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after the butcher, Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst und soziale Fragen lädt herzlich ein zur Ausstellungseröffnung:

Freitag 15. Februar 2019 ab 19 Uhr

Quaderna. Sunah Choi - Marcus Weber 16.02.2019 - 20.04.2019

Die Ausstellung wird begleitet von einem Text von Clemens Krümmel

geöffnet nach Voranmeldung:
0178 3298106 / ina@after-the-butcher.de

after the butcher
Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst und soziale Fragen
Spittastr. 25 - 10317 Berlin - Lichtenberg

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Sunah Choi / Marcus Weber
QUADERNA

Der Ausstellungstitel ist Designgeschichte: „Quaderna“ heißt eine Anfang der 1970er Jahren von der Florentiner Architekten- und Designergruppe Superstudio entwickelte, heute noch erhältliche Serie weiß laminierter, mit einem karierten Raster aus dünnen schwarzen Linien bedruckter Tische und Bänke. Für ihre erste gemeinsame Ausstellung haben sich Sunah Choi und Marcus Weber den Namen dieses Signaturstücks postmoderner Innenarchitektur geliehen, weil sich in ihm ihr gemeinsames Interesse an impliziten und expliziten Raumordnungen beispielhaft verdichten ließ. „Quaderna“, im Italienischen ein Kunstwort, das an das geläufigere Wort „quaderno“ (Schreibheft) erinnert, erfasst als Produktname einen historisch gewachsenen Bereich zwischen öffentlicher Architektur (orthogonales, auf dem Quadrat beruhendes Raumsystem), industriellem Produktdesign (Quadratraster wird zum postmodern dekorativen Flächenmuster eines Möbels, in der klassischen Moderne als „Ornament“ verpönt) und konsumistischer Alltagskultur (quaderno: Gebrauchsartikel Karoschreibheft, auf die Oberflächen der Superstudio-Tische übertragen), der beide Künstler*innen trotz augenscheinlicher ästhetischer Differenz ihrer Arbeitsweisen gleichermaßen beschäftigt.

Die offen begonnene Zusammenarbeit findet so einen sinnfälligen common ground: Wo sich Choi als skulptural, installativ und oft auch fotobasiert arbeitende Künstlerin auf die Fortentwicklung ihrer abstrakt-konkreten Gegenstands- und Materialsprache konzentriert, die sie im Ausstellungsraum wirkungsstarke vertikale Farb- und Strukturakzente platzieren lässt, setzt der Maler und Zeichner Weber eine an Karikatur- und Cartoonästhetiken geschulte figurative Bilderfindungsmaschine in Gang, die sich als Landschaften-Bildfries aus mehreren Motivserien in der erzählerischen Breitendimension ausdehnt. Seine Landschaften, mit Öl auf Papier gemalt, das wiederum auf Nessel kaschiert ist, bestehen zunächst aus einer flächig bis ornamental dargestellten Tektonik aus Müll und Schrott, die sich vor allem wegen eingestreuter Waren- und Markenlogos als zeitgenössisch lesen lässt. Die unterschiedlich detaillierten Bodenflächen begründen verschiedene Maßstäblichkeiten, sie wandeln sich zwischen den Bildern schließlich zur aus überlagerten Farbkugeln hügelig gefügten Kulturlandschaft, in der sich in Scharen auf Fahrrädern, auf Mopeds oder in Autos sitzende oder mit verschiedenartigen Gehhilfen ausgestattete, pink, mintgrün, zitronengelb oder hellblau uniformierte Figuren tummeln: Eine postheroische Alexanderschlacht in Dayglo- Farben. Die Übergröße ihrer bohnen- oder golfballförmigen Köpfe und die Schematik ihrer oft unter ihrer Warenlast ächzenden Strichmännchen-Körper und deren übersimplen, aber zum Performen finster entschlossenen Gesichter weisen die Figuren als Karikaturen des aus heutigen Dienstleistungsgesellschaften nicht wegzudenkenden urbanen Typus des Lieferservice-Boten aus, des Distribuierers, der durch die uniforme Logofarbe ihrer jeweiligen Arbeitgeber selbst wie Waren verpackt wirkt. Unter Zeitdruck bewegter Körper und Terminware sind in ein mimetisches Abhängigkeitsverhältnis eingetreten. Das lässt sich im Erlebnis der Stadt täglich an den allgegenwärtigen Arbeiter*innen der Delivery Service- Industrie ablesen – bei Marcus Webers Figuren ist diese entropische Anreicherung des ehemals öffentlichen, nun fast vollständig durchprivatisierten Stadtraums lediglich nochmals verdichtet und dadurch als unendliche Zirkulation des Begehrens nach Konsum verabsolutiert. Die Ausnahme von der Regel der Weber’schen Serien bilden die offenbar mit derselben Psychomotorik ausgestatteten Golfballköpfe, die weniger als Leser ihrer Bücher, Zeitschriften und Comics erscheinen, sondern wie „scavenger“, hemmungsgeminderte Resteverwerter in der dystopischen Heilslandschaft. „Delivery“ heißt schließlich auch „Erlösung“.

Die in vier Farben – Rot, Blau, Grün und Gelb – beschichteten, von Sunah Choi vertikal in die beiden Ausstellungsräume gespannten Stangen lassen an die ergonomischen Haltegriff- Innenarchitekturen öffentlicher Verkehrsmittel denken. Sie sind zunächst einfache skulpturale Elemente, die dem Raum ihren intuitiv gesetzten Rhythmus übertragen, beziehen sich dabei aber auch auf eine ähnliche Kennfarbenlogik wie Webers Lieferantengesellschaft. Das bloße Nutzdenken stadtplanerischer Farb-Leitsysteme transzendieren sie auf mehrfache Weise, denn sie sind bei aller Reduktion singulär (jede Farbe taucht nur einmal auf, Systeme setzen auf Wiederholung und Wiedererkennen) und individuell. An zweien der Stangenelemente sind je unterschiedlich zugeschnittene Metallgitter einer Machart angebracht, wie man sie von Baustellenumzäunungen kennt – wie sie aber auch, ähnlich dem „Quaderna“-Prinzip, im Rahmen eines postmodernen „Repurpose“-Stils den Weg in die zweckentfremdende Nutzung als mit Jacken, Mänteln und Regenschirmen behängbares Universal-Wandraster einer Garderobe gefunden haben. Die robuste Nutzästhetik hat Choi affirmiert und zugleich aus der Balance gebracht, indem sie in Fortsetzung der Rasterlogik des Gitters abgetreppte Außenkanten geschaffen hat (eine Kombinatorik ähnlich derjenigen einer Pixelrasterfläche) – und vor allem, indem sie das innere Raster in rundlich-organischen Umrissformen ausgeschnitten und auf diese Weise gleich eine Reihe von „Löchern zweiter Ordnung“ mitgeschaffen hat. Die unregelmäßig gerundeten Einschnitte im orthogonalen Lochraster des Metallgitters sind in Chois jüngeren Werken ein wiederkehrendes Motiv, das sie unter anderem aus dem Fläche-Raum-Paradox eines (gemalten) Werks von René Magritte entwickelt hat. Die fixierten Gitter sind an keiner Stelle nur technisch-funktionale Form, die topologische Form bleibt vielmehr als ein Restbestand fast diskret erkennbar. Das akzidentell Ausdruckhafte gewinnt die Oberhand. Eine dritte Stange entzieht sich zwar dieser Physiognomik, bleibt am ehesten reine Grundform, doch wechselt die vierte im hinteren Raum nochmals den Referenzrahmen, denn sie ist mit Zitronen in einem handelsüblichen Plastiknetz behängt und nähert sich so vielleicht sogar der Ordnung des Warenförmigen in Webers Bildern an –abgesehen davon, dass die Präsenz von Zitronen im Kontext eines ehemaligen Fleischerfachgeschäfts von sich aus eine gewisse Stimmigkeit mit sich bringt. Im Gefüge der Doppelausstellung mit den Bildern Marcus Webers besetzen Sunah Chois Vertikale ein je unterschiedlich kodiertes, ästhetisch-haptisches Meta-Register – die Stangenelemente, die je nach Ausstattung und Positionierung verschiedene Sphären regieren, sind gleichermaßen Stütze, Semaphor, räumliche Orientierung, Aufhängevorrichtung, ansatzweise auch anthropomorpher Maßstab. Wo Weber an der Grenze zum Topischen morphologisch argumentiert, verfährt Choi umgekehrt, indem sie ihren reduzierten Linien, Stereometrien und Gittern eine fast physiognomische Haltung abgewinnt.

Clemens Krümmel