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Nah, ganz nah betrachtet der Münchner Künstler Philipp Schönborn das Rheinland. Von den Höhen des Westerwaldes bis hinein in Kölner Museen erstreckt sich sein Beobachtungsfeld. Mehrmals im Jahr ist Molsberg im Westerwald für lange Wochen seine Basis für Streifzüge durch das Lahntal, die Basaltberge des Westerwaldes und das Rheinische Schiefergebirge. Dabei sammelt er Bilder. Bald entstehen Serien mit Aufnahmen von immer wiederkehrenden Dingen, Wegmarken, Grenzsteinen, totem Holz. Es sind oft anonym scheinende Zeichen, wie die bunten Markierungen an Wanderwegen, deren Text- oder Farbbotschaft ihn anzieht. Oder es sind Symbole, deren historische Bedeutung ihm wichtig ist, wie die mit Zeichen versehenen Steine, die Landes- und damit auch Glaubensgrenzen anzeigen: die Grenze zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz fällt an den barocken Basaltsteinen zusammen mit der Glaubensgrenze Chur-Trier und Oranien-Nassau. Gleichermaßen sammelt Philipp Schönborn in Museen: die Köpfe von Marienskulpturen sind dabei oder Gewandfalten und bunte Ornamente aus Gemälden des Wallraf-Richartz-Museums. Das Sammeln ist ein formbewusstes Sammeln. Im Prozess des Sammelns erst entscheidet sich das Thema.

Im Atelier, das heute nicht mehr ein Fotolabor sondern ein Computerarbeitsplatz ist, entstehen dann ganze Tableaus. Sie geben dem Sammeln den formalen Rahmen und stärken die Aussage des Einzelbildes. Das Raster ist dabei ein strenger Rahmen aus Aluminium, der sich zu jeweils neuen Gesamtbildern zusammenfügen lässt, von der einfachen Reihung bis zu kompakten Blöcken. Schon die Frage, ob zwei Bilder im Querformat oder im Hochformat aufeinander treffen, entscheidet über ihre Paarung und Hierarchie. Nach der Isolierung des Motivs mit dem Fotoapparat erfolgt in diesem zweiten Schritt also die Konfrontation mit dem Verwandten. So erst eröffnet sich für den Betrachter der Vergleich.

Eine neue Werkgruppe entwickelt sich durch die Reduktion auf Doppelbilder, bei denen oft eine Naturaufnahme mit einer Architekturfotografie kombiniert wird. Es sind isolierte Kirchenbauten in Konfrontation mit ihrer Umgebung, Details von Gewölben und Ruinen, die sich zu einer These zusammenschließen, die über die bekannte Analogie zwischen Gewachsenem und Gebautem hinausgeht. Dazu kommen Doppelbilder, die ganz auf die Kraft der Begegnung von Architekturornamenten vertrauen. Und dann noch einmal Marienbilder, Paarungen von Skulpturenporträt mit Ornament und Schrift.

Allen Werken der Ausstellung gemein ist der vorurteilslose Blick von Philipp Schönborn auf das von ihm Entdeckte. Sei es, dass er im Bild „Totholz“ die Fülle der Pilzwucherungen auf abgestorbenen Baumresten beobachtet; sei es, dass er in der Serie „UNESCO Welterbe“ unter der Farbe der Wegmarkierung wieder aufbrechende schrundige Rinden erkennt und den Rhein dabei lediglich als die S-Kurve des Piktogramms abbildet; sei es, dass er dem freundlichen und doch von wissendem Schmerz erfüllten Lächeln der Marienskulpturen nachgeht. Dazu bedarf es einer festen Überzeugung, die aus dem Glauben an die Kraft der Schöpfung entsteht. Es bedarf der ordnenden Hand des Künstlers, die den Rahmen und die Orientierung schafft. Und es bedarf einer Vertrautheit mit dem Gesehenen, die nur aus der Nähe entstehen kann.

Ludger Derenthal (Leiter der Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek Staatliche Museen zu Berlin)

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