Raphaël Grisey – Amor e Progresso

n seiner Einzelausstellung Amor e Progresso präsentiert der Künstler Raphaël Grisey erstmals den gleichnamigen Video Essay über den Templo da Humanidade („Tempel der Menschlichkeit“) in Rio de Janeiro, einen der drei bis heute existierenden Tempel der Positivistischen Gemeinde in Brasilien. Der Positivismus wurde von dem französischen Mathematiker, Philosophen und Religionskritiker Auguste Comte (1798–1857) als post-revolutionäre und post-aufklärungs-Philosophie begründet, die einerseits versucht, die mit der französischen und während der industriellen Revolution neu entstandenen gesellschaftlichen Gruppen einzubeziehen und gleichzeitig in ein Modell sozialer Organisation zu übersetzen, in dessen Zentrum Ordnung, Fortschritt und Altruismus stehen. Anhänger Comtes und der Positivistische Kirche spielten eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung republikanischer Ideen, sowie schlussendlich dem Sturz der Monarchie und der Ausrufung der brasilianischen Republik im Jahre 1889. Als Ideologie, welche sowohl dem Liberalismus nahestand, als auch soziale Gerechtigkeit forderte, erlangte der Positivismus beachtlichen Einfluss im politisch-sozialen Gefüge der Brasilianischen Republik. Die Devise Ordem e Progresso („Ordnung und Fortschritt“) ziert die brasilianische Flagge und ist noch heute Staatsdoktrin.

Griseys Film stellt dokumentarische Aufnahmen des aktuellen Zustands des Tempels neben Found Footage, das einen Einblick in die Ursprünge des Positivismus, der dazugehörigen „Religion der Menschheit“, ihrer Repräsentationen und ihren Transfer in den (post-)kolonialen brasilianischen Kontext gibt.

Raphaël Grisey ist ein bildender Künstler und Filmemacher, dessen Werk Experimental- und Dokumentarfilme, Video-Essays, Installationen und Publikationen umfasst. In seinen Arbeiten versammelt oder produziert er Narrationen in Zusammenhang mit spezifischen geografischen und sozialen Kontexten. Darüber hinaus nutzt er in der Bearbeitung von Bild und Ton Strategien des Displacements in Bezug auf Formen der Erinnerung, Sprache, Landschaft und Körper.