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Noch vor Eröffnung des Kunstmuseum Wolfsburg wurde die Bipolarität von Sammlung und Ausstellung als zentraler Aspekt der Museumskonzeption festgeschrieben. Neben der Organisation einer Vielzahl von Ausstellungen stellte das Kunstmuseum das Wachsen seiner Sammlung regelmäßig in der Ausstellungsreihe Tuning up #1-5 vor und setzte die Reihe der Sammlungs-ausstellungen seit 1999 mit der Reihe der Updates fort. Es gehörte zur Strategie des Hauses, sich in monographischen Ausstellungen ausführlicher mit einzelnen Künstlern der Sammlung auseinander zu setzen. Arbeiten Neo Rauchs wurden erstmals 1999 im Kunstmuseum Wolfsburg im Rahmen der Ausstellung German Open: Gegenwartskunst aus Deutschland präsentiert. Bereits kurz vor der Ausstellung wurde das erste Werk Neo Rauchs für die Sammlung des Hauses erworben. Drei weitere Erwerbungen folgten bald darauf. Somit ist das Kunstmuseum Wolfsburg das erste Museum in den alten Bundesländern, welches Werke von Neo Rauch in seine Sammlung aufgenommen hat. Seitdem wurden seine Arbeiten immer wieder in mehreren Themen- und Sammlungsausstellungen präsentiert: Monumente der Melancholie (2003), Treasure Island: 10 Jahre Kunstmuseum Wolfsburg (2004) und Generation X: Junge Kunst aus der Sammlung (2005).

Die Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg ist die größte Einzelpräsentation des Künstlers, die es je in einem Museum gegeben hat. Sie vereint etwa 80 Gemälde und eine Skulptur und wurde in enger Abstimmung mit dem Künstler konzipiert.

Neo Rauch wurde 1960 in Leipzig geboren. Er studierte bei Arno Rink, dessen Assistent er später wurde. Rauch wurde nach der Wende schnell zu einem der bedeutendsten Künstler seiner Generation, der in einer Vielzahl von Gruppenausstellungen vertreten war. Er bevorzugt große Formate, und seine meist matt-farbigen Bilder sind vom Surrealismus und der visuellen Sprache der Comics beeinflusst, immer figürlich und mit Menschen bevölkert, die emsig rätselhaften, undefinierbaren Arbeiten in postindustriellen Landschaften nachgehen.

Rauch schöpft aus dem Bilderschatz früherer Zeiten. Anklänge an den Realismus - sowohl aus der "hohen" Kunst wie auch aus der werblichen Grafik – sind unübersehbar. Den Betrachter erinnern die freundlichen, roboterhaft agierenden Figuren jedoch gleichermaßen an Vorbilder aus der amerikanischen Werbebranche der 1950er und 1960er Jahre. Rauch nutzt das Repertoire der unbewussten und damit latenten Zeichensprache ganz ohne Attitüde, um neue rätselhafte Szenerien zu konstruieren. Die Elemente seiner Bilder sind symbolisch stark aufgeladen. Die merkwürdig unzeitgemäßen Gegenstände, mit denen seine Figuren hantieren, scheinen aus einem skurrilen Theaterfundus zu stammen. Zuweilen schwanken diese Gegenstände stark in ihrem Maßstab, scheinen nicht zu den Größenverhältnissen des bildnerischen Personals zu passen und werden so zu surrealistischen Utensilien, märchenhaft und voller Rätsel. Die Szenerien gemahnen an Träume, und Rauch selbst konstatiert: "Für mich bedeutet Malen die Fortsetzung des Traums mit anderen Mitteln."

Hauptkriterium für die Auswahl der Werke war der Stellenwert der einzelnen Arbeiten innerhalb des Œuvre, d.h. die ausgewählten Werke repräsentieren wesentliche Abschnitte im Werk von Neo Rauch und lassen damit die Werkentwicklung in ihrer Kohärenz und Vielschichtigkeit nachvollziehbar werden. Unter diesen Arbeiten werden auch erstmals ausgesprochene Großformate sein, ein absolutes Novum im Œuvre Neo Rauchs, das den singulären Charakter dieser Ausstellung zusätzlich unterstreicht. Markus Brüderlin, der Direktor des Kunstmuseum Wolfsburg, führt im Katalog aus: "Der forcierte Illusionismus Rauchs, der sich von der Abstraktion absetzt, korrespondiert auf eigentümliche Weise mit einer epochalen Wende in den Wissenschaften, die seit einigen Jahren unter dem Begriff des 'Iconic Turn' von sich reden macht und die den sprachwissenschaftlichen Strukturalismus, der den Kunstdiskurs lange Zeit beherrschte, ablöst. Der Wandel von der textbasierten Informationsgesellschaft des Gutenberg-Zeitalters zur mehr bildvermittelten Gesellschaft der digitalen Medien findet in der Bildlichkeit von Neo Rauch einen starken Verbündeten. Auf die Grundfrage "Was ist ein Bild?“ liefert seine Kunst die vielfältigsten Antworten."

In Neue Rollen, einem der komplexesten Bilder der letzten Jahre, das der Retrospektive den Namen gab, hat Neo Rauch nicht weniger als drei Handlungsorte implantiert. Rechts vorne zeigt eine Mutter ihrem halbwüchsigen Sohn eine Modelllandschaft, wie man sie aus den früheren Bildern kennt. Hier ist sie allerdings weitgehend zerstört, wie von einer Naturkatastrophe heimgesucht; Schlingpflanzen haben sich inzwischen der zerbrochenen Modelle und des Geländers bemächtigt. Der Schaden scheint irreversibel, eine Rettung nicht mehr möglich. Links davon zechen vier Herren in der Kleidung fahrender Handwerksgesellen an einem Tisch, wobei zwei von ihnen Jakobinermützen auf den Spitzen ihrer Säbel schwenken. Der Dritte erhebt sein Glas in Richtung Guillotine. Denn im Hintergrund wird auf einer Bühne unter einem Zeltdach von drei in den Farben der Kokarde gekleideten (Laien-)Schauspielern vor der Kulisse einer hohen Bücherwand offenbar ein neues Stück geprobt – wobei einer von ihnen bereits seine Position auf dem Tisch der Guillotine eingenommen hat. Davor, am Fuße der Guillotine, kommentieren drei Zuschauer das Bühnengeschehen. Es bleibt offen, ob die "neuen Rollen", die es einzustudieren gilt, mehr verheißen (und erfüllen) als die Modelle von einst, deren Verfallsdatum sichtbar überschritten ist. Die Ausstellung wird von der VOLKSWAGEN BANK unterstützt.

Zur Ausstellung erscheint ein umfassender, 192 Seiten starker Katalog im DuMont Literatur und Kunst Verlag. Dieser enthält neben einem Vorwort von Markus Brüderlin Beiträge von Harald Kunde, Holger Broeker, Gottfried Boehm, Donald Kuspit, Gernot Böhme und Wolfgang Büscher.

Pressetext

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Neo Rauch
Neue Rollen. Bilder 1993 bis heute