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„Tape“, „Tuft“, „Net“, „Net Blow-up“, „String“ – unter diesen prosaischen Titeln verwirklicht das Kollektiv Numen/For Use begehbare, interaktive Installationen, die faszinierende sinnlich-räumliche Erlebnisse bieten. Sie spinnen aus Klebebändern fragil wirkende Kokons, die aussehen, als wäre ein Rieseninsekt tätig gewesen, verweben mehrere Schichten elastischer Netze zu überdimensionalen, durchkletterbaren Hängekonstruktionen im öffentlichen Raum oder eignen sich das Produktionssystem großer pneumatischer Objekte in einer Weise an, dass man sich in einem unendlich scheinenden 3-D-Netz verliert.

Speziell ihre z. B. im Wiener Odeon, vor der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, im Palazzo Strozzi in Florenz oder über der Western Terrace des Federation Square in Melbourne realisierten Tape-Installationen machten Numen/For Use international bekannt. Zuletzt war es die Eingangshalle des Palais de Tokyo in Paris, wo sie im Rahmen der Ausstellung „Inside“ mit einer 50 m langen und 6 m hohen Raumskulptur aus 43 km Klebeband für Aufsehen sorgten. Ihre direkte und handwerkliche Herangehensweise folgt immer dem selben Prinzip: Vorgefundene Säulen, Öffnungen, Stangen oder Bäume dienen als Trägerstruktur, an die die Gebilde wie ein Parasit andocken. In einem ersten Schritt werden Klebebänder längs durch den Raum gespannt. Dieses Gewirr an Linien wird dann immer und immer wieder radial umwickelt, bis eine geschlossene hautartige Oberflächenstruktur erreicht wird. Fast automatisch entstehen dabei Körper, deren hochkomplexe Geometrien an gewachsene biomorphe Formen erinnern. Gleichzeitig wird durch das permanente Überkleben eine Art Gewebe geschaffen, dass über eine so hohe Festigkeit verfügt, dass es das Gewicht mehrerer Menschen tragen kann. Das Gehen und Kriechen durch die sich verengenden und weitenden Räume vermittelt zugleich ein Gefühl der Geborgenheit wie einen gewissen Nervenkitzel, lässt Erwachsene zu Kindern werden und fasziniert auf sehr unmittelbare Weise.

Die Idee zu diesen Tape-Installationen stammt ursprünglich aus der Beschäftigung mit einem Bühnenbild für eine Tanzperformance. Während der Bewegung der Tänzer zwischen Pfeilern sollte durch das Nachziehen von Klebebändern die Bewegung im Raum dokumentiert werden, die Choreografie quasi dreidimensional „aufgezeichnet“ werden. Dieses Bühnenbild wurde nie realisiert, die Idee jedoch später für ein Theaterstück wieder aufgegriffen. Überhaupt stellte die bühnenbildnerische Arbeit einen wichtigen Wendepunkt innerhalb der Entwicklung des von Sven Jonke, Christoph Katzler und Nikola Radeljković gebildeten Kollektivs dar. Die drei Industriedesigner schlossen sich während ihres Studiums an der Universität für angewandte Kunst in Wien unter dem Label „For Use“ zusammen. Anfänglich waren sie vorrangig im Bereich des Möbeldesigns tätig und entwarfen funktionelle, im Detail raffinierte Produkte, u. a. für international bekannte Firmen wie Moroso, Zanotta, MDF Italia, Cappelini, Magis und Interlübke. Parallel dazu engagierten sie sich in der freien Club- und Kunstszene in Zagreb, konzipierten Ausstellungsarchitekturen, Messestände und visuelle Identitäten für kulturelle Veranstaltungen. Im Vorfeld zur Ausstellung 34th Zagreb Salon 1999, deren Gestaltung das erste umfassende Design-Projekt der Gruppe war, führten sie für alle über das Industriedesign hinausgehenden Projekte das von Kants Begriff des Noumenon („Ding an sich“) hergeleitete Label „Numen“ ein.

Mit dem Auftrag für das Bühnenbild für „Inferno“ am Centro Dramático Nacional in Madrid verlagerte sich der Schwerpunkt von Numen/For Use seit 2004 auf die Szenographie, wo sie sehr radikale Experimente umsetzten: Eine die ganze Bühne einnehmende Box aus Glasspiegeln mit Lichtbändern entlang den Innenkanten und einer Spionspiegelwand Richtung Publikum, ein sich in einzelne Stoffbahnen zerteilender roter Theatervorhang als einziges Requisit, rotierende und reflektierende Paneele, wasserlösliche Folie, die sich im Lauf des Stücks mehr und mehr auflöst oder eine riesige, mit Luft gefüllte Membrane.

Parallel zu den szenografischen Auftragsarbeiten realisiert die Gruppe seit 2008 begehbare Installationen in Museen, bei Festivals sowie im öffentlichen Raum und experimentelle Arbeiten wie die N-Light Series. Die sehr unterschiedlichen Tätigkeitsfelder überlagern sich zunehmend, Objekte werden zu Architekturen, Szenographien zu Installationen, die Spannung zwischen Design, Bühnenbild, Architektur und Kunst wird zum Spielfeld für das Experiment.

Ob aus Klebeband, Netzen oder Seilen gefertigt, frei im öffentlichen Raum stehend oder innerhalb einer pneumatischen Hülle – was die Installationen von Numen/For Use verbindet, ist zum einen das Thema der Wahrnehmung, die Instabilität oder Fragilität der Konstruktion, das Gefühl des Schwebens. Zum anderen ist es die Interaktion mit dem Benutzer, der in der Aneignung der vergänglich-flüchtigen Architekturen selbst zum Akteur wird oder als Zuschauer beobachtet. Die ungewohnte Umgebung, ihr Durchkriechen oder Durchklettern schafft eine ganz eigene Art der Verbindung zwischen einander unbekannten Menschen und weckt den Spieltrieb – unabhängig vom Alter oder ob man an Kunst, Architektur und Design interessiert ist. Ein Aspekt, der für Numen/For Use sehr wichtig ist – vielleicht auch, weil es im Bereich von Design oder angewandter Kunst immer darum geht, den Menschen etwas zu geben, das sie mögen oder das ihnen Freude macht.

Für die Ausstellung „Out of Balance“ im aut entwickelte Numen/For Use eine völlig neuartige Form der Installation, in der die Konzepte von Tape, Net und String kombiniert werden. Ausgehend von der bestehenden Architektur spannt sich eine begehbare, röhrenartige Netzkonstruktion von der Galerie über die Lounge bis in die untere Ebene. Neben dieser, die BesucherInnen aktiv involvierenden Rauminstallation, zeigt Numen/For Use ein pneumatisches Objekt sowie eine N-Light Membrane und gibt – anhand von Arbeitsmodellen, Filmen und Fotos – einen Einblick in den Entstehungsprozess der raumgreifenden Installationen und szenographischen Arbeiten des Kollektivs.

Kurz vor Ausstellungsende findet ein Vortrag von Christoph Katzler statt, bei dem er die verschiedenen Tätigkeitsfelder von Numen/For Use vom Design über das Bühnenbild bis zum Experiment vorstellen wird.