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Wolfgang Müllers Buch Valeska Gert – Ästhetik der Präsenzen (Martin Schmitz Verlag, 2010) war Ausgangspunkt und Impuls dieser Ausstellung. Die innere Struktur des Buches bestimmte auch die Konzeption von Pause. Valeska Gert: Bewegte Fragmente, kuratiert vom Autor mit An Paenhuysen. Hingewiesen wird dabei auf die Aktualität von Valeska Gert und ihre transdisziplinären Ideen. Das Werk von Valeska Gert ist heutzutage nahezu unbekannt. Das mag daran liegen, dass sie ihre künstlerischen Konzepte schon früh in einer Intra-Aktion zwischen den Genres entwickelt und ohne Rücksicht auf Konventionen des Kunstbetriebs realisiert. Die 2010 veröffentlichte Single Baby, (siehe Vitrine) ist ein Beleg dafür, dass ihre visionäre Arbeit kontinuierlich missverstanden, beziehungsweise verhindert wurde. 1962 weigert sich die Deutsche Grammophon, ihre musikalische Geräuschkomposition Baby, bestehend aus Kichern, Lachen, Weinen – mitsamt einem „Bäuerchen“ am Ende – auf ihrer Mini-LP zu veröffentlichen.

Das Kabinett In diesem Raum befinden sich kleinformatige Kunstwerke aus den Sammlungen der Nationalgalerie. Auf den ersten Blick scheint nichts in diesem Kabinett zusammenzupassen. Fotografie hängt neben Malerei, traditionelle Landschaft neben avantgardistische Konzeptkunst. Tatsächlich gibt es einen Zusammenhang. Es ist der Fakt, dass es sich ausschließlich um Arbeiten von Künstlerinnen handelt. Etwas, dass wir als gewöhnlich hinnehmen würden, stammten die Kunstwerke ausschließlich von männlichen Künstlern. Das Geschlecht sollte im gegenwärtigen Kunstbetrieb – der sich frei von Konventionen und Hierarchien darstellt –ja eigentlich keine Rolle spielen. In den 1920er Jahren gehört Gert zu den Künstlerinnen, die ihre Karriere beim Modernen Tanz beginnen – der einzige Bereich in der modernen Kunst, in welchem Künstlerinnen anzahlmäßig dominieren.

Pause In einem abgedunkelten Raum wird Pause, eine der radikalsten Arbeiten von Valeska Gert gewürdigt. Bedingt durch den Filmrollenwechsel in den Kinos der 1920er Jahre entstehen ungewollte Pausen. Kinobetreiber füllen diese Pausen durch Unterhaltungseinlagen mit „Pausen-Clowns“, Musikern und Tänzern. Auch Valeska Gert wird gebeten, solch eine Kino-Pause zu überbrücken. Sie geht zur Leinwand, wendet sich zum erwartungsfrohen Publikum, greift die Hände über den Kopf zusammen, sackt mit dem Körper etwas nach unten und verharrt so bewegungslos bis zum Ende der Pause. Sie verkörperlicht so die Pause. Mit seinem Video rahmt und verdoppelt Wolfgang Müller seinerseits Gerts Pause, welche visuell nur durch eine einzige, gedruckte Fotografie in Fred Hildebrandts Die Tänzerin Valeska Gert von 1928 überliefert ist. Eine Handkamera folgt einer Hand, die ein Buch aus dem Regal nimmt und es öffnet. Das Foto der Pause wird sichtbar. Fokussiert auf das Foto von Pause, pausiert die Kamera. Die Betrachter, sitzend auf den Bänken, können hier – genau wie die Kamera – eine Pause machen.

Tanz mit dem Gesicht Während Mary Wigman oder Gret Palucca in den 1920er Jahren Tänze gestalten, die nach Harmonie und klassische Einheit streben, setzt Valeska Gert dem ihren Realismus entgegen. Dieser Realismus bezieht auch das Gesicht ein, welches sie, falls nötig, bis zur Grimasse verzerrt. 1962 bittet Frederico Fellini sie um Fotos für die Besetzung des Medium Pijma in seinem Film Giulietta degli Spiritu. Gert engagiert den Fotografen Mark G. Anstendig. In Müllers Buch ist eine der dabei entstehenden Serien abgebildet, welches im zentralen Ausstellungsraum im Loop zu sehen ist. Gerts tanzendes Gesicht formt sich in konstanter Verwandlung, ihr Körper ist ihr künstlerisches Material. In der Vorstellung der Betrachter kann die ursprüngliche Bewegung rekonstruiert werden – im Sprung von Grimasse zur Grimasse. Die Kunstwerke, die mit Gerts tanzendem Gesicht korrespondieren, setzen sich mit Fragen der Wahrnehmung auseinander. Marcel Duchamps Ready-Made, eine Schneeschaufel baumelt von der Decke und trägt dabei den poetischen Titel In Advance of the Broken Arm (1915/1964). Sie betont Antizipation. Dem gegenüber steht die Poesie der Skulptur von Marcel Broodthaers, die auf vergangene Ereignisse hinweist – während hier der Titel auffällig sachlich ist: Paniers avec Oeufs (1966). Sowohl Broodthaers als auch Duchamp arbeiten mit Objekten aus dem Alltag. In einer Interaktion mit Sprache kommunizieren diese intra-aktiv. Das, was sich da bewegt, bewegt sich zwischen Objekt und Sprache, im Nichtsichtbaren, in einem offenen Wahrnehmungsraum. In gewisser Weise ist auch das Gesicht von Valeska Gert ein Ready-Made, welches sie einsetzt, um diesen Raum wahrnehmbar zu machen. In ihrer Performance I [beat (it)] (1978) „verdoppelt“ Valie Export ihren Körper durch Abgüsse, Handschuhe und Bandagen. Baby Dieses schwarz-weiß Video zählt zu den ältesten deutschen Künstlervideos. Es stammt vom Medienkünstler Ernst Mitzka, der es als junger Mann 1969 in West-Berlin aufnahm. Es wurde erst 2009 wiederentdeckt und anschließend restauriert. Die 77 jährige Valeska Gert performt hier das Baby in eindringlicher Intensität. Ein Baby erscheint mit all seinen Ausdrucksmöglichkeiten und Reflexen – vom Weinen, über das Lachen bis zum Nuckeln am Daumen.

Cinema Es war oft ein Problem für Gert ihre Konzepte zu realisieren und zu dokumentieren. In ihren Filmrollen wird deutlich dass Gert schauspielert und zugleich performt. Schon in W.G. Pabst’s Tagebuch einer Verlorenen von 1929 performt sie eine Variante ihres Tanzes Canaille, der in einen Orgasmus mündet. In Volker Schlöndorffs Der Fangschuss (1976) führt sie ihr Konzept von Opus 1 – Komposition auf ausgeleiertem Klavier auf, abgebildet 1931 in ihrem Buch Mein Weg. Ein Jahr vor ihrem Tod, 1977 erhält sie erstmals die Gelegenheit mehrere ihrer Performances und Vokallieder in Schlöndorffs Dokumentarfilm Nur zum Spass, nur zum Spiel. Kaleidoskop Valeska Gert zu dokumentieren.