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Die New Yorker Künstlerin Rachel Harrison (*1966) kombiniert populärkulturellen Schutt mit handgemachten Formen zu intermedialen Skulpturen und Installationen. Trotz aller Verspieltheit zeigen sich starke Bezüge zu klassischen Themen und Werkkategorien des 20. Jahrhunderts wie zum Beispiel der Skulptur. Behutsam setzt die Künstlerin damit Fragen um Raum, Sockel, Material und die Möglichkeiten der Betrachtung monolithischer Werke fort, die im zeitgenössischen Kunstbetrieb von der Installation an den Rand gedrängt worden sind und stellt sich damit in die Tradition einer selbstreflexiven Kunst, die ihre eigenen Möglichkeiten und Beschränkungen mit reflektiert. Im migros museum für gegenwartskunst werden neben einer vor Ort hergestellten Installation aus Skulpturen jüngst entstandene Objekte und Fotografien von Skulpturen präsentiert, die auf Charles Darwins The Voyage of the Beagle referieren.

Das Thema der Skulptur – verkürzt ausgeführt – schien in der Kunst des 20. Jahrhunderts mit Vertretern wie Henry Moore (1898–1986) oder Alberto Giacometti (1901–1966) zumindest entwicklungsgeschichtlich an ein Ende gelangt zu sein. Eine Kunst, die zunehmend den Betrachter in den Mittelpunkt stellte, konnte sich nicht mehr an Objekten mit Sockel und monumentalem Anspruch oder der Abstraktion abarbeiten. Die mediale Selbstreflexion des skulpturalen Minimalismus der 1960er Jahre von Künstlern wie Donald Judd (1928–1994) fiel den kritischen Überlegungen um den White Cube zum Opfer, und an die Stelle der als «Drop Art» deklassierten Skulptur trat in umfassender Form die Rauminstallation. Das Versprechen einer grösseren Werkautonomie als bei der durch den Kontext zu stark beeinflussten Skulptur und ihre Betonung der Betrachterposition entsprachen dem interpretativen Denken nach Aufkommen der Semiotik oder dem «offenen Kunstwerk» von Umberto Eco weitaus besser.

Dennoch gibt es KünstlerInnen wie Isa Genzken (1948) oder Franz West (1947), die wie Rachel Harrison mit der Kunstgeschichte jonglieren und weiterhin zwischen den Medien der Installation und Skulptur arbeiten. Hierbei lassen sich gleichermassen Fortsetzungen der Skulpturgeschichte wie die, ein autonomes Objekt in den Raum zu setzen, und Brüche, Exorbitanz und Überschwemmung statt Reduktion und Abstraktion verzeichnen. Assoziationen an Ausbruchsversuche aus der abstrakten Kunst der 1950er/1960er Jahre werden wach, wie sie z. B. von Künstlern wie Robert Rauschenberg mit seinen «Combine Paintings» unternommen worden sind, die vergleichbaren Strategien der Rückbindung der abstrakten Kunst an die gelebte Wirklichkeit folgen möchten. Konstruieren lassen sich auch gewisse Ähnlichkeiten mit der Pop Art der 1950er/1960er Jahre und Andy Warhol (1928–1987), die unter anderem Elemente der Konsumkultur in die Kunst brachten, Diskussionen um Hoch- und Leitkultur anstiessen und für kritische Ansätze in der Kunst sorgten, die sich seither im Rahmen der Institutions- und Warenkritik fortwährend ihrer eigenen Möglichkeitsbedingungen zu vergegenwärtigen bemüht ist.

Rachel Harrisons Werke kombinieren Objets trouvés, seien es Fotografien, Malerei oder billige Figuren der Trivialkultur, mit handgefertigten und bemalten Elementen zu Skulpturen, die weniger für eine Fusionierung der Einzelteile sorgen als dafür, eine Bühne gleich verteilter Aufmerksamkeit zu schaffen. Bespielt werden damit das Verhältnis von Sockel und Skulptur, Malerei und Raumobjekt, Beobachter und Beobachtetem. In den neuen Arbeiten im migros museum für gegenwartskunst referieren die Titel der Künstlerin auf bekannte historische Figuren und Prominente und erwecken damit die Erwartung nach einer in den abstrakten Skulpturen geborgenen Narration. Die Skulpturen stellen Massenwaren wie Ohrringe, Bilder oder Getränkedosen zur Schau. In der damit gestellten Frage nach den Möglichkeiten einer zeitgenössischen Skulptur wirken die Figuren von Rachel Harrison wie Angebote: «So vielleicht?»

Der starke Einbezug von Objekten und Figuren, die in der populären Kultur noch nicht verabschiedet sind, kommentiert mit viel Humor die meist arbiträren Grenzlinien zwischen Hoch- und Pop-Kultur. Und wenn mit Marcel Proust das Museum der Ort ist, an dem Kunstwerke idealtypisch einander gegenübergestellt werden können, dann vereinen Rachel Harrisons Skulpturen kongenial die kulturellen Erzeugnisse einer Zeit. Zu sehen waren diese 2006 auf der Berlin Biennale, 2005 in der Transmission Gallery in Glasgow, 2004 im Camden Art Center in London und 2003 auf der Biennale in Venedig.