Klara Wallner Galerie

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In der Ausstellung „Achtung Angeber“ zeigt Philip Grözinger neue Arbeiten in denen die Flucht vor der Realität und das Misstrauen gegenüber der eigenen Wahrnehmung inszeniert ist. Musik, Cyberwelten, Malerei und Literatur, aber auch viele andere zweite Welten bieten Möglichkeit für einen Moment aus der Realität zu fliehen. Diese Eigenschaft ist besonderes in schwierigen sozialen Bedingungen immer mehr gefordert. Das „schreibenswerte Leid“ oder das „Leiden des Künstlers an der Welt“, das sind Motive die uns zeigen, dass Leiden durchaus im Ruf steht zu einer fantastischen Vision führen zu können. Dieser Logik der Kunstproduktion folgend müsste man meinen, dass Kunst, wenn sie als Zufluchtsort gilt, eine positive Version der Welt in ihrer Darstellung wählt. Auf diesem Weg könnte der romantische Blick in der Kunst wieder entdeckt werden und das Schöne neu salonfähig gemacht werden. Die zeitgenössischen Werke zeigen allerdings selten, und im Fall von Philip Grözinger nie, eine ungebrochene Idylle. Sie übernimmt vielmehr die Funktion einer Folie und provozieren den Abgleich mit der Wirklichkeit ohne jedoch als Idylle selbst vollends aus den Bilder zu verschwinden. Peter Weibel beschrieb Vampire, Schauerromane und Gespenstergeschichten des 18. und 19. Jahrhunderts als eine Reaktion auf die radikalen sozialen Umwälzungen, die durch die industrielle Revolution hervorgerufen worden sind.

Die industrielle Revolution hat in der Tat alles Vertraute zum Verschwinden gebracht; die vertrauten sozialen Hierarchien und Regeln, die vertraute Erfahrung von Raum und Zeit, von Nähe und Ferne. Die industrielle Revolution (in England vor allem) war die Quelle jenes Blicks, der die Wirklichkeit in ein gespenstisches Zwielicht tauchte. Die vertraute Wirklichkeit verschwand oder wurde unheimlich, wenn sie blieb. Die Realität wurde zu einem Totentanz abgestorbener Vorstellungen. Sie wurde gespenstisch im Lichte der neuen, auf den Maschinen und deren Geschwindigkeit aufgebauten Zeit (...)

Weibel verweist in seinem Text auf die Veränderungen der realen Welt im Zuge der Industrialisierung als Grund für das Aufkommen von Horrorgeschichten um 1900. Da die Frage im Raum steht warum die Welt in der Bildenden Kunst nicht als Zufluchtsort formuliert wird, konnte Weibel mit seinen Überlegungen zum Horror des fin du siècle einen wesendlichen Beitrag leisten. Analog zu seiner Argumentation könnte man die Arbeitsthese des Malers Philip Grözinger so formulieren:

Die zweite Wende, die Wende von der Industriekultur zum Informationszeitalter zeigt in den ästhetischen Positionen sehr ähnliche oder sogar gleiche Symptome wie ihre Vorgängerin. Große Umwälzungen in der Gesellschaft und Veränderungen in Strukturen der Arbeit können als Folge von Prozessen gelten, deren Ende uns zum heutigen Zeitpunkt kaum überschaubar erscheinen kann. Auch für uns ist die Wirklichkeit in ihrer lesbaren Dimension verschwunden. Was wir angesichts der realen Welt wahrnehmen, scheint überkommen und in ihrem archaischen Charakter unheimlich und fremd. Die Allgegenwart von Netzen und Medien, die Verfügbarkeit von Information und die Möglichkeit der Flucht in eine zweite Realität lassen uns auch den normalsten körperlichen Alltag fremd erscheinen. Soziale Bindungen und gesellschaftliche Standards gehören zu den wankenden Grundfesten, auf deren Kontinuität wir uns in Zeiten des Umbruchs nicht verlassen können. Aus dieser Verunsicherung erwächst tatsächlich ein Abbild der Realität, in dem Ängste und Bedrohungen im Szenario des Alltags den Mittelpunkt bilden können.

(Tido von Oppeln)

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Philip Grözinger
Achtung Angeber