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NORBERT PÜMPEL
Wir deuten sie also, und sehen sie, wie wir sie deuten.
(
Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen II)
16.11.2018 - 19.01.2019
Eröffnung DO 15.11., 19 Uhr Begrüßung Lothar Tirala, Vorsitzender des Kunstraum Innsbruck Einführung Harald Kimpel, Kunstwissenschaftler, Kassel Übergabe KRIsolidaritaet#19_01 von Norbert Pümpel an alle Mitglieder 2019  

„Das, was ein Bild zu sagen hat, sagt es selbst“, beschreibt Norbert Pümpel 2016 den Zugang zum seinem Bildverständnis. Das Zitat ist kurz und bündig, steht aber für den intelligent verzweigten Kosmos seiner künstlerischen Praxis, der sich aus einem Netzwerk von Wahrnehmungstheorien zwischen Kunst und Wissenschaft speist. So treffen Analysen von autonomen, sich überlagernden Wahrnehmungsebenen auf wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten, die gesetztenfalls existieren oder auch nicht, weil das Bild eben sagt, was es ist und nicht der Künstler statt seiner spricht. Pümpel rechnet dem Bild seine ästhetische Eigenständigkeit an, wie auch dem Betrachter seine individuelle Wahrnehmungsleistung, die Kompositionskraft eines Kunstwerkes zu erfassen und zu beurteilen. Pümpel jongliert subtil auf der Matrix parallel existierender Wahrnehmungstheorien der Mathematik und Physik (vor allem der Atom- und Quantenphysik), die grundsätzlich Fragen nach der Abbildbarkeit der Gegenwart stellen.   So könnte man das oben genannte Zitat geradezu weiterdenken, indem man sagt: „Das, was ein Bild zu sagen hat, sagt es selbst. Und es ist an uns, es weiterzudenken.“ Der Ironie dieses Ansatzes entsprechend, befragt Pümpel den Betrachter, was er wirklich sieht oder was ihm zu sehen gesagt wurde. Umso deutlicher wird dies, bei der Betrachtung des Ausstellungstitels, einem Ludwig-Wittgenstein-Zitat: Wir deuten sie also, und sehen sie, wie wir sie deuten. ( Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen II)  

Ein Paradox, wie es die Wissenschaft nicht besser darstellen kann, wenn sich – anhand Schrödingers Katze – zwei Wahrnehmungsebenen überlagern, die die Existenz von etwas – der Katze – materialisieren und gleichzeitig dematerialisieren.   Der 1956 in Innsbruck geborene Künstler begann seine künstlerische Laufbahn Ende der 1970er Jahre im Bereich der Concept Art. Eine Ausbildung an einer Kunstakademie lehnte er ab und studierte Mathematik, Physik und Philosophie (ohne Studienabschluss). Als Autodidakt erarbeitet er Bildkonzepte im Grenzbereich zu den Wissenschaften. „Pümpel beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit philosophischen und naturwissenschaftlichen Problemkreisen, die in seiner konzeptionell orientierten Kunst bildhafte Form erhalten. Raum-Zeit-Probleme, die seit dem frühen 20. Jahrhundert Künstler intensiv beschäftigen, materielle Erscheinungsformen, Fragen der Quantenphysik und Wahrscheinlichkeitstheorie bestimmen sein Denken als Künstler.“ (Christoph Bertsch, 2007) Pümpel verbindet Kunst mit Wissenschaft. Hierbei wird die Auseinandersetzung mit der Atomphysik, der Quantentheorie wie auch mit Ludwig Wittgenstein als Grad einer Annäherung und gleichzeitiger Abstoßung vom Künstler sichtbar gemacht. „Es gibt da einen Aspekt des Naturwissenschaftlichen, fern ab jeder messbaren Exaktheit, ohne Determinismus und Logik. Evidenz und Berechenbarkeit stellen sich als Illusion heraus.“ (Norbert Pümpel, 04.05.2013)  

Deswegen verwundert es nicht, dass es maßgeblich Langzeitprojekte sind, die Norbert Pümpel beschäftigen. Mit seinen Analysen untersucht er u. a. Erwin Schrödingers Katzenparadoxon (2005–2008), genauso wie Wittgensteins Auseinandersetzung, die Grenzen der Wahrnehmung und die Möglichkeit des Bildes im Licht der neueren Wissenschaft auszuloten. „Bei dem, was Norbert Pümpel auf Leinwand oder Papier anlegt, handelt es sich um Eindrücke, die zurückbleiben, wenn – wie der Künstler selbst sagt – ein Teil des Universums das Universum reflektiert.“ (Harald Kimpel, 2005) Dass der Mensch sein Universum stetiger Bedrohung aussetzt und Massenvernichtung zum abstrakten Code der Spaltung von Atomen wurde, zeigt er in seinen Werkphasen Dark Lightings (2009–2012), die in menschenleeren Landschaften den nuklearen Fallout der Nukleartests nach dem Zweiten Weltkrieg darstellen oder die Serie Sedan Crater Projects 01–05 (2008–2017), die einen Krater eines amerikanischen Testfeldes zeigen, der mit einem Durchmesser von 400 Metern auch aus dem All mit dem bloßen Auge zu erkennen ist.  

Hierzu sagt Norbert Pümpel im Jahre 2010: „(...) gleichzeitig aber stieg neben dem erkenntnistheoretischen Fortschritt das Potenzial, alles Leben radikal auszulöschen. Neben dem Streben um Erhaltung, Sicherung und möglicherweise auch Verbesserung des Zustandes der Menschen am Globus entwickeln die Wissenschaften, zunächst in der Physik mit der Atombombe, später aber auch in der Biochemie und der Biologie, ein noch nie dagewesenes Arsenal an prinzipiellen Möglichkeiten, den Globus in eine leblose Wüste zu verwandeln. In jedem Algorithmus der Erkenntnis steckt die Grammatik der Zerstörung. Politische Strategien und die gängigen ökonomischen Praktiken lassen keine reale Hoffnung zu, dass das Gefahrenpotenzial schwindet.“

„Skulpturen sind Sein und Nichtsein von Materie“, sagt Norbert Pümpel 2010 über seine Skulpturen, für die er das Material Holz bevorzugt. Er hält auch bei seiner skulpturalen Arbeit an der Hinterfragung, was wir deuten und wirklich sehen, fest. Seine Skulpturen versieht er oft mit Aussparungen, die er mit Silikonschichten wieder schließt, als ob die Skulptur den Phantomschmerz spüren könne, deren Lücke Pümpel auftat und wieder schloss. Die Skulptur steht für das Verborgene und das Sichtbare, das Vorhandene und das Fehlende, das Gewachsene und das Zerstörte, die Verletzung und die Heilung. In diesem Sinne ist auch die zentrale Skulptur der Ausstellung, Und sieht das Kind die Kiste nun als Haus zu verstehen, die zwei würfelartige Holzobjekte und ein Silikonobjekt zeigt.    

Konzeption der Ausstellung: Lothar Tirala, Vorstand Kunstraum Innsbruck
Text: Karin Pernegger, Leitung Kunstraum Innsbruck