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Auf den ersten Blick geht von den großformatigen Gemälden von Nicola Stäglich mit ihren leuchtenden breiten Farbbahnen ein Moment von sinnlicher Verführung aus. Die meist vertikal, scheinbar rhythmisch verlaufenden Balken oder Streifen erinnern zunächst an Werke der Color Field Painters aus den Sechziger Jahren (Morris Louis, Helen Frankenthaler, Kenneth Noland), die Aspekte dieser Ära wie Spontaneität, Sinneslust, haptisches Erleben, Rausch und Euphorie wiederzugeben scheinen. Doch je näher der Betrachter einem Gemälde oder Relief von Stäglich tritt, desto dissonanter und beunruhigender wird das Erlebnis.

Stäglichs vielschichtige Werke strahlen kompositorisch und emotional eine untergründige Spannung und Dramatik aus. Weite Öffnungen, Bögen und Tore, bildräumliche Leerstellen und Spalten durchbrechen das Muster der Farbstreifen, die gelegentlich etwas Notenhaftes haben, fügen ihrer rhythmisierten Zweidimensionalität kontrapunktisch Stille und Raumtiefe hinzu. Monochrome, ruhige Flächen lösen Verdichtungen, Hügel, Kämme, Rücken, Furchen, Spalten oder Abgründe auf. Farbliche Plateaus verschaffen dem Betrachter Weitblick und Übersicht; spitz zulaufende Formen und reale Ritzen und Spalten (in den Reliefs) suggerieren Verletzungen, Wunden, Enge und Gedrängtheit. Auch wechseln sich - verschiedenen „Bildtemperaturen“ entsprechend - Mattigkeit und Glanz der Farben, Primär- und Mischfarben, pastöser und wässrig-lichter Auftrag nuancenreich miteinander ab. Andeutungsweise wird auf die Weite und Megalomanie der westamerikanischen Landschaft verwiesen, die die Künstlerin in extenso bereist hat; geologische Prozesse, Ablagerungen, Sedimentierungen, Auswaschungen und Erosionsvorgänge scheinen sich wiederzuspiegeln. Eine autarke Welt tut sich auf, die dem Betrachter das Gefühl gibt, es mit zu Malerei geronnenen oder zu Wandskulpturen - den Reliefs - geformten Residuen evolutionärer Umwandlungen zu tun zu haben. Die Zeiträume, von denen diese Malerei und Reliefs sprechen, verweisen weit über die Lebensspanne des Betrachters hinaus, auf ein Unendliches.

Man würde Stäglich jedoch nicht gerecht werden, wenn man ihre Werke als abstrahierte Landschaften bezeichnen würde. Das häufig verwendete Hellrosa weckt, gerade bei angedeuteten Innenräumen, oft Assoziationen an Fleisch, Körperlichkeit. Bei Stäglichs Spiel mit der (weiblichen) Physis, mit konvexen und konkaven Bildelementen, wird jedoch keine singuläre Körperlichkeit heraufbeschworen, sondern eine allzeitlich-universale. Geologisch-räumliche Elemente besitzen bei Stäglich immer eine emotionale Komponente und werden nicht nur als ästhetische Konfigurationen verstanden. Sie werden jedoch auch nicht lediglich symbolhaft verwendet, ihrer ureigenen Materialität nicht beraubt. Geomorphe Materialität und emotionale Verweise auf Verletzungen, Risse und Schnitte ergänzen sich und bilden zwei verschiedene, parallel existierende Bildebenen.

Stäglich, die nach eigener Aussage oft Musik, bevorzugt Bach, beim Arbeiten hört, ist eine Meisterin der komplexen Komposition: Sie hat nicht eine künstlerische Handschrift oder ein Leitmotiv, sondern viele, eine ganze Klaviatur, die sie ebenso versatil wie sicher einsetzt ohne ins Beliebige zu verfallen. Sie arbeitet mit Rhythmenwechseln und Auslassungen, aber nicht ohne übergeordnete kompositorische Organisationsform. Mit ihrer kontrollierten, weniger inszenierten als dokumentierten Dramatik strahlen Stäglichs Werke Würde und Abstand aus.

In ihren neuesten, seit 2007 entstandenen Arbeiten, den Reliefs, verwendet Stäglich dünne Holzplatten, auf die sie weitere Platten, aus denen vorher festgelegte Formen herausgeschnitten wurden, montiert. Die Reliefs sind eine konsequente Fortführung - im Sinne einer noch stärkeren Verdichtung und Dramatisierung - von Stäglichs Malerei. In den Reliefs wird Raumtiefe sowohl illusionistisch durch helle und dunkle Farbflächen auf zweidimensionalem Grund erzeugt (Malerei auf den Holzplatten selber) als auch faktisch durch Schichtung, Zerschneidung und Übereinandermontierung der Holzplatten. Durch dieses Über- und Untereinander, das nach Stäglich auch als ein zeitliches Vor– und Nachher verstanden werden kann, drücken die Reliefs noch deutlicher als die Gemälde raumzeitliches Phänomen und prozessuale Vorgänge aus. In den Gemälden wie in den Reliefs werden durch Farbschüttung und Gießtechnik oft Fließspuren, die direkt Zeugnis vom geronnenen Ablauf der Zeit ablegen, sichtbar. Diesem auf natürlichen physikalischen Vorgängen beruhenden nur bedingt manipulierbaren Bildelement stehen wiederum in einer einzigen Bewegung ausgeführte Pinselstriche, die eine unmittelbare Gegenwärtigkeit, eine Bildsekunde, ein wirkendes Subjekt zum Ausdruck bringen, gegenüber – oder doch gleich konstruktivistische Elemente, vornehmlich spitzwinklig zulaufende Formen, die wie Splitter und Eingebungen von Menschenhand in dem biomorphen Kosmos wirken und diesen von jeglicher Spur von „urzeitlicher“ Sentimentalität und Naturmythos-Evokation befreien. Stäglich arbeitet mit und doch schon jenseits von Arps harmonisch-biomorpher Bildsprache, der mit ihren knospenartigen Rundungen etwas Paradiesisch-Kindliches anhaftet, arbeitet mit und jenseits von Fontana, dessen Leinwandschnitte weniger Prozessualität, Geschichte und konserviertes oder perpetuierendes Schicksal oder Leid als Intensität des Augenblicks und menschlich-erratische Intervention und Erregung vermitteln.

Stäglich gehört zu den wenigen heute abstrakt arbeitenden Künstlern, die sich nicht mehr einem betont sinnlichen Verweilen in Farbräumen per se verpflichtet fühlen - was in den Sechzigern neu und erfrischend wirkte, kommt heute oft eher sentimental und naiv daher. Auch lässt sich das Colour Field Painting sowie die Meditative Abstraktion (Mark Rothko und Barnett Newman) heute nicht mehr repetieren oder ohne neuen kompositorischen Ansatz erweitern. Stäglich hat eine ganz eigene Bildsprache entwickelt, die auf die Werke jener großen Künstler nur zitathaft rekurriert und diese ansonsten als Ausgangspunkt für eine zeitgemäße Abstraktion ansieht. Verwandtschaft lässt sich am ehesten zur spannungsgeladenen Farbfeldmalerei der US-Amerikanerin Mary Heilmann feststellen, die in den letzten Jahren internationalen Ruhm erfuhr. Stäglich vermeidet einen heroisch-(autoritären) Gestus und versucht nicht, den Betrachter zu überwältigen – wie es noch das romantisch-pädagogische Ziel (der Ich-Läuterung, transzendentalen Erhebung und inneren Eins-Werdung) von Künstlern wie Barnett Newman und Mark Rothko gewesen ist. Wobei die Betonung des Vertikalen sowie Titel wie „Zip Canyon“ durchaus als kleine Hinweise auf Newman verstanden werden können.

Durch Stäglichs Umgang mit Rhythmus, Raumtiefe und verschiedenen Dimensionsebenen, mit biomorphen und gänzlich abstrakten Formen entsteht ein spannender Schwebezustand, der diese Arbeiten einzigartig und immer wieder neu erfahrbar macht.

© Tanja Dückers, Berlin, im März 2009

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