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Die Natur im Inneren des White Cube

In der Tradition der Land Art und der damit einhergehenden künstlerischen Auseinandersetzung mit der Umwelt, sind die Beispiele von Künstlern, die ein Stück Natur in einen Galerieraum überführen, zahlreich und höchst unterschiedlich. So füllte im Rahmen dieser Site/Non-Site-Dialektik Robert Smithson Kisten mit Steinen, Walter de Maria schuf den New York Earth Room (1977), einen Raum, in dem Erde aus der Stadt angehäuft wurde, und in jüngerer Zeit installierte Olafur Eliasson Eisfelder.

Der dänische Künstler Nikolaj Recke hat sich seit Mitte der 90er Jahre durchgehend mit dieser Tradition befasst und einen eigenen emotionalen und poetischen Ansatz entwickelt, dem er in der Ausstellung Calendar of Tomorrows eine Prise geopolitischen Kommentars hinzufügt.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Arbeit 10 Meters of Extended German Coastline (2006). Für diese ist Recke an die deutsche Küste gereist, wo er sich vom Strand aus ins Landesinnere gegraben hat, um die gesamte Küstenlinie Deutschlands um zehn Meter zu verlängern. In der Galerie werden sich die mit Sand angefüllten Säcke stapeln, die zusammen mit einer Serie dokumentarischer Fotografien von diesem Eingriff zeugen. Der Akt des Entfernens wird so zu einem Akt der Verlängerung und das ausgehobene `Restmaterial´ wird durch die Übertragung in den Galeriekontext zum Kunstwerk. Als solches ist die Arbeit eine großzügige Geste, oder vielmehr ein Geschenk an die deutsche Bevölkerung. Reckes Konzept sieht vor, das Land zu vergrößern und den Einwohnern zu ermöglichen, ein konkretes Stück dieses territorialen Zugewinns zu besitzen. Zugleich verweist das Werk auf die Tatsache, dass (im Gegensatz zu Dänemark) die Größe Deutschlands, gemessen in Quadratkilometern, in umgekehrtem Verhältnis zur Länge seines Küstenstreifens steht, und dass dies genau der Grund ist, warum der deutsche Urlauber nach Dänemark fährt.

Schon in einer frühen, seine künstlerische Position klar artikulierenden Arbeit Clover Field (1999-2000) hat Recke die Natur in den Innenraum geholt. Ursprünglich als Installation eines Kleefeldes im Ausstellungsbereich angelegt, ist hier die Video-Version (die der Installation sogar um ein Jahr vorausgeht) zu sehen. Eine Kamera zieht in langsamen Bewegungen über das Kleefeld und lädt den Betrachter ein, nach einer der glücksbringenden Pflanzen zu suchen. Diese monochromatische Videoarbeit birgt in sich die mentale Konzentration, ästhetische Sensibilität und existenzielle Hoffnung, wie sie Yves Klein stolz machen würde.

Die Natur, obwohl nicht in derart physischer Form, ist ebenfalls in der Video-Installation Tomorrow is Today (2006) zugegen. Im letzten Frühjahr hat Recke die Fidji-Inseln besucht und dort die Datumsgrenze gefilmt. Im Galerieraum werden zwei Projektionen parallel gezeigt, die den Blick von beiden Seiten, also diesseits und jenseits der Datumsgrenze, darstellen. Damit wird konzeptuell ein sichtbarer Ort gebildet, an dem man sich gleichzeitig an zwei Tagen befindet, ein Ort, der in der physischen Realität nicht existiert und an dem es kein Heute´ gibt, sondern nurGestern´ und Morgen´. Mit einer indirekten Anspielung auf On Kawara wird die Vorstellung vonHeute´ auch in dem letzten Ausstellungsstück verzerrt. Das titelgebende Werk Calendar of Tomorrows (2006) besteht aus einem herkömmlichen Kalender, der der Zeit immer um einen Tag vorausgeht. So ermöglicht er einem die Welt zu erfassen, als ob man bereits im herbeigesehnten besseren `Morgen´ lebt.

(Text: Jacob Lillemose, 2006)

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