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Das Ritornell bezeichnet die Wiederkehr eines Motivs, das instrumentale Zwischen-, Vor- oder Nachspiel im Concerto Grosso, den Refrain. Für Deleuze/Guattari bedeutet das Ritornell ein "Zwischen", den Bereich zwischen Ordnung und Chaos: "Ein Kind, das im Dunkeln Angst bekommt, beruhigt sich, indem es singt. [...] Dieses Lied ist so etwas wie der erste Ansatz für ein stabiles und ruhiges, für ein stabilisierendes und beruhigendes Zentrum im Chaos." (Gilles Deleuze, Félix Guattari, Tausend Plateaus) Mit Hilfe des Ritornells gelingt es, ein "Territorium", ein "Zuhause" zu schaffen, von dem aus jedoch wieder aufgebrochen werden kann, das "Fluchtbewegungen" ermöglicht. Das "Ritornell" steht in dieser Ausstellung als Metapher für neun künstlerische Arbeiten, in denen die Wiederkehr von Motiven, das Wiedererzählen eine Rolle spielen. Es sind Motive, die aus verschiedenen Diskursen kommen, aus der Geschichte und aus der Gegenwart, aus dem Alltagsleben wie auch aus der Politik. Die hier enthaltenen "Geschichten" sind sowohl real als auch fiktiv und handeln von der Berichtsform zeitgenössischer Medien ebenso wie von tradierten Fabeln oder Erzählungen. In der künstlerischen Bearbeitung – durch unterschiedliche Medien wie Skulptur, Zeichnung, Video, Fotografie und Malerei – wird gleichsam eine Bewegung in Gang gesetzt, ein "Ritornell", durch das diese Motive mit poetischen, manchmal ironischen Mitteln aus dem Geschichtlichen ins Heute transformiert und für die aktuelle Erfahrung produktiv gemacht werden.

Halil Altindere hat in seinem gleichnamigen Video (2007) die "Dengbêjs" gefilmt, die, aus der kurdischen Gemeinschaft stammend, Sänger, lyrische Dichter und mündlich-vokale Chronisten zugleich sind.

Fernando Bryce überträgt historisches Material, Titelblätter und Artikel der "East Asia Review" (2006), in denen es um die wirtschaftspolitische Situation in Ostasien während des 2. Weltkriegs geht, in das Medium Zeichnung. Durch seinen vereinheitlichenden Stil erzeugt Bryce eine Enthierarchisierung dieser Ereignisse und baut damit zugleich ein Moment geschichtlicher Reflexion ein.

Patricia Esquivias erzählt in ihren Videos "Folklore #1" (2006) und "Folklore #2" (2008) ihre subjektive Geschichte über Spanien, dessen Alltagsmythen und kollektives Gedächtnis. Am Beispiel von Illustriertenartikeln, Werbematerial, Postkarten u.a. verknüpft sie verschiedene Ereignisse und Erscheinungen miteinander und arbeitet bestimmte Typologien heraus, an denen die Identität Spaniens festgemacht werden kann, wie z.B. am Sonnenschein und dem ewig gebräunten Popsänger Julio Iglesias.

Deimantas Narkevicius zeigt in "Once in the XXth Century" (2004) anhand von TV-Material aus den frühen 1990er Jahren die offensichtliche Errichtung eines Denkmals, von dem nur der monumentale Sockel zu sehen ist. Durch filmische Schnitte und technische Methoden gibt der Künstler diesem Ereignis seine pointierte und ironische Interpretation.

Die Skulptur "La Lotta" (2006) von Olaf Nicolai ist ein Einhorn, ein Fabelwesen, das jedoch belebt zu sein scheint, denn es strahlt am ganzen Körper Wärme aus; allerdings ist diese Temperatur mit lebensbedrohlichen 42 Grad Celsius so hoch, dass sie auch wieder auf den Tod und das Verschwinden dieses Tieres verweist.

Ola Pehrson hat für "Birthday Party (1:20)" (2003) ein Modell seines Elternhauses gebaut, durch dessen Fenster man nach innen blicken kann, um in einer merkwürdigen Verschiebung der Dimensionen den illusionistischen Eindruck zu erhalten, man sähe, was in diesem Haus vor sich geht, nämlich die Geburtstagsfeier seiner Mutter, die Pehrson im Jahr 2000 aufgenommen hatte.

Romana Scheffknecht hat in ihrer Arbeit "Ohne Titel (Philosophische Untersuchungen)", (1992) den Fernsehmonitor, der täglich seine Seifenopern in die Wohnzimmer ergießt, umfunktioniert. Er wird, auf den Rücken gelegt, zu einem Teich, auf dessen Oberfläche ein kleines Ruderboot schwimmt, wozu Scheffknecht anmerkt: "Im Boot eine Frau – nennen wir sie Trude. Ein Ruder liegt im Wasser. Am Rand, am Ufer steht ein Matrose und blickt auf die Szene..."

Die "Albanische Flagge auf dem Mond" (2001) ist ein ironischer und kritischer Kommentar von Erzèn Shkololli zur national überfrachteten Phantasie eines "Großalbaniens".

Zwei Bilder von Amelie von Wulffen, beide "Ohne Titel" (2004 und 2005), evozieren Erinnerung und Trauma, hier menschenleere, ineinander verschachtelte Innenräume, dort ein Familienporträt mit fünf Kinderköpfen, das an der räumlich undefinierten malerischen Oberfläche zum Vorschein kommt.

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RITORNELL. Neun Geschichten

Künstler: Halil Altindere, Fernando Bryce, Patricia Esquivias, Deimantas Narkevicius, Olaf Nicolai, Ola Pehrson, Romana Scheffknecht, Erzen Shkololli, Amelie von Wulffen