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Zeitgenössische Kunst aus Österreich bewegt sich häufig am Rande und in Opposition zu der so genannten feinen Gesellschaft. Das hat in Österreich Tradition, nicht nur unter Vertretern der bildenden Kunst, sondern auch im Theater und in der Literatur sind Kunst und Provokation eng miteinander verknüpft. Individualitäten wie beispielsweise Elfriede Jelinek oder Thomas Bernhard stehen, wie sonst kaum anderswo so gravierend zu finden, für eine deutliche Distanz zwischen den Kunstschaffenden und der Politik. Das Provokative liegt im Wesen der österreichischen Kunst.

Im Zentrum der Ausstellung steht der Mensch.

Mit vorwiegend figurativen Darstellungen, die klagen und anklagen, vertuschen und aufdecken, liebäugeln und frech drein schauen, wird die Spannweite menschlichen Lebens von der Geburt bis zum Tode gezeigt, ohne dabei Themen wie Liebe, Sex, Gesundheit und Krankheit, verlogene Alibiwahrheiten und falsch verteilte Gerechtigkeiten zu vernachlässigen.

Als Metapher zur Ausstellung dient eine volle Kaffeetasse mit Untertasse, die am oberen Tassenrand überläuft. Dieses Bild wird für die Einladung, das Plakat und die Werbung eingesetzt. Das Thema Österreich wird auf dem Werbeplakat durch eine barocke Tasse mit Untertasse dargestellt, ein Bild des Flusses und Überflusses. Der obere Tassenrand einer voll gefüllten Kaffeetasse unterliegt der ständigen Schüttelung, wobei mal Sahne, mal Kaffee, mal ein Gemisch von Kaffee und Sahne am oberen Tassenrand überschwappt und entlang der Tasse außen hinuntertröpfelt. Ein Intermezzo von polarisierenden Flüssigkeiten, schwarzem Kaffee und weißer Sahne, die innerhalb der Tasse behäbig in einen barocken und übersättigten Zustand verweilen, die aber in eine Existenzkrise geraten, sobald sie zum oberen Rand angespült werden und sich außerhalb der heimischen Brühe triefend in die Untertasse verlieren.

Wunderkammer Österreich, Austria im Rosennetz, so nannte Harald Szeemann, vielleicht der bedeutendste Kurator weltweit, seine Ausstellung, die im MAK, dem Österreichischen Museum für angewandte Kunst in Wien, 1996 erstmalig gezeigt wurde, danach im Kunsthaus Zürich und anschließend im Palais des Beaux-Arts in Brüssel 1998 zu sehen war. Als uriger Schweizer Eidgenosse erfasste er wie kein anderer Ausstellungsmacher je zuvor die Kreativität eines Landes über einen Mix von Historie, Wissenschaft, Volkstümlichkeiten und Kunstentwicklung.

Szeemann sagte: "Für mich gibt es nur drei Länder in Europa, die man 'Visionär' behandeln kann: die Schweiz, Österreich und Belgien."

Und der damalige Herausgeber des Katalogs, Peter Noever, Direktor des MAK in Wien und der Kurator der jetzigen Ausstellung "Wiener Werkstätte" im Bozar in Brüssel, stellte in seinem Vorwort die Frage: "Kann es tatsächlich gelingen, ein Rosennetz zu knüpfen, das fein und zugleich weitmaschig genug ist, sodass sie alle in ihm enthalten und aufgehoben sein können?"

"Österreichische Kunst am oberen Tassenrand" gibt sich mit einem leicht ironischen Duft keinesfalls den Anspruch auf eine Gesamtschau Österreichischer Kunst, sondern will das 'künstlerische Temperament' aufgreifen, das sich frei bewegt und keine Enge duldet.

Francis Feidler Kurator der Ausstellung und Direktor des ikob

Pressetext

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Österreichische Kunst am oberen Tassenrand
Eine Ausstellung im Rahmen der Österreichischen Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union 2006
Kurator: Francis Feidler

mit Hermann Nitsch, Franz West, Günter Brus, Arnulf Rainer, Erwin Wurm, Adolf Frohner, Elke Krystufek, Manfredu Schu, Oswald Oberhuber, Marco Lulic, Karin Frank, Ellen Semen, Eva Schlegel, Aglaia Konrad, Thomas Stimm, Casaluce-Geiger, Michaela Moscouw, G.R.A.M.