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OSCAR TUAZON Über die letzten Jahre hinweg hat die Kunsthalle Bern immer wieder radikale Interventionen im Ausstellungsraum durchgeführt, wie zum Beispiel in den Ausstellungen von Corey McCorkle (2005), Rita McBride/ Koenraad Dedobbeleer (2008) und Gerwald Rockenschaub (2008). In dieser Tradition präsentiert die Kunsthalle Bern auch die neuen, ortsspezifischen Installationen des amerikanischen Künstlers Oscar Tuazon. Tuazons erste Schweizer Einzelausstellung stellt den in den USA und Frankreich bereits beachteten Künstler erstmalig einem deutschsprachigen Publikum vor. Tuazon arbeitet vor allem mit den Medien Installation und Skulptur. Nach Meinung des Künstlers ist es unmöglich, im Ausstellungsraum architektonisch tätig zu werden, da dort alle Probleme, für die Architektur zuständig ist, schon gelöst sind: Der Raum wird von einem Dach bedeckt, das wiederum von vier Wänden getragen wird; auch ein Heizsystem und ein Boden sind vorhanden. Aber was wäre, wenn ein Kunstwerk neue Probleme für einen Raum und ein Gebäude kreiert? Was, wenn die existierenden Strukturen sich anpassen, sich gleichsam neu bilden müssen, um dem Werk gerecht zu werden? Tuazons jüngere Arbeiten sind geprägt von einer zentralen These: Architektur stellt eine Art der Besetzung dar, die eine bestimmte Lebensweise reflektiert. Tuazons Auffassung nach spiegeln Bauwerke weniger eine Art von Design und durchdachter Konzeption wider, sie sind vielmehr Manifestationen einer Lebensführung, die ihre Umgebung geformt hat. In der Kunsthalle Bern wird der Künstler die Grenzen des Gebäudes erkunden, indem er im Ausstellungsraum eine neue Struktur konstruiert, ein ‚Gebäude-im-Gebäude’. Tuazon beschreibt diese Unternehmung als „Übereinanderlegung und Kombination von zwei Strukturen, eine Struktur, die im Innern der anderen wächst, ein Renovationsplan, der über ein existierendes Gebäude gelegt wird, zwei kopulierende Strukturen.“ Die grossen, leeren und archetypischen Ausstellungsräume der Kunsthalle Bern sind in gewisser Weise noch immer nach einem häuslichen Vorbild modelliert; sie wirken wie ein bürgerlicher Wohnraum, der in absurder Weise vergrössert wurde (man nimmt ein grosses Wohnzimmer wahr, eine Küche, ein Esszimmer, ein grosses Schlafzimmer und ein Kinderzimmer, eine Bibliothek und ein Gästezimmer im unteren Stockwerk). Die Wände dieser Räume sind vergrössert und erweitert, sodass man Kunstwerke auf ihnen anbringen kann. Die Kunsthalle ist eine Struktur, die Kunstwerken ein „Heim“ bieten soll – aber es ist keinesfalls der Daseinszweck einer architektonischen Struktur, andere architektonische Strukturen zu behausen. An diesem Punkt setzt Tuazons Bauwerk-im-Bauwerk an; es wird Löcher in die Wände der Kunsthalle bohren, in alle Wände, die tragende Funktion haben. Sein Werk attackiert das Gebäude und seinen intendierten Zweck, der sich in der Architektur manifestiert: die alte bürgerliche Idee eines Heims für Kunst, eines Kunstraums, den Gedanken, dass es überhaupt einen Raum für Kunst geben kann. Und natürlich scheitert es trotz seiner Bemühungen. Es gelingt dem Werk nicht, etwas Permanentes zu tun, die einzige, unmögliche, ewige Bedingung des Ausstellungsraums zu subvertieren: dass er nämlich leer bleibt. Irgendwie betont die aufwendige Art des Werks sein Versagen noch. Das Werk ist abhängig vom Gebäude; die Löcher in der Wand werden Teil des strukturellen Systems, das die neue Struktur aufrechterhält. So entpuppt sich der Kampf um eine gewisse Autonomie als sinnlos oder als falsches Ziel. Tuazon gewinnt seine Inspiration aus den Widersprüchen, die aus unterschiedlichen Raumnutzungen hervorgehen, aber auch aus Strategien im Umgang mit Schwierigkeiten wie minimalen Mitteln und abgeschiedenen Orten, oder parasitären Verhältnissen zu anderen ökonomischen Systemen. Tuazon interessiert sich für den Widerstand und die Herausforderungen, die ein unabhängiger menschlicher Überlebensinstinkt gegen seine Umgebung aufbringen kann. Tuazon visualisiert potenzielle Behausungen, die einer Do-it-yourself-Ästhetik entsprechen. Für ihn repräsentieren diese Bauwerke einen maximalen Grad an Freiheit, da sie unabhängig von irgendwelchen Organisationen und zivilisatorischen Regulativen erbaut und bewohnt werden können. Seine Autonomiemodelle referieren zumeist auf die grundlegenden Strategien und Mittel des Überlebens, so zum Beispiel Unterkunft, Nahrung und Tarnung. Diese Erkundungen alternativer und individueller Lebensweisen sollen keinen Kommentar zur aktuellen Wirtschaftskrise bilden, evozieren aber durchaus andere momentan populäre Modelle des Erinnerns und der retrospektiven Reflexion, die nach einer Vereinfachung der Gesellschaftsordnung streben. Solche Denkprozesse beschäftigen den Autor, Herausgeber und Kurator Oscar Tuazon, der aber vor allem als einer der interessantesten und radikalsten Bildhauer seiner Generation gelten darf. Tuazons Arbeitsweise lässt sich am ehesten als eine Art zeitgenössische skulpturale Bricolage charakterisieren, die aufgrund ihrer erfindungsreichen Verwendung natürlicher und industriell gefertigter Materialien an Arte Povera gemahnt. Im heutigen ‚Kunst-System’, das entwickelter und institutionalisierter ist als je zuvor, bilden solche ‚underground’-Aktivitäten einen Impetus zur Reflexion über künstlerische Möglichkeiten, die eine gewisse Unabhängigkeit beibehalten. Diese Art von autonomer Besetzung und Inbesitznahme bringt eine Arbeitsweise mit sich, die ohne fixen ‚Plan’ auskommt und sich lokalen Gegebenheiten und unerwarteten Veränderung flexibel anpasst. Im Zuge seiner Ausstellung in der Kunsthalle Bern wird der erste umfassende und reich illustrierte Katalog zu Tuazons Schaffen der letzten Jahre erscheinen. Dieser Katalog ist eine Zusammenarbeit mit dem Centre international d’art et du paysage de Vassivière und Parc Saint Léger – Centre d’art contemporain du Pougues-les-Eaux in Frankreich, wo ebenfalls Einzelausstellungen von Oscar Tuazon stattfanden beziehungsweise stattfinden werden.

Oscar Tuazon wurde 1978 in Seattle, Washington, USA geboren und lebt und arbeitet seit 2007 in Paris, Frankreich.  

MANUEL BURGENER Zeitgleich mit der Einzelausstellung von Oscar Tuazon zeigt der Berner Künstler Manuel Burgener in den unteren Räumen der Kunsthalle seine neueren Werke. Burgeners Arbeiten spielen auf einfachste Art und Weise mit der Oszillation zwischen der Ent- und der Verzauberung unserer Welt. Ob es sich nun um Skulpturen, Photographien oder Installationen handelt: Burgeners Werke sind sowohl Spur als auch Signal; sie lenken den Blick und die Gedanken der Betrachterin an andere Orte, die zugleich real und fiktiv sind. Man ist versucht zu konstatieren, dass dieser Künstler eine neue visuelle Sprache kreiert, aber eigentlich bricht er die Sprache, die wir kennen, auf ihre Bestandteile herunter, fragmentiert und verfremdet sie. Burgener organisiert eine ambivalente 'Präsenz' für seine Objekte, oder besser: seine Bilder. Der französische Philosoph Henri Bergson definierte das Bild als Existenzform, was mehr ist als das, was die Idealisten als "Repräsentation" bezeichnen würden, aber weniger als das, was die Realisten "Ding" nennen. Genau in diesem Zwischenraum ist Burgeners unprätentiöses Oeuvre zu situieren: Wir haben es mit einer Existenzform zwischen  Repräsentation und Ding zu tun. Indem er einfache Materialien und Mittel verwendet und sie in prägnanten und lapidaren Kompositionen vereint, spielt Burgener mit unserer Wahrnehmung und demaskiert das vermeintlich Selbsterklärende und Selbstverständliche mit eleganten und leichten Gesten.

Manuel Burgener, geboren 1978, lebt und arbeitet  in Burgdorf und Bern, Schweiz.

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