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Am Freitag, den 24. Juni, eröffnen wir die Ausstellung "Die Geister mögen das Flanieren" von Nairy Baghramian (geb. 1971). Nach ihrer ersten Ausstellung in der Galerie Christian Nagel, Berlin, ist dies ihre erste Einzelausstellung in Köln.

Nairy Baghramians Installation besteht aus Stahlrahmen, Pergolas, Fotografien und versetzten Wänden. Die einzelnen Teile der Installation und die Blickwinkel des Betrachters schieben sich dabei nicht nur auf formaler Ebene ineinander, im dialektischen Spiel von Körper und Objekt verschieben sich auch die Ebenen zwischen Kunst, Ausstellungsraum und Betrachter. Damit werden die Rahmenbedingungen des Betrachtens selbst und die damit verbundenen kunsthistorischen Modelle zur Diskussion gestellt. Der Wechsel von Blockade und Durchlässigkeit, mit der Baghramian dabei vorgeht, sowie die formale Präzision der Installation erzeugen eine selten elegante Leichtigkeit.

Um die Angst vor dem Ungebetenen

habe ich mir Gedanken gemacht, als ich mich für einige Monate, quasi unfreiwillig, weil aus monetären Gründen heraus, in einer seltsamen Wohnung einquartiert sah. Ich sollte Blumen gießen und so in Abwesenheit der Wohnungsbesitzerin meine Miete erwirtschaften.

Insgesamt stellte der Grundriss dieser Wohnung ein L dar. Von der Eingangstüre aus trat man in einen sehr schmalen Flur, von dem eine winzig kleine Küche rechter Hand und ein mittelgroßes Zimmer linker Hand abging. Der Flur endete in einem Durchgangszimmer, ebenfalls rechter Hand, welches den Übergang zum Schlafzimmer darstellte. Ich konnte nur schwer verstehen, warum um alles in der Welt dieser Spiegelschrank, der als Garderobe dienen sollte, nun ausgerechnet in diesem viel zu engem Flur, gegenüberliegend zur Küchentür, platziert worden war. Meiner Meinung nach störte er, wie er da so alleine, dreieckig, säulenartig vom Boden zur Decke ragte. Als Gast erschrak man vor sich selbst, denn bekam man die Tür aufgemacht, sah man sich prompt und unerwartet verdoppelt in einer der beiden Spiegeltüren. Wollte man die Wohnung weiter betreten, musste man sich schlank machen, um sich seitwärts an der Spitze des Dreiecks, die der Schrank mit seinen beiden Spiegeltüren bildete, vorbeidrücken zu können. Eine wenig einladende Form, eine Wohnung zu betreten. Umgekehrt aber war es beim Verlassen dieser Wohnung nicht möglich, einen gesamtgültigen Eindruck des eigenen Aussehens zu gewinnen. Ein Aspekt, der ja eine logische Erklärung für die ungünstige Platzierung dieser Garderobenvariation hätte sein können. Die Spiegelflächen der Türen fielen so schmal aus, dass es keinem erwachsenen Menschen möglich war, sich in seinem ganzen Umfang in ihnen zu sehen. Darüber hinaus fehlte der nötige Abstand auf Grund der Flurlänge und Breite, um jemals eine Ganzkörperdarstellung von sich selbst gewinnen zu können.

Als ein Gast eines morgens aus der Küche in das Schlafzimmer rief, ob ich Tee oder Kaffee wünsche, und mein Blick aus dem Bett auf den ihm gegenüberliegenden Spiegel fiel, erschrak ich zunächst zutiefst, eben diesen darauf abgebildet zu finden. Ich konnte erstaunlicherweise aus dieser Position, in der ich mich befand, im Bett liegend, den Gast in der Küche, die ja um die Ecke lag, bei seiner Tätigkeiten beobachten. Der Eckschrank spiegelte ihn zum Schlafzimmerspiegel zurück. Die Spiegelschrankinstallation war also kein Zeichen von Gleichgültigkeit in Bezug auf die Welt der Dinge, mit denen man sich umgibt. Im Gegenteil diente sie einem genau kalkulierten Ein- und Überblickssystem zur Beobachtung und Kontrolle der Geschehnisse, die in dieser Wohnung stattfanden, beziehungsweise stattfinden könnten. Natürlich war es so auch möglich, von der Küche aus über den dreieckigen Spiegelschrank reflektiert zu beobachten, was sich im Durchgangszimmer und im Schlafzimmer abspielte. Und so erschrak mein aufmerksamer Gast nicht minder, mich von der Küche aus gespiegelt im Bett liegen zu sehen.

Da die Wohnungsbesitzerin, eine allein stehende Dame mittleren Alters, wenig Gesellschaft pflegte und es darüber hinaus auch keine Kinder oder Haustiere gab, die es, wie es zumindest die bürgerliche Gesellschaft ja so liebt und glaubt, stetig zu beobachten gilt, liegt der Schluss nahe, dass hier eine gewisse Furcht vorherrschte, etwas, jemand, Mäuse, Einbrecher, etc., schlichtweg Körper und Vorstellungen von möglichen Körpern könnten in die Wohnung eindringen und sich hier irgendwie breitmachen. Das System der Spiegel diente dem Erkennen und Ertappen dieses möglichen, ungebetenen Daseins.

Ferner ist anzunehmen, dass sich die Dame in einem gewissen Vorteil zu ihren Befürchtungen wähnte. Schließlich konnten all die möglichen, unerwünschten und ausgeladenen Vorstellungen nicht damit rechnen, dass sie unter ständiger Beobachtung stehen. Aus ihrer Perspektive betrachtet ging es nicht nur um Überblick, sondern auch um Bewegungsfähigkeit und Schnelligkeit in Bezug auf die Frage des Ertappens beziehungsweise des Erkennens von Geschehnissen, die man aus dieser Wohnung draußen halten muss. Die Kontrolle über die Wohnung kann als stabil erlebt werden, da durch die Idee der Errichtung eines Spiegelkabinetts nichts passieren kann, was sie von hinten her zu überraschen in der Lage wäre – so weit einerseits!

Andererseits sind all die ungebetenen Vorstellungen in zeitlicher Hinsicht in einem ganz anderen Vorteil zur Dame: Da sie bereits gedacht und beobachtet werden, ohne überhaupt körperlich anwesend zu sein, sind sie nie weg, sondern immer da, auch wenn sie sich niemals zeigen werden in der Wohnung. Möglicherweise ist das Ungebetene nicht schneller – aber es hat den Vorteil, selbst in seiner Abwesenheit anwesend zu sein. Dieses Phänomen gibt dem ungebetenen Körpern also eine ganz andere Bewegungsmöglichkeit – sie lassen sich erst gar nicht draußen halten aus dieser Wohnung, weil sie immer bereits da sind und so können sie sich überallhin ausbreiten, kommen durch jede Lücke und durch jede Wand. Die Wohnung der Dame hat durchlässige Wände! Jede einzelne der vier Wände ihrer Zimmer wird so zur Projektionsfläche.

Vielleicht gibt es hier eine Nähe zu der Vorstellung jener vierten Wand, die wir im Kino oder Theater imaginieren, und auf der das Geschehen, der Film, das Stück abläuft. Wenn man über diese vierte Wand nachdenkt, dann fällt auf, dass der/die BetrachterIn durch sie vom Geschehen gleichzeitig aus - und eingeschlossen wird. Diese vierte Wand ist beweglich und konstruierbar, an ihr bleibt viel haften und sie hält gleichzeitig einiges ab. Einerseits kann man als Publikum nie wirklich Teil des Geschehens beziehungsweise des Bildes sein, das man auf und an dieser vierten Wand verfolgt. Diese Handlungen, Blickregime und Bilder werden in einem Raum entwickelt, inszeniert und gespielt, der hinter der vierten Wand liegt. Es schaut oder spricht uns da ja eigentlich keiner der Darsteller wirklich an und trotzdem nehmen wir Kontakt auf, indem wir die Darsteller zurück beobachten und mitmachen, Lachkrampf haben, Weinen – das ganze Programm. So ist man dann wiederum nicht draußen aus dem Geschehen, sondern erlebt ein „im Film-Sein“, einen „Film-haben“, drauf sein ...

O.K. die Dame hat also einen Film – von mir aus – den Film, auf dem die Dame ist, könnte man aber auch gesamtgesellschaftlich deuten. Das angeblich souveräne Blickregime, das die Dame in der Wohnung zu etablieren versucht, folgt der Idee des Abhaltens durch Beobachtung. Nur – die Gespenster, die man so abhalten will, sind immer schon da und lieben das Flanieren.

Judith Hopf

Pressetexte

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Nairy Baghramian "Die Geister mögen das Flanieren"