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Zu Beginn der 1960er Jahre entsteht mit Op Art und Kinetik eine Kunst mit starkem Interesse am Objektiven und dem wissenschaftlichen Experiment. Fasziniert von den physikalischen Gesetzen des Lichts und der Optik verschreibt sich eine ganze Generation der Untersuchung visueller Phänomene und Wahrnehmungsprinzipien. Die Täuschungsmöglichkeiten des Auges auslotend, setzen Künstler wie Victor Vasarely, Bridget Riley, François Morellet, Julio Le Parc oder Gianni Colombo auf die gezielte Irritation. Mit großformatigen Bildern, Objekten und Environments bringen sie aber nicht nur das Auge des Betrachters in Bewegung. Sie lassen den Besucher in Farbe versinken, im Spiegel ins Unendliche stürzen oder bieten ihm poetische Lichtspiele. Die Interaktion zwischen Werk und Betrachter gipfelt in Installationen, die letztlich nicht nur physikalische Wirkungen in Form von Nachbildern, Farbvibrationen oder dem Flimmern von Licht entfalten, sondern auf das gesamte Bewusstsein wirken.

Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt: „Die starke Verschränkung von Kunstschaffen und Wissenschaftserkenntnis ist nur eines der essentiellen Themen der Moderne, das in den Kanon der jüngeren und jüngsten Kunst eingeflossen ist und bereits von der Op Art formuliert wurde. Vielfach sind Errungenschaften wie diese anderen Strömungen zugewiesen worden, und häufig ist in Vergessenheit geraten, dass die Op Art eine revolutionäre Kunst in einer revolutionären Zeit war.”

Martina Weinhart, Kuratorin der Ausstellung: „Die Perspektive der historischen Rückschau bietet einen erweiterten Blick auf eine Kunst, die ein ganzes Universum aus den Möglichkeiten der Wahrnehmung entwickelt hat und sicher nicht mit einer Engführung auf diesen Aspekt zu fassen ist. Die Op Art berichtet uns vom Sehen als Überschreitung, von der Erkenntniserweiterung des Auges als aktivem Organ, vom Ausbruch aus der traditionellen Bildästhetik und von einer in ihrer Multidimensionalität kaum vom Auge erfassbaren Welt. Das ist nicht wenig an Erkenntnis, was die Visual Culture für heute mitnimmt.”

Die Op Art spielt mit den sensorischen Voraussetzungen des Betrachters. Sie ist eine Kunst, die das Auge gezielt überlastet. Aus dieser Überforderung des menschlichen Sehorgans entstehen Effekte wie Kontrastwirkung, Überstrahlung, Nachbild, das Gefühl räumlicher Bewegung, simultane Farbwirkungen, die aus einem Schwarzweißbild ein farbiges machen, wobei die Farbe gänzlich in der Wahrnehmung des Betrachters erzeugt wird. Die Strategien der Op Art verhindern eine Adaptierung des Auges und schalten sich zwischen das Sehen und das Verstehen. Die Op Art lässt uns Dinge sehen, die gar nicht da sind, und leistet auf diese Weise „Bewusstseinskritik”. In einem sich selten stabilisierenden, prozesshaften Sehen, das nie vollkommen sein kann, entfaltet sich die Idee, dass das reine Sehen eine Illusion bleiben muss. Von „optischen Effekten” zu sprechen, vermag das Phänomen nur am Rande zu beschreiben. Es geht um die Erfahrung der Grenzen der Wahrnehmung, die weit über das Sehen hinausgeht, um Erfahrungen des sensuellen wie psychischen Apparates, die den Körper ebenso erfassen wie sie auf eine rezeptive Einbeziehung auf intellektueller Ebene zielen.

Mitte der 1960er Jahre etabliert sich die Op Art in einem wahren Siegeszug durch Europa wie auch Amerika, wobei sich Zentren nicht nur in den USA und Westeuropa, sondern auch in Lateinamerika und Osteuropa herausbilden. Somit ist die Op Art eine der wenigen Kunstrichtungen mit wahrhaft globaler Verbreitung innerhalb unterschiedlichster politischer und kultureller Kontexte – eine Tatsache, die nicht zuletzt der Universalität der künstlerischen Mittel geschuldet ist, unterstützt durch eine Form der Wahrnehmung, die außer einem offenen Auge zunächst wenig verlangt. Die Op Art ist eine Kunst, die auch ohne Vorkenntnisse auszukommen und eine spontane Erlebbarkeit des Werkes zu garantieren vermag.

Die Ausstellung „Op Art” präsentiert in einem großen Überblick die wichtigsten Positionen der Strömung. Dabei nimmt sie keine Trennung zwischen zweidimensionalen Bildern und dreidimensionalen Objekten vor. Zentral in der Argumentation, die für eine gemeinsame Betrachtung von Kinetischer Kunst und Op Art plädiert, ist die Beobachtung, dass sich diese Kunst nicht fixieren lässt. Nur in der Zusammenschau der unterschiedlichen Medien entfaltet sich das raumgreifende Konzept einer Malerei, die nach dem Ambiente greift und erst im Raum zwischen dem Bild und dem Betrachter entsteht. Op Art und Kinetik interessieren sich für die Idee des wirkenden „Bildes”, das die mechanische mit der virtuellen Bewegung vereint und weniger auf die Existenz der Form oder des Materials fokussiert ist. Dabei überlagern sich unterschiedliche Aspekte: die mechanische, tatsächliche Bewegung, die optische Bewegung durch eine Standortveränderung des Betrachters, Bewegungserscheinungen durch Wahrnehmungseffekte wie das Flimmern zwischen den Linien und schließlich die perzeptuelle Bewegung durch Umkehrerscheinungen im Bild. Zudem gestalten sich die Übergänge zwischen diesen Bereichen fließend. Häufig ist die Hybridität der Bewegungsform bereits im materialen Charakter von dreidimensionalen Bildobjekten gegeben, wie Jesús Rafael Sotos "Vibrationsstrukturen" oder Yaacov Agams „Tableaus transformables”, verwandelbare Bilder, die der Betrachter mit seinen Händen umbauen soll.

Im Zentrum der Ausstellung stehen die großen Bildformate und umfassende Rauminstallationen, ist doch in Arbeiten, die auf die Integration des Betrachters zielen, die Bildwirkung in hohem Maße von der Größe abhängig. Deren hypnotische Effekte, ihr Pulsieren steigert sich in Dimensionen, die große Teile des Sichtfeldes des Betrachters einzunehmen vermögen. Bridget Riley, Richard Anuszkiewicz oder François Morellet lassen ihre künstlerischen Mittel in diesem Sinne kulminieren. Die Grüße des Formats, die einer Eroberung des gesamten optischen Feldes des Betrachters gleichkommt, wird auf diese Weise bisweilen zu einer Strategie der Überwältigung (perzeptiver Zwang). Mit großformatigen Bildern, in Environments und Installationen versetzen die Künstler der Op Art nicht nur das Auge des Betrachters in Bewegung. Die Interaktion zwischen Werk und Betrachter - ein zentraler Topos der zeitgenössischen Kunst - gipfelt in Installationen, die den ganzen Körper erfassen und letztlich eine nicht nur physikalische Wirkung in Form von unerwarteten Nachbildern, Farbvibrationen oder dem Flimmern von Licht entfalten. Hintergrund dieser Wahl ist die spezifische Interaktion zwischen Bild und Betrachter, mit der die Op Art einen wichtigen Ansatz einer neuen Ästhetik generiert hat. Ein Denken in Räumen ersetzt das Denken in Objekten.

Rauminstallationen von Gianni Colombo mit seinem „After Structure” (1964-67), Davide Boriani mit seinem „Ambiente stroboscopico” (1967) oder auch Julio Le Parc mit „Lumière en vibration” (1968) nehmen den Betrachter in sich auf und zielen auf eine umfassende Intervention seiner Sinne. Die Verunklärung des Raumes und das Gefühl der Desorientierung finden sich in Christian Megerts eindruckvollem „Spiegelraum”, realisiert auf der „documenta 4” von 1968, der den Betrachter scheinbar ins Bodenlose fallen lässt. Carlos Cruz-Diez mit seiner „Chromosaturation” (1965) oder Otto Piene mit seinen Lichträumen folgen dagegen einem eher kontemplativen Aspekt der Raumkunst und zeigen dem Besucher das Potential dieser Arbeiten in all ihrer Vielfalt und Variationsfähigkeit. Insgesamt vereint die Ausstellung neun dieser sensuell spektakulären Environments, die zum Teil seit den 1960er Jahren erstmals wieder zu sehen sein werden.

KÜNSTLERLISTE: Yaacov Agam, Getulio Alviani, Giovanni Anceschi, Richard Anuszkiewicz, Marina Apollonio, Alberto Biasi, Hartmut Böhm, Davide Boriani, Martha Boto, Pol Bury, Gianni Colombo, Toni Costa, Franco Costalonga, Carlos Cruz-Diez, Bill Culbert, Dadamaino, Hugo Demarco, Gabriele De Vecchi, Milan Dobeš, Günter Dohr, Angel Duarte, Günter Fruhtrunk, Horacio Garcia Rossi, Hermann Goepfert, Gerhard von Graevenitz, Franco Grignani, Gruppo MID, Gruppo N, Edoardo Landi, Wolfgang Ludwig, Adolf Luther, Heinz Mack, Enzo Mari, Almir Mavignier, Christian Megert, François Morellet, Julio Le Parc, Helga Philipp, Otto Piene, Bridget Riley, Paolo Scheggi, Nicolas Schüffer, Francisco Sobrino, Jesús Rafael Soto, Joël Stein, Zdenek Sýkora, Luis Tomasello, Gregorio Vardanega, Grazia Varisco, Victor Vasarely, Ludwig Wilding, Yvaral, Walter Zehringer.

KATALOG: „Op Art”. Hg. von Martina Weinhart und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten von Frances Follin, Claus Pias, Martina Weinhart. Deutsch-englische Ausgabe, 320 Seiten, ca. 220 farbige Abbildungen, Verlag der Buchhandlung Walther König, ISBN: 978-3-865660-206-0