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Preview Freitag, 14.11., 18-21 Uhr

Den Ausgangspunkt der Werkreihe „Limits of Responsibility“ von Nikita Kadan bildet eine Serie von Farbfotografien des ukrainischen Künstlers. Sie dokumentieren die Proteste gegen den geplanten Abbau des Lagers der Demonstranten am Kiewer Maidanplatz im Frühjahr 2014. Im Fokus der Fotografien stehen dabei die „Gärten von Maidan“ - die Aktivisten legten um ihre Zelte und Barrikaden in den Monaten der Besatzung Gärten an, pflanzten Gemüse, Getreide und Kräuter in die umkämpfte Erde des Kiewer Platzes. Sie bewirtschafteten das besetzte Gebiet, um zu überleben, sich autark zu erhalten und gleichzeitig Widerstand zu leisten, ihre Anwesenheit zu betonen, ihren Anspruch tief in den Grund des Platzes zu verwurzeln. Zwischen Mahnmälern, improvisierten Wohnstätten, Flaggen und Barrikaden wächst Kohl und Salat, reifen Zwiebeln und Tomaten – zwischen den Instrumenten des Protestes breitet sich ein Garten aus, ein Stück domestizierte Natur. Die Natur, der als solcher die Metamorphose, das Potenzial zur Veränderung immer schon eingeschrieben ist, verläuft in den Gärten von Maidan in gesicherten, geordneten und beschrifteten Bahnen, markiert den eingenommenen Platz als Lebensraum und das Erdgut als erobert und besetzt.

In der multimedialen Ausstellung „Limits of Responsibility“ – der ersten Einzelausstellung des Künstlers im deutschsprachigen Raum – begegnet der Betrachter nicht nur unterschiedlichen Formen der Widerständigkeit, der Eroberung und Besetzung, sondern auch verschiedenen Strategien der bildhaften Darstellung und bildlichen Argumentation. So erinnert die Ästhetik der ausgestellten Farbfotografien an den massenmedialen Apparat der Social Media Plattformen, an virale Schnappschüsse, die um die Welt gehen und zu Agitationszwecken genützt werden. In seinen Aquarellarbeiten bezieht sich Nikita Kadan hingegen auf akademische Biologie- und Anatomiebücher. Stellen diese für gewöhnlich idealisierte Details des Organischen dar, verbinden sich in Kadans Arbeiten der pflanzliche Körper mit dem menschlichen und die Natur mit der Architektur; Knollen, Knospen und Wurzeln verwachsen mit leiblichen Knochen oder verschmelzen mit Architekturelementen. Unvereinbar geglaubte Gegensätze lösen sich prozessual ineinander auf und bilden in ihrer Union neue Formen der körperlichen Entität.

Die Beschäftigung in und mit Bild findet schließlich eine skulpturale Formulierung; ein drei Meter langes und 170 cm hohes Objekt aus weiß lackierten Sperrholzplatten und einem quadratischen Blumenbeet, in dem Salat und Kräuter wachsen. Der Künstler ließ die Skulptur nach einer Abbildung in einer sowjetischen Agitprop-Publikation aus dem Jahr 1979 bauen, wo eine solche Konstruktion als vorbildliche Präsentationsform der Vermittlung von Agrikultur dient. In Aufbau und Materialität entstammt die Skulptur somit der didaktischen Ausstellungspraxis, sie entzieht sich jedoch komplett ihrer illustrierenden und agitierenden Funktion. Die Schautafeln sind opak weiß gestrichen, text- und bildlos vermitteln sie nichts als ein Zitat der propagandistischen Präsentationsstrategie. Nikita Kadan verbindet das seiner Funktion beraubte Relikt des totalitären Regimes mit einem Lebensraum für Pflanzen; einem Beet für einen Garten, der in seiner Aktualisierung von der ideologischen Vereinnahmung befreit wurde. Ausgeschlossen vom kommerziellen Warenaustausch leben Protestierer und Überlebende in einem Zustand weitgehender Autarkie, die ihre Verantwortung auf ihre direkte Umgebung begrenzt.

Nikita Kadan wendet sich in seiner Ausstellung „Limits of Responsibility“ nicht gegen das Bild, er verweigert nicht die Darstellung sondern untersucht ihre Bedingungen. Er legt durch seine motivische wie auch medien- und materialästhetische Auseinandersetzung ideologisch wirksame und systemstärkende Bildstrategien offen, eignet sie sich an, dekontextualisiert und unterläuft sie. Das Zitat und die Übersetzung demaskieren das Original, entstellen es bis zur Kenntlichkeit.

Text: Nina Lucia Groß

Nikita Kadan (geb. 1982 in Kiev) lebt und arbeitet in Kiev. Er ist Mitglied des Künstlerkollektivs R.E.P. (Revolutionary Experimental Space, seit 2004) und Mitbegründer des Kuratoren- und Aktivistenkollektivs Hudrada (seit 2008). Kadan arbeitet häufig in interdisziplinären Kooperationen – mit Architekten, Human Rights Watch Aktivisten und Soziologen.

Seine Werke sind vielfach international ausgestellt worden, darunter zuletzt auf der ersten Kiev Biennale (2012), CCA Ujazdowski Castle, Warschau (2012), ZKM Museum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe (2013), Pinakothek der Moderne, München (2013), Castello di Rivoli (2013), 55. Biennale di Venezia - Palazzo Contarini Polignac (2013), DAAD Galerie, Berlin (2014) und Saatchi Gallery, London (2014). Kadan war 2009 nominiert für den PinchukArtCentre Prize, den er im Jahr 2011 gewonnen hat. Zur Zeit ist er an der Ausstellung "21 Artists Shortlisted for the Future Generation Art Prize 2014" im PinchukArtCentre, Kiev (bis 4. Januar 2015) beteiligt.

Eine zweisprachige Publikation (ukrainisch / englisch) über Nikita Kadan erscheint im Frühjahr 2015.