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BERGE VERSETZEN – – – oder: Das Matterhorn zu Besuch im Appenzellerland

Für seine erste museale Einzelausstellung in der Schweiz versetzt der deutsche Bildhauer und Konzeptkünstler Ottmar Hörl (*1950) das Matterhorn in das Appenzellerland. Dieses Wahrzeichen der hochalpinen Welt soll zwar nicht an die Stelle des ebenso markanten Säntis treten, der die Silhouette des Alpsteins prägt und der zugleich eine der Schnittstellen der drei Kantone Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden und St. Gallen ist. Das Matterhorn, das aufgrund der medialen und touristischen Vervielfältigung inzwischen weltweit als Zeichen des „Bergs an sich“ erkannt wird, wird von Hörl eher genutzt, um eine seiner künstlerisch-ethischen Intentionen in einer Form zu gestalten: „Berge versetzen“ ist eben nicht nur ein Wortspiel, sondern auch ein Hinweis auf das utopische Potential beziehungsweise auf den Wunsch nach kreativer Weltveränderung, die der modernen Kunst seit ihren Anfängen eingeschrieben sind. Darüber hinaus führt die Präsentation der 96 Matterhörner in der Kunsthalle Ziegelhütte jene orts- und geschichtsbezogenen Interventionen im öffentlichen Raum weiter, die Hörl in den letzten 15 Jahren umgesetzt hat. Er bezieht sich damit nicht ausschliesslich auf die Lage des Ausstellungshauses in den Voralpen, sondern ebenso auf die Geschichte der Stiftung Liner Appenzell und ihrer beiden Kunsthäuser, deren Gründung auch ein Akt des „Berge Versetzens“ war – und die seit 1998 unterschiedlichste skulptural, plastisch und installativ arbeitende Künstler vorgestellt hat. Die serielle plastische Reproduktion des Matterhorns – das einzelne Matterhorn kann während der Ausstellung von den Besuchern erworben und unmittelbar mitgenommen werden – bietet den Besuchern die Gelegenheit, am plastischen Prozess, an der Herstellung des eigentlichen Kunstwerks, dem Erlebnis der Teilhabe und der Gemeinschaft, mitzuwirken: der Besucher kann im wörtlichen Sinne „Berge versetzen“. Damit realisiert Ottmar Hörl in Appenzell eine weitere Konstante seines plastischen Schaffens: neben der (Re-) Produktion von Populationen die Herstellung von Partizipation – einem der wichtigsten Momente aufgeklärter, nicht hierarchischer, mithin demokratischer Gesellschaften. Der Besuch des Matterhorns wird auf den drei Stockwerken der Kunsthalle Ziegelhütte durch weitere Werkgruppen ergänzt, die zwar ausschnitthaft, aber dennoch retrospektiv einen Überblick über die Spannbreite des Gesamtwerks von Hörl von 1988 bis heute geben, darunter die frühen Fotokonzepte, in denen Hörl neben der Landschaftsmalerei die Fragen des menschlichen und apparativen Sehens, der Wahrnehmung, überhaupt, thematisierte. Einen ganzen Raum nimmt das Werk Eine Population ein, das heute als Denk- und Sehmal für die Kuhbevölkerung des Stadtraums Passau im Jahr 1992 gesehen werden kann. Als weitere plastische Hauptwerke werden die Werkgruppen Moderne Kunst I und II aus dem Jahr 2008 vorgestellt, die zwei Pole der modernen Plastik, die biomorphe und die konstruktive Gestaltung, gegenüberstellen – und die in dieser Konfrontation die Konsequenzen künstlerischer Entscheidungen vor Augen führen: nicht nur für das Kunstwerk, sondern auch für die Weltsicht.

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Das Koordinatensystem des künstlerischen Konzepts von Ottmar Hörl wird in der Ausstellung in der Kunsthalle Ziegelhütte transparent. Die Vielschichtigkeit seines Umgangs mit Wirklichkeit und Kunst wird erfahrbar. Der Besucher kann sehen, dass die Kunst Hörls erstens ein Zitat zu den künstlerischen, technischen und intellektuellen Möglichkeiten unserer Gegenwart ist; zweitens ein ästhetisches Produkt, das Gefallen oder Missfallen auslöst; drittens ein Werk, das Leben nicht nur spiegeln, sondern Lebensraum gestalten will; viertens die Gestaltung fluktuierender ästhetischer Realien, die teils ironische Interpretationen, teils Um-Setzungen alltäglicher Beobachtungen sind: ähnlich wie Sisyphos wälzt Hörl die Wirklichkeit und die Kunst um – immer wieder neu und immer wieder anders.

Zur Ausstellung erscheint ein Begleitbuch im Steidl Verlag Göttingen, 64 Seiten, 58 Abbildungen, ein Essay von Roland Scotti.

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Ottmar Hörl
Berge Versetzen
Ort: Kunsthalle Ziegelhütte Appenzell