er auch eine enorme Multipleproduktion, produzierte über hundert Künstlerbücher, nahm sich der Poesie an, gestaltete schier unzählige Plakate und Einladungskarten, gab Singles heraus, kuratierte Ausstellungen, realisierte Grafiken, führte Schauspielkunst auf, gab Vorträge, tanzte und erzählte Geschichten.

Dabei ist ein zuweilen irritierender und komplexer Werkkörper entstanden, von dem viele dachten, dass er nicht von einem, sondern mehreren Künstlern stamme. Der Eindruck war nicht ganz falsch, weil Kippenberger nicht zwischen seinen Arbeiten und den Werken Dritter unterschieden hat. Als berühmtestes Beispiel sei hier die Tischskulptur Modell Interconti genannt, für die Kippenberger als Tischplatte ein graues abstraktes Originalbild von Gerhard Richter verwendet hatte. Wie kaum ein Künstler vor ihm hat Kippenberger also auf die Idee verzichtet, sein Werk zum einfach erkennbaren Markenzeichen seiner Künstlerexistenz aufzubauen. Er hat vielmehr mit dieser romantischen Vorstellung gespielt, sie unterlaufen – und doch daran geglaubt, dass die Figur des Künstlers heute noch Bedeutung hat.

Genau diese Verbindung von heiligem Ernst, totaler Skepsis, Sinn für den Zufall und beißendem Witz machte ihn für viele suspekt – und für eine junge Generation zum Modell. Mit Überzeugung ging Kippenberger das absolut kalkulierte Risiko ein, dass etwas daneben gehen konnte, dass es verstanden wurde, oder nicht. Diese Haltung, die dem Werk zu Grunde lag und die es bis heute vermittelt, ist in einer Zeit wie der jetzigen von Bedeutung, in der das Streben nach Sicherheit, Abgrenzung und Erfolg den primären und gesellschaftlich normierten Erfahrungshorizont darstellt.

Gerade im Falle von Kippenberger und Graz lässt sich eine weitere zukunftsweisende und bis heute aktuelle Arbeitsweise Kippenbergers nachvollziehen, nämlich das ortspezifische Arbeiten. Diese beruhte zwar – wie so oft bei Kippenberger – letztlich auf einem produktiven Missverständnis, was jedoch dem Resultat keinen Abbruch tat. Wo immer er hin kam, tat er alles, um sich in das lokale Gefüge und Künstlermilieu einzubringen, ob in Los Angeles, Berlin, New York, Köln oder St. Georgen. Heute lässt sich sagen, dass Graz neben Köln zu den wichtigsten und fruchtbarsten Plattformen seines Schaffens gehörte, weil er dort auf Leute traf, die bereits früh den Wert und die Radikalität seines Tuns erkannten. Dazu gehörten Jörg Schlick, einer der engsten und wichtigsten Kollaborateure und Freunde, der Schriftsteller Wolfgang Bauer, die Galeristen Aki und Gabriella Bleich-Rossi, aber auch die Institutionen steirischer herbst, Forum Stadtpark, die Lord Jim Loge, Artelier und die Zeitschrift Camera Austria. Seite 3/3

Das Überraschende dabei war, wie Kippenberger die eigene zur allgemeinen Situation machte, wie er lokale Momente transformierte und das Ortspezifische zum Exemplarischen erhob, damit es auch in New York verstanden wurde. Was natürlich nicht immer klappte, das heißt, es wurde zu Lebzeiten öfter nicht verstanden, jetzt aber durch die verstärkte Auseinandersetzung öfter doch.

Mit diesem Fokus macht die Ausstellung Modell Martin Kippenberger. Utopien für alle nicht nur ein Stück jüngerer Grazer Geschichte zugänglich, sondern sie präsentiert ein zukunftsweisendes Modell künstlerisch-gesellschaftlichen Engagements, das den Künstler in die Reihe großer Vorbilder wie Andy Warhol, Joseph Beuys und Marcel Broodthaers stellt.

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Modell Martin Kippenberger
Utopien für alle
Kuratoren : Peter Pakesch, Daniel Baumann