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Liquide Wirklichkeiten

Steil ragt in Void, 2003 die Holzterrasse des modernistischen Hauses in den Raum und gibt sich als perspektivische Konstruktion zu erkennen, wie sie nur eine Fotografie hervorbringen kann. Für die weisse Villa mit dem dynamisch geschwungenen Dach in Borderline, 2003 und der auskragenden konstruktivistischen Rampe scheint gar die Form durch die fotografische Darstellung determiniert worden zu sein. Das Haus wurde für das Bild gebaut, spektakulär, einzig auf einen Blickpunkt hin ausgerichtet. Architektur und schicke Interieurs aus Schöner Wohnen und Wallpaper bilden den Ausgangspunkt für Noori Lees Bildfindungen. Der begehrte Innen- oder Aussenraum zeigt sich hier von seiner besten Seite und will objektiv einen möglichen Lebensraum zur Schau stellen. Doch eigentlich führt sich das Interieur mit Designersofa und Clubtischen bloss selber vor, als Zeichen. Menschen sind nie zu sehen, stattdessen stellt das repräsentative Ölbild auf Leinwand oder Alu den Ort der Repräsentation dar, an dem einst vielleicht sogar eben diese Bilder hängen könnten. Nicht umsonst nennt Noori Lee seine Serie Collector, 2002. In den Bildern sind leere Fluchten und angenehm warm beleuchtete, nicht aber behauste Innenräume zu sehen oder etwa eine gleissende Halle mit schlanken Eisenskulpturen, die an Arbeiten von Bernar Venet erinnern. Noori Lees entleerte Collector-Serie könnte selber diesen Raum des Sammlers füllen, den man sich dann als eine Art Mise-en-Abyme vorzustellen hätte, als eine endlose Spiegelung. Doch die Kunst ist abhanden gekommen, wären da nicht die kreisrunden Skulpturen, die als gestische Kringel von einer anderen malerischen Qualität sprächen. Die Peinture ist hier im wörtlichen Sinne die Kunst.

In seinen Bildern setzt Noori Lee den figurativen Darstellungen von Räumen und Häusern eine abstrakte Kraft entgegen. Die beiden Wirklichkeitsebenen konkurrieren und überlagern sich oder interagieren, indem etwa die Bildstörung mit traumähnlichen Schauplätzen verknüpft zu sein scheint: Die psychedelischen Farbschlieren und Unschärfen in Borderline lassen das mondäne Haus zu einem Ort des Unheimlichen werden, zu einem Filmset eines traumatischen Geschehens. Bereits die künstlerische Übersetzungsarbeit der fotografischen Vorlagen in Malerei setzt ein ungeahntes Potential der Verdrängung frei. Durch welche Augen wir aber nun auf die Szenerie blicken, bleibt offen. Hitchcocks subjektive Kamera hat in der Filmgeschichte den ersten Versuch unternommen, halluzinatorische Wahrnehmungsverschiebungen darstellbar zu machen. Sie hat auch gezeigt, dass etwa Betrunkenheit und Schwindel nicht vor, sondern hinter der Kamera stattfinden. Als autonome Konkretisierungen nehmen Noori Lees Bildstörungen Einfluss auf die figurative Darstellung und suggerieren unheilvolle Geschichten, wobei derartige Phantasien immer nur die Ausgeburten des Betrachters sind.

Furtive, 2003 ist dagegen kaum narrativ. Viel eher reflektiert sich hier die Malerei und löst sich als Peinture von der figurativen Darstellung. Blaue Verwerfungen, gestische Schlingen und regenbogenähnliche Farbspektren fungieren als Elemente, die die illusionistische Realität des soliden Glashauses ernsthaft bedrohen. Das Spannungsfeld von Figuration und Abstraktion als binäres Darstellungs- und Welterklärungsmodell hat sich damit aufgelöst, wodurch die malerische Wirklichkeit liquid geworden ist und jederzeit zerrinnen kann.

Philipp Kaiser

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Noori Lee