press release only in german

Den Mechanismus unserer Legitimationen legen Paul McCarthy und Mike Kelley frei. Sie arbeiten auf der Schattenseite der großen Erzählungen unserer Gesellschaft und obduzieren die Mythen, wie sie die populäre Literatur, vor allem aber das Fernsehen und der Film immer wiederholen. Im Mittelpunkt ihrer Hamburger Ausstellung steht das "Heidi-Haus", die Kulisse für einen Video-Film, der in der Geschichte vom Alpenmädchen die verborgene Triebstruktur zutage bringt. Um dieses Gemeinschaftswerk der beiden Künstler sind weitere wichtige Arbeiten gruppiert: Der Kunstverein zeigt die erste deutsche Museumspräsentation von Paul McCarthy, einem der einflußreichsten Figuren in der Kunstszene der amerikanischen Westküste. Von Mike Kelley, dem das Münchener Haus der Kunst gerade eine große Retrospektive widmet, sind zentrale Beispiele aus einzelnen Werkgruppen zusammengetragen worden. Die Skulpturen, Fotos, Installationen markieren nicht nur den Stand gegenwärtiger Kunst; sie kennzeichnen auch die Bruchstellen der Mediengesellschaft.

Die Arbeiten von Paul McCarthy, der 1945 in Salt Lake City geboren wurde, haben sich aus Performances entwickelt, die zu Beginn der siebziger Jahre entstanden. Mc Carthy denkt dabei noch an die Malerei, verwendet aber Ketchup, Senf und Mayonnaise. Je mehr sich McCarthy für die Welt von Fernsehen und Kino interessierte, umso mehr spielten diese Materialien auf Körperflüssigkeiten an. Die Figuren seiner Performances stammten häufig aus Comics oder TV-Serien. In den "Trunks" sind die Relikte der Performances gesammelt. McCarthys Skulpturen nehmen die Bildersprache der Aktionen auf. "Tomato Head" ist eine infantile Comicfigur, deren Körperöffnungen mit den herumliegenden Objekten verschlossen werden können. "Bavarian Kick" erinnert an die Technologie aus den Werkstätten für Spezialeffekte in Hollywood: Zwei Türen bewegen sich zur Seite und geben den Blick frei auf ein Bayrisches Pärchen, die zwei Bierkrüge aneinanderschlagen, bevor sie wieder in den Kulissen verschwinden.

Mike Kelley wurde 1954 in einem Vorort von Detroit geboren. Bis 1986 verfolgt er einzelne Themen projekthaft mit unterschiedlichsten Mitteln: Zeichnung, Video, Skulptur, Fotografie. Er präsentierte den Stand der Arbeit in unterschiedlichen Stadien öffentlich, zum Teil auch in Performances. Seit 1986 hat er Objekte produziert, die nicht mehr solchen Arbeitsprojekten angehören. Dazu gehören Skulpturen, die gebrauchte Stofftiere verwenden. Mit "Craft Morphology Chart" von 1991 zeigt der Kunstverein eine der zentralsten Installationen mit Stofftieren, die auf 32 Tischen wie zur Autopsie liegen. Kelley ist in seinem Kunstempfinden einerseits vom frühen US-Punk (u.a. Gemeinschaftsproduktionen mit der Band "Sonic Youth"), andererseits aber von der amerikanischen Mittelklasse-Kultur beeinflußt worden. In seinen Flaggen findet sich davon ein Echo.

Joanna Spyris "Heidi" wurde seit dem Erscheinen des Buches 1861 wiederholt verfilmt (1937 mit Shirley Temple) und dabei immer stärker vereinfacht, ikonisiert.

Heute existiert die Geschichte nur noch in Form assoziativer Bilder: eine sonnige Alpenlandschaft, ein schweizer Chalet, ein Jodler, eine Ziege. Unsere Kulturindustrie läßt diese Motive kursieren, gebraucht und verbraucht sie. In Vergessenheit geraten regenerieren sich die Bilder, um dann wieder in Gebrauch genommen zu werden. Wenn Paul McCarthy und Mike Kelley mit ihrem Projekt die Bilder wieder aufleben lassen, dann verhalten sie sich nach Art der Massenmedien. Die Rollen des Videos konzentrieren sich auf grundlegende Charakteren: die gute Heidi, der unfolgsame Peter, die böse Heidi, der besorgte Großvater... Andere Assoziationen fließen in die Geschichte ein: Ein Innenraum des Chalets erinnert an Adolf Loos; eine Fassade ist seiner amerikanischen Bar in Wien nachempfunden. Mit dem Naturmotiv von "Heidi" verbindet sich das der Moderne. "... die Leute waren schockiert, daß ich dieses kleine Mädchen in die Welten plazieren wollte, die ich schuf", erinnert sich McCarthy. "Sie haben nervös gelacht; es war lustig und dann wieder doch gar nicht lustig..."

Pressetext

only in german

Paul McCarthy - Mike Kelley
das Kränkeln der Ikonen