press release only in german

Was ist Wahrheit? Das, was wir sehen oder das, was wir glauben? Oder vielleicht von beidem etwas? Ist Wahrheit nicht oft auch das, was nicht nur der Einzelne sieht, sondern viele? Je mehr Menschen es sehen, desto wahrer wird es? Je größer die Öffentlichkeit, die eine Botschaft sich verschafft, desto glaubwürdiger wird sie?

Mit dem Thema „Woran glauben?“ stellen die „Duisburger Akzente“ eine der grundlegenden Fragen unserer Zeit: Welche Religionen, Leitfiguren und Überzeugungen bestimmen heute unser Handeln, sind für uns glaubwürdig und geben uns Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt? Der Frage nach dem Glauben schließt sich unmittelbar die Frage nach der Wahrheit an: Wahrheit als etwas Absolutes, Unantastbares oder Wahrheit als die je individuelle Wahrheit jedes Einzelnen.

Wird Wahrheit heute als Teil der Öffentlichkeit und der öffentlichen Meinung ebenso verhandelbar wie Wirklichkeit? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein eigener, großer Teil der „Duisburger Akzente“. Unter dem Titel „PubliCity. Constructing the Truth“ entwickeln neun international renommierte Künstler und Künstlergruppen Werke im und mit dem öffentlichen Raum der Stadt Duisburg.

Der Begriff ‚Publicity’ steht für eine gezielt hergestellte, für eine inszenierte Öffentlichkeit. Erst durch Publicity wird eine Nachricht zu einer Nachricht, erst durch Publicity wird eine Person zu einer Person der öffentlichen Wahrnehmung. Eine effektive Publicity kreiert ein überzeugendes (Vorstellungs)Bild in der Öffentlichkeit, das sich durch höchstmögliche Glaubwürdigkeit auszeichnet und sich dennoch (oder gerade deshalb) oft recht weit von dem wahren Ereignis oder der wirklichen Person entfernt.

Das Kunstprojekt „PubliCity“ beschäftigt sich mit dem Entstehen von Öffentlichkeit, öffentlichen Meinungen und deren Wahrheit. Es schafft Öffentlichkeit durch seine lokale Verortung im Stadtraum, durch Mund-zu-Mund-Propaganda und durch seine Präsenz in den Medien. Es geht davon aus, dass es sich bei Publicity nicht nur um ein effektives Täuschungsmanöver handelt, sondern um eine komplexe Interaktion zwischen unseren Vorstellungen, unseren Wünschen und Erwartungen und dem ständigen Versuch, ebendiese zu prognostizieren, zu beschreiben und zu befriedigen (freilich nicht ohne zugleich neue Erwartungen zu wecken).

Im Rahmen von „PubliCity“ haben sich die Künstler/innen in Duisburg auf eine Spurensuche begeben, in einer Stadt, die sich in einer Art Schwebezustand befindet zwischen alt und neu, zwischen arm und reich, zwischen Arbeits- und Freizeitgesellschaft. Die Künstler/innen erkunden das Wesen ‚Stadt’, seine lokalen Akteure und seine öffentliche Wahrnehmung. Sie entdecken authentische Orte, aber auch „Un-Orte“, die uns im Alltag kaum noch auffallen. Es entstehen Werke und offene Versuchsanordnungen, die tiefe aber flüchtige Wahrheiten kreieren; ihre Grundlage sind unsere Vorstellungen, unsere Wünsche und Hoffnungen, aber auch das, was wir als bedrohlich empfinden.

„Der Zusatz ‚Constructing the Truth’, das Konstruieren von Wahrheit, beschreibt etwas“, so die Kuratorin Dr. Söke Dinkla, „das wir alle tagtäglich tun, ohne es zu bemerken. Wir überprüfen unser Umfeld auf Glaubwürdigkeit. Dabei sind wir eher bereit, unsere Vorannahmen zu bestätigen als sie zu revidieren. Die Künstler operieren in „PubliCity“ in diesem relativ engen Feld unserer mentalen Beweglichkeit; sie bringen unsere inneren Überzeugungen, und das, was wir als wahr erachten in Turbulenzen.“

Eine der im Zuge der aktuellen politischen Entwicklung sicher brisantesten Arbeiten ist der „Tausch der Tabus“ von Jochen Gerz. Gerz, einer der wichtigsten Konzeptkünstler, der bereits 1976 gemeinsam mit Joseph Beuys und Reiner Ruthenbeck den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig gestaltete, hat Vertretern von acht verschiedenen Glaubensrichtungen in Duisburg die folgende Frage gestellt: „Wie lässt sich der Gegenstand Ihrer Suche beschreiben?“ Die Antworten auf diese Frage werden anonym jeweils an dem Ort einer anderen Glaubensrichtung öffentlich ausgestellt. Das Lesen des Textes am Ort des eigenen Glaubens wird so zur inneren Formulierung unserer Annahmen über den ‚anderen’ Glauben. In Zusammenarbeit mir einer großen Tageszeitung wird das Konstruieren unserer Wahrheit zu einem öffentlichen, großen Ratespiel.

Spektakulär und geheimnisvoll zugleich ist das „Küchenmonument“ der jungen Künstlergruppe Raumlabor aus Berlin. Verschlossen und rätselhaft bezieht es seine Position im öffentlichen Raum und öffnet sich zu bestimmten Zeiten an verschiedenen Orten. Nach und nach entfaltet es sich zu einer großen aufblasbaren Skulptur, die sich an die Fassaden schmiegt und die Hohlräume der Stadt füllt. Das Innere ist Küche und festlicher Speisesaal zugleich. Es schafft einen Raum der gemeinsamen Aktion und Kommunikation, der kurzzeitig existiert, den Ort mit neuen Energien und Geschichten auflädt um dann wieder zu verschwinden und am anderen Ort, Neues entstehen zu lassen.

Veldhues & Schumacher entwerfen für „PubliCity“ die Großbildprojektion „Die Weltpresse“, in der sie Bilder aus der internationalen Tagespresse in ein monumentales Format überführen. Für was stehen diese überdimensionierten, ihrem Zusammenhang entrissenen Bilder? Was erinnern wir, wenn wir sie sehen? Und welchen Wahrheitsgehalt haben sie sich bewahrt, nachdem sie ihre eigentliche Funktion verloren haben? Mit dem Geheimnisvollen und Mysteriösen operiert das Künstlerkollektiv Knowbotic Research und Peter Sandbichler. In ihrem Projekt „Sei bereit! Tiger!“ spielen sie mit der Sicht- und Unsichtbarkeit eines ungewöhnlichen Bootes, das in seiner Gestalt nicht zufällig an den legendären amerikanischen Stealth-Bomber erinnert und sich dennoch gewissermaßen unschuldig im Duisburger Innenhafen bewegt.

Danica Dakic hat mit sicherem Gespür ihre interaktiven Arbeit „Passing by“ für einen der wohl ungewöhnlichsten Orte in der Duisburger Innenstadt entworfen. Auf der Landgerichtsstraße unmittelbar zwischen der Justizvollzugsanstalt, der Liebfrauenkirche und einer Schule ist unerwartet eine Stimme zu hören: Sie stellt den Passanten eindringliche Fragen, die in Bezug zu großformatigen Bildern und Projektionen auf der Gefängnismauer stehen.

Werner Reiterer aus Wien, heute einer der bemerkenswertesten Vertreter der aktuellen Skulptur, entwickelt für Duisburg seine neue Arbeit „Talk“. Zwei zunächst nicht ungewöhnlich aussehende Telefonzellen kommen miteinander ins Gespräch und veranlassen die lauschenden Passanten zur Spekulation über das Gehörte.

Wünschen und Hoffen ist das Thema der Gruppe stadtraum.org (Andrea Knobloch und Markus Ambach), die mit ihrer Aktion „Duisburg - city of hope“ den „Lifesaver“-Brunnen von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely vorübergehend in einen blauen Wunschbrunnen umwandeln. Der Wurf einer eigens geprägten ‚Wunsch-Münze’ verspricht Besonderes und Unaussprechbares.

Jochen Gerz zweite Arbeit „Bilder einer Ausstellung“ stellt Leitsätze und Postulate in den öffentlichen Raum der kommerziellen Werbebotschaften: Auf der elektronischen Anzeigentafel vor dem Duisburger Hauptbahnhof erscheinen in unregelmäßigen Abständen für wenige Sekunden zehn überraschende Gebote wie zum Beispiel: „Mach Dir von mir kein Bild“ oder „Erinnere dich nicht an mich“.

Unter dem Titel „Die Summe der einzelnen Teile“ lädt die freie Radiogruppe LIGNA aus Hamburg an zwei Tagen zu einer „Radio-Performance“ in die Liebfrauenkirche ein, in der es um die Zukunft der Kirche und unserer Fähigkeit zu Glauben geht. Die Tänzer und Choreographen Martin Nachbar und Jochen Roller entwerfen mit „mnemonic nonstop“ eine neue Form der Stadterkundung: der Stadtplan von Gaziantep, der türkischen Partnerstadt Duisburgs, hilft beim Erspüren des Neuen.

Kuratorin: Dr. Söke Dinkla

www.duisburg-akzente.de

only in german

PubliCity - Constructing the Truth
Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Duisburg
Im Rahmen der „29. Duisburger Akzente - Kulturfestival des Landes Nordrhein-Westfalen“
In Kooperation mit der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum
Kuratorin: Söke Dinkla

mit Jochen Gerz, raumlabor berlin , Knowbotic Research  / Peter Sandbichler, Danica Dakic, Werner Reiterer, stadtraum.org  (Andrea Knobloch / Markus Ambach), Ligna , Martin Nachbar / Jochen Roller, Katarina Veldhues & Gottfried Schumacher