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Der Konzeptkünstler Rainer Ganahl, 1961 in Bludenz/Vorarlberg, geboren, zeigt im MAK die Ausstellung „Dadalenin“. Diese ist das vorläufige Finale eines Projekts, das 2006 mit Lesungen von ausgesuchten Lenin-Texten zu den Themen Imperialismus, Erster Weltkrieg und Volkserziehung seinen Anfang nahm. In historischen Vitrinen aus den Beständen des MAK werden schwerpunktmäßig Auszüge aus dem prozesshaft entstandenen, archivarischen Werk präsentiert, die von Ganahl in der MAK-Galerie in die Gesamtinstallation eingebunden werden. Eine große Anzahl von Schrift- und Textarbeiten, Zeichnungen, Drucken, Collagen, Skulpturen, Glas- und Keramikarbeiten sowie Videos und Animationen sind in der Ausstellung zu unterschiedlichen Erzählräumen zusammengefasst, die jeweils einem Akteur, einer herausragenden historischen Persönlichkeit, gewidmet sind. Ganahl verknüpft als ideellen Überbau den kommunistischen Politiker und marxistischen Theoretiker Wladimir Iljitsch Lenin mit der kontroversiellen künstlerisch-literarischen Bewegung Dada, die 1916 in Zürich formierte und zu deren bedeutendsten Vertretern Hugo Ball, Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Hans Arp zählten.

Sowohl der Name Lenin als auch der Begriff Dada stehen in Zusammenhang mit Widerspruch, Chaos, Krieg, Zerstörung, Terror und Utopie – ein Gedanke, den Dominique Noguez in seinem Buch „Lenin Dada“ (1989) beschreibt. Während der Autor eine neue Hypothese über den Ursprung von Dada aufstellt, nämlich Lenin als Gründervater von Dada und Vertreter des Dada- Gedankens in Politik und Leben sieht, versucht Ganahl mit „Dadalenin“ eine Kategorie für das Trugbild der Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erfinden und in den akademischen und nicht-akademischen Diskurs einzuführen. Der Künstler lässt sich nicht nur auf klassische Figuren und Rollenzuschreibungen limitieren, sondern verfügt relativ frei über vergessene Aspekte der Geschichte.

So zum Beispiel ernennt Ganahl den Wissenschafter Fritz Haber zum Dadaisten und konzipiert eine Reihe von Werken, unter anderem die dreiteilige Marmorskulptur „DADALENINFRITZHABERCLARAIMMERWAHR“ (2008). Haber machte sich mit dem militärischen Einsatz von Gas, dem Nobelpreis für Chemie 1918, der Entwicklung von Zyklon A einen Namen. Der aussichtslose Protest seiner Frau Clara Immerwahr, einer der ersten Chemikerinnen Deutschlands, endete mit Selbstmord. Haber wurde 1933 als Jude aus Berlin vertrieben, er verstarb in Basel. Den Einsatz des tödlichen Gases in den Konzentrationslagern, dem auch Familienmitglieder zum Opfer fielen, erlebte er nicht.

In Ganahls Vorstellung gleichen mit Gasmasken maskierte Soldaten und Tiere optisch den Protagonisten des Cabaret Voltaire, dem Gründungsort von Dada in der Zürcher Spiegelgasse. In derselben Straße lebten zu dieser Zeit auch Lenin und seine Frau Nadeshda Krupskaja, die nicht nur Gäste des Cabaret Voltaire waren, sondern auch aktive Teilnehmer der Dada-Bewegung. Vor diesem Hintergrund schuf Ganahl eine große Anzahl von Zeichnungen, Collagen, Skulpturen und Assemblagen zu Lenin, wie zum Beispiel die Arbeit „Dadalenin, Krupskaya Lenin“ (2007).

Für die MAK-Ausstellung nimmt Ganahl Alexander Rodtschenko als Protagonist in die Dadalenin-Gruppe auf, wofür er eine Serie von Originalfotografien ankaufte und überarbeitete. In der Figur Rodtschenkos zeigt sich erneut die Widersprüchlichkeit einer Persönlichkeit: Als eines der bedeutendsten Mitglieder der russischen Avantgarde fotografierte und publizierte er für Josef Stalin und seine Propaganda der Volksumerziehung im Sinne eines neuen kommunistischen Menschen die Konstruktion des Weißmeer-Kanals, der ausschließlich durch Zwangsarbeit errichtet wurde. Ganahl selbst arbeitet auf mitunter dadaistische Weise mit unterschiedlichen künstlerischen Mitteln und integriert seine intensive Recherchetätigkeit unter Einbeziehung neuer Medien in den Entstehungsprozess seiner Arbeiten. Seine Werkauffassung beinhaltet das Delegieren der künstlerischen Autorenschaft, die Arbeit mit einem erweiterten Atelier, mithilfe vieler Künstler und Assistenten auf Zeit, die Suche auf Google sowie das Mitsteigern auf eBay®. Die auf diese Weise erworbenen und auf dem Postweg verschickten Artefakte zeigt Ganahl zu dokumentarischen Zwecken mit Verpackung, denn diese sind wiederum Hinweise auf vorherige Besitzer und somit Geschichte. Als Konzeptkünstler interessiert sich Ganahl in eigenwilliger und humorvoller Weise für Geschichte und Kultur. Im Vordergrund stehen dabei aktuelle Themen aus Gesellschaft, Politik und Kunst. Er verbindet wissenschaftliche, pädagogische und künstlerische Methoden zu einem flexiblen Kunstsystem. Seit 1995 führt der Künstler unter anderem das Experiment durch, eine Art „Repräsentation von Intellektuellen“ darzustellen, die das Organisieren von Leseseminaren bzw. das Besuchen von Vorträgen und die fotografische Dokumentation beinhaltet; aus einer solchen Veranstaltung ging auch das Projekt „Dadalenin“ hervor.

Rainer Ganahl studierte von 1986 bis 1991 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien bei Peter Weibel und an der Kunstakademie Düsseldorf bei Nam June Paik. Von 1990 bis 1991 absolvierte er das Independent Study Program des Whitney Museums in New York. Neben zahlreichen internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen war Ganahl 2008 in der Ausstellung „Recollecting. Raub und Restitution“ vertreten.

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Rainer Ganahl
Dadalenin
Kurator: Bärbel Vischer