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Ihr Name lautet Sandra Vásquez de la Horra. Sie besitzt die chilenische Staatsbürgerschaft, lebt jedoch seit 1995 in Düsseldorf. Ihre Arbeiten sind „bescheiden“. Es handelt sich um kleine Zeichnungen. Das ändert sich jedoch sofort, wenn sie diese an die Wand hängt! Dann werden sie zu einer Einheit: zu einer Kette, die sich über die gesamte Wand ausdehnen kann. Ihre Welt wird von gebetenen und ungebetenen Gästen bevölkert. Sie begrüßt diese ohne Unterschied. Es muss jedoch gesagt werden, dass es für sie, wenn sie einmal in ihrem Netz gefangen sind, kein Entkommen mehr gibt. Alles und jeder ist mit einer dünnen Schicht aus Bienenwachs „versiegelt“, der auf allen Zeichnungen angebracht ist. Etwas, das ursprünglich flüssig und daher formbar war, erscheint plötzlich starr, bereit für die Ewigkeit.

Die kultivierte und anspruchsvolle Kunst von Sandra Vásquez de la Horra, deren Wurzeln in Südamerika liegen, wird von einer reichen und variierten visuellen Kultur sowie von tiefgreifenden Kenntnissen der europäischen und südamerikanischen Literatur, Philosophie und Anthropologie genährt. Die italienische Kultur hat einen tiefen Eindruck hinterlassen. Deren große klassische Autoren, wie z.B. Dante, und deren Künstler und Architekten, wie Leonardo da Vinci, Michelangelo und Palladio, gehören zu ihren Bezugsquellen. Sie hat André Breton, Tristan Tzara, Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud gelesen und bevorzugte im Besonderen Paul Eluard. Später entdeckte sie die nordamerikanische Literatur, wie z.B. Walt Whitman und die Schriftsteller der Beat-Generation: Allen Ginsberg, Gregory Corso, Lawrence Ferlinghetti und später Jack Kerouac.

Sandra Vásquez de la Horra hat immer schon gezeichnet. Ihre radikal figurativen Zeichnungen sind niemals „schön“ im klassischen Sinne. Sie besitzen dagegen etwas Raues und Direktes, eine Art Dringlichkeit. Sie enthalten zahlreiche persönliche Elemente. Seit 1997 taucht die Künstlerin ihre Zeichnungen zur Fertigstellung in Wachs ein. Diese Behandlung verleiht ihren Werken eine einzigartige Beschaffenheit und den Bleistiftlinien eine ungewisse Tiefe. Der Wachs dient als eine lichtdurchlässige Haut, die der Zeichnung eine Patina verschafft, durch die die Zeichnung in eine andere Zeit versetzt wird.

Die Künstlerin verwendet eine Vielzahl von Papierqualitäten und Farben und bevorzugt insbesondere Rechnungsblätter mit durch rote Linien getrennten Spalten. Auf diese Weise verwendet sie altes Papier, häufig von mittelmäßiger Qualität, das sie sich vorzugsweise auf Flohmärkten besorgt. Ihre Linien sind fließend, jedoch kräftig und ununterbrochen. Die Formen werden oft ausgefüllt, wie mit Graphit „ausgemalt“, in zahlreichen Grau- und Schwarztönen, und manchmal, eher selten, mit etwas gelb, rosa oder rot versehen.

Jede ihrer Zeichnungen ist ein eigenständiges Kunstwerk, das eine bestimmte Geschichte erzählt und eine bestimmte Seele aufdeckt, aber Vásquez de la Horra liebt es, die Zeichnungen zu großen Wandinstallationen zusammenzufügen, die aus bis zu hundert Einzelstücken in verschiedenen Größen bestehen. Die Anordnung ist temporär und wird an den vorhandenen Raum angepasst. Dazu ist seitens der Künstlerin ein aufmerksamer Blick und ein intuitiver Sinn erforderlich, um eine erzählerische Struktur zu schaffen, die genau genommen handlungsfrei ist, jedoch einen Humor enthält, der zugleich überschwänglich, verschnörkelt und scharfsinnig ist.

Die Typographie ist in den Arbeiten von Sandra Vásquez de la Horra weit verbreitet. Viele ihrer Zeichnungen kombinieren Bild und Schrift, wobei Letztere die Bedeutung des Bildes verändert. Sie verwendet gern große und kleine Großbuchstaben, die sie ohne Beachtung grammatischer Abbruchregeln anordnet, wodurch sie überraschende Wörter mit neuen Bedeutungen schafft. Manchmal beanspruchen die Wörter den meisten Raum und dominieren das Motiv, wodurch sie zum eigentlichen Gegenstand der Zeichnung werden. Insbesondere im deutschen Kontext ist man leicht versucht, ihre Arbeitsweise in Bezug auf die Sprache mit der der großen Meister der Subversion von Wörtern und Buchstaben aus der Dada-Zeit zu vergleichen, vor allem mit Kurt Schwitters und Raoul Hausmann.

Im Hinblick auf ihre anthropologischen Untersuchungen stehen für die Künstlerin Mythen und Volksmärchen im Mittelpunkt, die ihr die Inhalte zahlreicher Zeichnungen verschaffen. Religion und Sex sind ebenfalls bedeutende Themen in ihren Arbeiten. Sie greift Themen, wie das heilige Herz Jesu, die unbefleckte Empfängnis sowie Heilige, wie z.B. Lazarus und Sebastian, auf. Im Hinblick auf Sex gilt, das dieser sehr natürlich und recht beiläufig behandelt wird. Auch die Politik ist in der Welt von Vásquez de la Horra von Bedeutung, obwohl diese eher eine verborgene Rolle spielt.

Vásquez de la Horra ist außerdem Teil einer großen traditionellen Künstlerfamilie, zu deren Vorfahren Goya und Redon gehören. Einige ihrer Figuren, besonders deren Gesichter, scheinen eine dezent dynamische Hommage an den großen „Meister der Schwarztöne“ zu sein. Wie Redon hat Vásquez de la Horra eine ausgesprochene Neigung zum Absonderlichen und Morbiden. Und ebenso wie er besitzt sie eine Vorliebe für Totenköpfe, Erhängte, geisterhafte Erscheinungen und für Sankt Sebastian, den Redon oft zeichnete und malte. Es ist ihr in ihrer Arbeit nahezu unmerklich gelungen, diesen Einfluss in ihr eigenes darstellerisches Idiom umzusetzen.

Biographie Sandra Vásquez de la Horra wurde 1967 in Viña del Mar, Chile, geboren. Im Alter von zwölf Jahren ging sie zur Akademie der schönen Künste in Valparaíso und mit neunzehn nach Santiago. Zu dieser Zeit wurde die Chile Crea-Demokratisierungsbewegung von Künstlern und Studenten gegründet, an der Sandra Vásquez de la Horra aktiv teilnahm. 1989 zog sie wieder nach Viña del Mar. Sie studierte an der dortigen Universität visuelle Kommunikation und Grafikdesign mit einem Schwerpunkt auf Typographie. 1995 ging sie nach Europa, wo sie ein Jahr in Düsseldorf Vorlesungen von Jannis Kounellis an der Kunstakademie besuchte. 1999 kehrte sie auf Einladung von Rosemarie Trockel nach Deutschland zurück, um ihre Vorlesungen zu besuchen. Zwischen 2001 und 2003 vollendete sie schließlich ihr Studium an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Seit dieser Zeit lebt und arbeitet sie in Deutschland.

Ihre Arbeiten wurden unter anderem im Centre Pompidou, Paris, und im Museum KunstPalast in Düsseldorf ausgestellt und sind außerdem in verschiedenen öffentlichen und privaten Sammlungen zu finden.

Im Juni 2010 erscheint ein Katalog zur Ausstellung von Hatje Cantz. 184 Seiten, 136 Farbabbildungen, in Englisch, Französisch und Deutsch.

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Sandra Vasquez de la Horra
allein zu Hause
kuratiert von Alexander van Grevenstein