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Wie kommt das Licht in die Bilder von Nicola Stäglich? Oder umgekehrt, wie erobert es sich den Raum von der Fläche des Bildes aus? Welcher Wind treibt die strömenden Farbformen über die Leinwand? Solche Fragen drängen sich unwillkürlich auf, wenn man ihre neuen Arbeiten - die so genannten „blotscapes“ – betrachtet. Waren frühere Arbeiten der jungen Malerin subtile Verflechtungen von Feldern und Blöcken voller transparenter Farben, überdeckt von pastosen und reinen Tönen, hat die Dynamik der Pinselspur inzwischen die gesamte Komposition des Bildes durchdrungen. Nicola Stäglichs Arbeiten kreisen um die Zeitlichkeit der Pinselstriche in der Bildfläche und die Öffnung des Bildraumes: in der Markha Valley Serie lassen geometrische und wellenförmige Pinselbahnen Abbreviaturen von Orten entstehen; oder in den „Transparencies“, spannt sich zwischen gesetzten Pinselstrichen auf dem Acrylglas und farbigem Schatten auf der Wand der Bildraum aus Licht. Während ihres Stipendiums in Olevano 2004 entstanden Wolkenstudien parallel zu den „Transparencies“. Später hat sie die Wolkenformen in Collagen verarbeitet und diese teils als Ausgangspunkt für die „blotscapes“ gewählt.

Die Begegnung mit Aquarellen und Zeichnungen des Engländers Alexander Cozens (1717-1786) regte sie dazu an ‚blots’ - also Farbflecken - als kreatives Ausgangsmaterial für ihre fließenden Bildlandschaft einzusetzen. Sie geht dabei weit über die Ansätze des Etoner Kunstpädagogen Cozens hinaus, dessen Blotmethode ausschließlich als eine Bildfindungsstrategie und keine Bildgenerierungstechnik gedacht war. Sie funktioniert etwa folgendermaßen: Auf ein vorzugsweise zerknittertes Blatt Papier werden Tintenkleckse – die so genannten ‚Blots’ - aufgebracht, die dann als Kompositionsgrundlage für Landschaftsbilder verwendet werden, die in traditioneller Manier säuberlich auszuführen sind. Dem entscheidenden Schritt, nämlich die ‚blots’ und ‚taches’ nicht mehr nur als ein Hilfsmittel der ‚inventio’ einzusetzen, sondern im Werk selbst auszustellen, machen dann etwa gleichzeitig William Turner in England und in Deutschland Carl Blechen. Im Nebel und Dunst ihrer Wolkenstudien wird der Fleck zum Bildgegenstand, der mangels fester Ikonographie die Aktivität des Sehens zum Akt des Interpretierens macht. Die autopoetische Ebene, die sich in diesem Motiv auf zweifache Weise überlagert, indem es Generator einerseits, Störfaktor andererseits ist, lässt die Leinwand somit zu einem Feld großer Vorstellungsintensität werden. Ganz offensichtlich werden die Wolkenbilder als unvorhersagbar und intentionslos charakterisiert: nie kommt das heraus, was man erwartet. Bestenfalls lässt sich in einer Nachbearbeitung der Fleck in eine Richtung modifizieren, die dem ‚Autor’ obliegt. „Ces masses mouvantes et majestueuses se composent, se dessinent et se colorent“, beschreibt Pierre-Henri de Valenciennes (1750-1819) in seinem großen Handbuch zur Landschaftsmalerei geradezu paradigmatisch diese Selbstarrangement von Fleckenbildern.

Genau dieses Moment der Offenheit und des Möglichen, dem Rohen, Unbearbeiteten näher als dem Willkürlichen, machte die Idee des ‚blots’ so attraktiv für Nicola Stäglich. Der Fleck, die Unform in organischer Bewegung, ein tendenziell unversiegbarer Quell von Formationen lässt dem Bild eine gewisse Nähe zum Entwurf und zur Skizze. Er ist Anlass und Gelegenheit, das Pigment und die Farbe als ästhetische Erfahrung in die Welt zu setzen. Denn auch wenn einigen der ‚blotscape’ noch so etwas wie ein Horizont eigen ist, man vielleicht sogar den Schatten einer Wolke zu erkennen meint, sind sie in erster Linie Variationen und Metamorphosen von Licht und Bewegung gewordener chromatischer Bildsequenzen, in denen organische Farbformen in barocker Dynamik den Bildraum durchströmen. Dabei bleibt der Charakter der Leinwände stets ambivalent, können sie doch genauso als großer quadratischer Ausschnitt einer mikrokosmischen wie einer makrokosmischen Welt gelesen werden.

Nicola Stäglich, geboren 1970 in Oldenburg, lebt und arbeitet in Berlin. 2005/2006 erhielt sie das Los Angeles Stipendium des Berliner Senats in Kooperation mit dem Art Center College of Design in Pasadena. Ihre Arbeiten wurden u.a. in Einzelausstellungen im Oldenburger Kunstverein, Wiesbadener Kunstverein und Goethe Institut Washington D.C. vorgestellt.

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