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Die Tür des mit weißer Baufolie verkleideten Raumteilers im kjubh fällt hinter dem Besucher zu und er befindet sich in einer fensterlosen Situation mit fast klinischer Atmosphäre, aseptisch bis auf die Hinterlassenschaften der Tauben, die der Künstler hier während der Eröffnung frei gelassen hatte. Zentral platziert ist der Nachbau einer Mobilfunkantenne, ringsum kahle Wände, in den Raumecken je ein umbauter Lautsprecher, aus dem ein mehrspuriger Soundfile in Dolby-Surround-Qualität ertönt, dominiert von einem „Shepherd-Ton“, so genannt nach seinem Entdecker: Ein Ton, der die Illusion permanenten Anschwellens erzeugt, schon nach wenigen Minuten ein Geräusch von quälender Wirkung, denn eine erlösende Klimax gibt es nicht. Eine Versuchsanordnung? Wer sendet, wer empfängt? Dem Soundfile ist ein 45minütiger gesprochener Text unterlegt, die übrigen Spuren sind Sinuskurven aus sehr hellen oder besonders tiefen Tönen zwischen 63 und 100 Megaherz, äußerst unangenehm für das menschliche Gehör.

Der Text aus dem Internet gibt eine Verschwörungstheorie wieder, über ein angebliches Vorkommnis in Großbritannien während der Thatcher-Ära: Die Regierung soll, unbemerkbar für die Bevölkerung, über Mobilfunkantennen Mikrowellen, präziser ELF (extremely low frequency)-Wellen, in problematische Stadtgebiete gesendet haben, um dort Aufstände zu unterdrücken. Diese Wellen sollen Aggression unterbinden, dämpfend auf die Psyche wirken. Das in der Tonspur eingeblendete Gelächter kommentiert diese Theorie spöttisch. Und doch: Es bleibt eine Verunsicherung, denn noch ist nicht exakt erwiesen, was solche Wellen tatsächlich bewirken.

Der Titel der Ausstellung „Sleeping Beauty Syndrome I“ rekurriert auf den Codenamen eines militärischen Projekts der Reagan-Regierung in den USA, in dem ein Waffensystem mit Mikrowellen erforscht wurde, das vorübergehend auch im Irak eingesetzt wurde.

Oliver Kunkel entwickelt seine Installationen am Computer: Dort werden 3-D-Vorbauten des Ausstellungsraums und virtuelle Modelle aller darin befindlichen Objekte konstruiert. Die Arbeit an diesen Objekten vergleicht Kunkel mit der eines klassischen Bildhauers: Erst wird eine Grundform gebaut, die dann mittels Shaping und Rendering ihre endgültige Erscheinung erhält, perfektioniert bis hin zu Spiegelungen des virtuellen Umfelds in der Oberfläche. Auf den Computerausdrucken im Vorraum des kjubh sind solche Objekte zu sehen: In einer märchenhaft anmutenden Szenerie krümmen sich zu Füßen eines mächtigen Baums wesenartige, bauchige Formen, deren „Hälsen“ eine blutrote zähe Flüssigkeit entströmt – Opfer wovon? Die Bilder sind Ausschnitte einer virtuellen Kamerafahrt, die in ihrem Verlauf preisgibt, was mögliche Ursache für den Zustand der Dingwesen sein könnte: Im Wipfel des Baums verborgen befindet sich eine Mobilfunkanlage. Wie in anderen thematisch verwandten Arbeiten beschäftigt Oliver Kunkel sich auch hier mit diffusen Ängsten in Bezug auf technische Entwicklungen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und die im „Shepherd-Ton“ symbolisierte exponentielle Woge des permanenten Wirtschaftswachstums. Die Aktion „Mosquitobox“, 2003 in Ljubljana, ruft die Diskussion um die Aidsforschung ins Bewusstsein: Ein Glaskasten mit 400 vorgeblich mit dem HIV-Virus infizierten Mücken wird durch einen fingierten Unfall beschädigt, die Mücken entweichen und lösen eine Panik aus. „Ritalin family“ befasst sich 2005 mit dem häufig auch ohne nachweisliche Indikation verordneten Medikament „Ritalin“, zur Therapie des ADS-Syndroms bei Kindern und Jugendlichen.

Kunkel verunsichert in seinen computergenerierten Bildern, in Videos, Aktionen und Installationen den Betrachter und schafft ironische, manchmal beklemmende Metaphern für die allgegenwärtige Manipulation und Desinformation in den Medien oder durch die Wirtschaftslobby, der man auf Konsumentenseite entweder mit Hysterie, Verdrängung oder unreflektierter Affirmation begegnet.

Oliver Kunkel ist 1973 in Frankfurt geboren und lebt in Köln. Er hat an der Kunsthochschule für Medien in Köln und als Gaststudent bei Rosemarie Trockel in Düsseldorf studiert.

Am Samstag, dem 14.6., findet ab 16 Uhr ein Gespräch mit dem Künstler statt.

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Oliver Kunkel
Sleeping Beauty Syndrome I
Installation (Skulptur - Soundsystem - Prints)
Eingeladen von Nina Kretzschmar