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Vom 30. Juni bis 26. August 2006 präsentiert die BAWAG FOUNDATION unter dem Titel Nothing But Pleasure eine Ausstellung über Slapstick und andere humorvolle Kunst, die das Fallen, Stolpern, Untergehen oder Auf-andere-Weise-seinen-Status-Verlieren zum Thema hat. 21 international renommierte Künstler sind in dieser Sommerausstellung exemplarisch mit jüngeren, aber auch älteren Arbeiten, darunter auch mit Klassikern, vertreten.

Der Titel Nothing But Pleasure beschreibt zum einen das reine Vergnügen beim Betrachten dieser Werke, die man immer wieder gerne sieht. Zum anderen nehmen einige Künstler das Wort „pleasure“ wörtlich, indem sie das Glück freudig beschwören.

Nothing But Pleasure ist aber auch ein humorvoller Kommentar der aktuellen Lage, die wie jede andere unbeantwortbare Situation nur mit einem Weinen oder Lachen quittiert werden kann. Das Komische funktioniert dabei sozusagen als Distanzierung, die die allzu aufdringliche Präsenz der realen Situation aufbricht. Oder um den deutschen Schriftsteller und Georg-Büchner-Preisträger Wilhelm Genazino zu zitieren: „Das Komische ist auch der Trost, der sich über das sich fortlaufend verfehlende Leben erfinden muss. Der komische Akt ist eine Art Dank für eine dringend benötigte Unterbrechung.“ Die Welt des Slapsticks bietet sich als eine umwerfende Möglichkeit der Pause an. Sie ist ein Platz der verrückten Kollisionen, an dem sensationelles Chaos dominiert und die Wendungen des Schicksals jede Möglichkeit eines moralischen Urteils boykottieren (Ralph Rugoff). Die Hauptdarsteller sind meist Opfer des Zufalls und der universellen Gravitation. Der Verlust an Kontrolle und Balance erzeugt aber respektables Vergnügen. Die großen Meister des Slapsticks wie Buster Keaton zelebrieren ihr Scheitern virtuos und ignorieren die paradoxe Gleichzeitigkeit von Ordnung und Chaos souverän.

Chaos und Ordnung Auch die Künstler dieser Ausstellung versuchen sich an der Balance zwischen Chaos und Ordnung. Sie führen uns absurde Akte und umwerfende Schieflagen vor, dokumentieren famose Kettenreaktionen und staunenswerte Unfälle. Buster Keaton scheitert in seinem Kurzfilm „One Week“ (1921) großartig an einem Fertigteilhaus zum Selberbauen. Durch den dekonstruktivistischen Alptraum fährt ein Zug. Über den Trümmerhaufen hängt Buster das Schild „For Sale“ und zieht mit seiner Braut Hand in Hand in eine heitere Zukunft. Eine ganz andere Kettenreaktion zeigen Peter Fischli/David Weiss in ihrem 30-minütigen Video „Der Lauf der Dinge“ (1987): eine Erzählung über Ursache und Wirkung, Mechanismen und Artistik, Unwahrscheinlichkeit und Präzision. In einer Lagerhalle hat das Schweizer Künstlerduo aus verschiedenen Gegenständen ein labiles 20 bis 30 Meter langes Objekt aufgebaut, das in Bewegung gesetzt wird. Fasziniert folgt die Kamera ihrem Lauf. In der Videoprojektion „The Lake“ (1999) schießt der dänische Künstler Peter Land ein Loch in sein Boot. Danach wartet er geduldig, stoisch auf seinen Untergang. In Rahmen dieser romantischen Erzählung voller Selbstironie und Witz stellt Land existenzielle Fragen und lacht gleichzeitig über sich selbst, wie auch wir über ihn. John Pilson erforscht in seiner Videoinstallation „Above the Grid“ (2000), wie menschliches Leben in ein Manhattener Unternehmen eindringt und sich plötzlich absurde Akte und Ereignisse häufen. In „Mr. Pickup“ (2000–2001), einer weiteren Videoinstallation, beobachtet die Kamera einen Anwalt in seinem Büro, der eine Stunde damit verbringt, (vergeblich) Unterlagen in eine Aktentasche zu legen, damit er zu einer wichtigen Besprechung aufbrechen kann. Der amerikanische Künstler konfrontiert diese Komödie des Scheiterns mit den Normen des Unternehmens von Kontrolle und Erfolg. Für sein kafkaesk-slapstickhaftes Video „Mr. Pickup“ erhielt Pilson 2001 auf der 49. Biennale di Venezia den Spezialpreis für junge Künstler. In mehreren Arbeiten hat Heimo Zobernig das Thema des Künstlers als eines sonderbaren Hofnarren variiert, der skurrilen Obsessionen nachgeht. In „Video Nr. 4“ (1989–68) hinterfragt er ironisch-kritisch das Image des Künstlers und die Geschichte der Videokunst. In raumgreifenden Settings erklärt der ehemalige Betriebswirtschaftsstudent John Bock mit absurden Formeln den Zusammenhang zwischen Kreativität und Ökonomie und führt todernst wissenschaftliche Experimente durch. In seinem Video „Bilanzgeraden“ (2003) inszeniert der deutsche Künstler absurde Testversuche mit zwei schweren Holzbalken.

Situationskomik Der deutsche Bildhauer und Konzeptkünstler Andreas Slominski hat in den letzten fünfzehn Jahren Fallen in allen Größen, Formen und Materialien hergestellt, mit denen er metaphorisch auf das Verlockende und Trügerische der Kunst selbst anspielt. „Little Vermin Trap“ („Kleine Falle für Ungeziefer“, 1997) hat die Form einer gewöhnlichen Mausefalle und besticht durch die charmante Sinnlosigkeit des Objekts. Vergleichbar handfest-hintersinnig sind die Installationen, Bilder und Objekte von Georg Herold. Radikal und sarkastisch stellt der Sigmar-Polke-Schüler etwa mit seinen Kaviarbildern den Kunstbetrieb in Frage und verwandelt hochkomplizierte Theorien in möglichst einfache Bilder, die dennoch eine ganz eigene Komplexität haben, und kommentiert aktuelle Schieflagen. Als Situationskomik verstanden geht es bei den „Paßstücken“ wie z. B. der „Ohrfeigenschleuder“ (1980) von Franz West darum, eine unmögliche Situation in einen Lustgewinn zu verwandeln. In „Frühlingserwachen“ (1996), einer weiteren Arbeit von West, die in der Ausstellung zu sehen ist, erhält das Goethe-Gedicht „Frühlingsorakel“ eine neue humorvolle Bedeutung.

Jonathan Monk hingegen spielt humorvoll auf den Minimalismus an, in dem er Sol LeWitts offenen „Incomplete Cube“ von 1974 so auffaltet, dass zwei der weiß beschichteten Aluminiumstangen eine Gerade bilden – eine geistreiche Umwertung, die eine Art konzeptueller Überlagerung darstellt, in der das Original, das der Künstler sich aneignet, in neuem Kontext gesehen und ins eigene Werk integriert wird. Auch die Arbeiten von Heimo Zobernig sind durch ein minimalistisches Vokabular gekennzeichnet. Zwischen 1986 und 1991 entstanden Kartonskulpturen, darunter auch einige schwarz lackierte und gefederte Säulen.

Fallen und Ausrutschen als dominanter Gestus Die dominierenden Gesten der Slapstick-Komödie sind das Fallen und das Ausrutschen. Die vier unter der Marke Gelitin firmierenden Künstler Ali Janka, Wolfgang Gantner, Tobias Urban und Florian Reiter dokumentieren in der Fotoserie „Nellanutella“ (2001) ihre Aktionen in den Kanälen von Venedig und parodieren die romantische Geste von Yves Kleins Sprung ins Leere, indem sie diese ins Extrem treiben. Eine Mischung aus offensichtlicher Theatralität, Lust am Versagen und hochpeinlichen Situationen charakterisiert die Videoarbeiten von Friedrich Kunath, so auch seine Videoarbeit „After a While You Know the Style“ (2000), in dem der Künstler in Hamburg wiederholt ahnungslosen Passanten vor die Füße fällt – Reizüberflutung als Stimulans. Angus Fairhurst ist ein Meister der leisen Töne. Grelle Gestik ist seinem Werk fremd, er untersucht die Regionen der „niedrigsten Erwartungen“. „Low Expectations“ nennt er seine Band, die ihn dabei unterstützt, Formate des Pop auf die Kunst zu übertragen, „High and Low“ eng aneinander zu schmieden. Mit seiner Band simuliert der junge Brite konventionelle Rockkonzerte und ersetzt in seinen Computerdiagrammen Musik durch visuelle Muster. Auch mit dem wiederkehrenden Motiv der Bananenschale bewegt sich Fairhurst auf unsicherem Boden.

Performance und Prozess Auf verschiedene Weise beziehen sich Arbeiten der Ausstellung auf das Crossover zwischen Performance, Tanz, Avantgardetheater und Skulpturen, das in den 60er und frühen 70er Jahren entstand. Bruce Nauman hat für seine Videos im Atelier alle möglichen Körperhaltungen erprobt, unterschiedliche Arten von Mimik geübt oder auch mit Schauspielern in endlosen Slapsticks kleine „häusliche“ Gemeinheiten geprobt, wie etwa in dem bemerkenswert bösen und zugleich amüsanten Video „Violent Incident“ (1986). Indem sie sich diese Strategien humorvoll aneignen, beziehen sich Künstler wie Marcus Geiger in der Diashow „Ohne Titel“ (1994) mit einer Paraphrase darauf. Die Videoprojektion „City Self/Country Self“ (2000) des kanadischen Künstlers Rodney Graham zeigt eine Geste snobistischer Geringschätzung, die wegen ihrer stilistischen Übertreibung im Bereich des Skurrilen anzusiedeln ist: Genau in dem Moment, als Grahams „Country Self“ seinen Zylinder verliert und sich daraufhin bücken muss, schlägt die wahre Stunde des Städters, der mit verachtender Verve den ländlichen Zeitgenossen seinen zuvor polierten, extrem spitzen Schuh ins Gesäß wuchtet.

Bitte intensive Glücksgefühle!! In ihrem Künstlerbuch „Findet mich das Glück ?“ (2002) stellen Peter Fischli und David Weiss Fragen, die sich jeder von uns schon tausendmal gestellt hat, neben anderen solche, die absurd wirken: „Ist das Leben ein seltsames Höhlensystem? Gibt es zu viel des Guten?“ oder „Driftet alles auseinander? Wie wirke ich? Soll ich untertauchen? Wie kann die Welt sich den Luxus leisten, mich zu haben? Ist sie betrunken? War ich jemals richtig wach?“ Es sind keine Wissensfragen, sondern Fragen, die – vielleicht auch, weil sie so simpel klingen – unbeantwortet bleiben müssen.

Staunen macht auch die Arbeit „1967“ (1987) des Amerikaners Jon Kessler, die eine zerkratzte Version von „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ abspielt, ein Album, das nicht nur zur musikalischen Bibel der friedfertigen Gegenkultur wurde, sondern ein Gesamtkunstwerk war, das Lebensfreude und einen neuen Zeitgeist verkörperte. Für „Sehnsucht, Reichtum, Glück“ (2001) recherchierte der Österreicher Christoph Weber in der Bilddatenbank google.com mit den Suchbegriffen Sehnsucht, Reichtum, Glück und band die Ausdrucke dieser über 2000 Bilder zu einem festen, bibelartigen Buch. Bekannt geworden sind Andres Lutz und Anders Guggisberg mit überbordenden paradoxen Installationen. Ihre Arbeiten stellen ein Universum des Absurden dar, das ebenso feinsinnig wie abgründig ist. Seit dem Beginn ihrer Zusammenarbeit, 1996, präsentieren sie zusammengestellte raumgreifende, detailreiche Installationen. Sie dekonstruieren die Welt der alltäglichen Erfahrungen und bauen eine verquere, feinsinnige wie abgründige Parallelwelt voller gedanklicher und visueller Bezüge. Neben der Wandarbeit „hallo Einswerdung?! hallo bitte sofort intensive Glücksgefühle!!“ (2005) zeigen die Schweizer Künstler Dutzende von selbst entworfenen Pokalen und Trophäen für so bedeutsame Leistungen wie „machte Herr Schütz fünfzehn Jahre lang die Wäsche und ist mit einer Dampfschifffahrt zufrieden“ oder „sah die wahrheit und liess alle daran teilhaben“.

Teilnehmende KünstlerInnen: John Bock (D), Angus Fairhurst (GB), Fischli/Weiss (CH), Marcus Geiger(CH), Gelitin (A), Rodney Graham (CAN), Georg Herold (D), Buster Keaton (US), Jon Kessler (US), Friedrich Kunath (D), Peter Land (DK), Andres Lutz/Anders Guggisberg (CH), Aleksandra Mir (SE), Jonathan Monk (GB), John Pilson (US), Andreas Slominski (D), Rosemarie Trockel (D), Christoph Weber (A), Franz West (A) und Heimo Zobernig (A).

Zur Ausstellung erscheint eine Publikation.

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