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Das Museum Ludwig zeigt erstmals seit ihrer Entstehung zur Weltausstellung in Brüssel im Jahre 1958 die vollständige Wandarbeit The Americans von Saul Steinberg – eine insgesamt 70 Meter lange Collage. Ergänzt wird die Präsentation durch thematisch verwandte Zeichnungen und Collagen aus den fünfziger Jahren sowie zahlreiche Zeitschriftenillustrationen des Künstlers, der die Grenzen zwischen freier und angewandter Kunst immer wieder in Frage stellte.

Der in Rumänien geborene Zeichner und Karikaturist Steinberg (1914-1999) emigrierte nach einem Architekturstudium in Mailand in den frühen vierziger Jahren nach New York, wo er vor allem mit seinen Covergestaltungen für die Zeitschrift New Yorker schon früh bekannt wurde (spätestens durch das vielfach kopierte View of the World from 9th Avenue von 1976).

Für die in Brüssel stattfindende Expo 58 – die erste große Weltausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg, geprägt von der Rivalität der West- und Ostmächte – gestaltete er eine großformatige Collagearbeit aus freistehenden Wandtableaus für den amerikanischen Pavillon. Die acht Tafeln, welche addiert eine Gesamtlänge von über siebzig Metern aufweisen, zeigen ein humorvoll-kritisches Panorama des amerikanischen Alltags zwischen großstädtischer Hektik und scheinbar ländlicher Idylle. Fotografisch reproduzierte Zeichnungen bilden die Hintergrundfolie für Auftritte zahlreicher collagierter Figuren, die mal vereinzelt, mal in dichter Reihung die Bildvordergründe dominieren. Sie zeugen von Steinbergs vielfältiger Verarbeitung künstlerischer Einflüsse ebenso wie von seinem kreativen Einsatz einer Vielzahl unterschiedlicher Medien, beispielsweise Zeichnung, Fotografie, Tapetenmuster, ausgerissenes Packpapier und Comicfetzen. Steinbergs künstlerischer Blick auf Amerika und dessen charakteristische Eigenheiten ist von liebe- und humorvoller Art, verschweigt jedoch nicht so manche Schattenseite des „American Way of Life". Er schaut mit den wachen Augen eines Immigranten auf die Vereinigten Staaten und registriert in unverwechselbarem Stil Phänomene wie Automobilisierung und städtebauliche Veränderung, aber auch Anonymität, Maskenhaftigkeit und Entfremdung. Faszination und Skepsis gehen dabei stets Hand in Hand.

Vorläufer für seine „primitiven" Figuren finden sich unter anderem bei Paul Klee und Jean Dubuffet, die ausfransenden, gigantischen Pappfiguren auf The Americans scheinen aber auch Claes Oldenburgs The Street vorwegzunehmen. Das Einfügen von Comics aus den Sonntagszeitungen in seine Collagen hat ganz offensichtlich Ähnlichkeit mit dem, was später Pop Art genannt werden sollte. So wird auch im Medium der Collage oftmals populäres Material verarbeitet und auf spielerische Weise die Grenze zwischen „High and Low" durchbrochen. Dies gefiel Steinberg, der einmal bekannte: „Die Kunstwelt weiß nicht, wo sie mich hinstecken soll". Durch ihre immense Größe erinnern die Tafeln auch an die plakatwandgroßen Werke von James Rosenquist. The Americans bezeugt auf eindrucksvolle Weise Steinbergs zentrale Stellung in der amerikanischen Kunst der fünfziger Jahre.

Nach Ende der Weltausstellung wurden die acht großen Tafeln vertikal in 84 Teile zerschnitten, um Transport und Lagerung zu erleichtern. Trotzdem war es zunächst schwierig, ein Museum zu finden, das bereit war, die Tafeln zu übernehmen. Schließlich gelangte das umfangreiche Werk in die Sammlung der Musées Royaux des Beaux-Arts in Brüssel. Selten wurden einzelne Tafeln ausgestellt, zu einer Gesamtpräsentation kam es aufgrund des Umfangs der Arbeiten seitdem nicht mehr.

Flankiert wird die Ausstellung The Americans von zahlreichen Arbeiten des Künstlers aus seiner vielleicht interessantesten, mittleren Schaffensphase: Zeichnungen und Collagen, die motivische Parallelen zum Brüsseler Projekt aufweisen, aber auch von kombinierten Foto- und Zeichnungsarbeiten, die in Kooperation mit befreundeten Künstlern entstanden sind. Nicht fehlen dürfen einige der berühmten Papiertüten-Masken – ein fantasievolles Projekt, das er gemeinsam mit der Fotografin Inge Morath verfolgte. Erstmals werden einige davon nicht in gerahmter Form, sondern in einer skulpturalen Aufstellung präsentiert, die ein besseres Verständnis der ursprünglichen Verwendung ermöglicht.

Während Steinbergs Arbeiten sich in den Sammlungen zahlreicher Kunstmuseen in den USA befinden, wurde er in Europa primär von Häusern gesammelt und ausgestellt, die sich auf angewandte Kunst, Comic, Illustration und Karikatur spezialisiert haben. Nicht ungewöhnlich, prägte er doch bereits in der Nachkriegszeit eine ganze Generation von Grafikern und Illustratoren dies- wie jenseits des Atlantiks. Das Museum Ludwig bietet nun mit seiner reichhaltigen Sammlung amerikanischer Kunst den idealen Ort und Rahmen, um Steinbergs umfassendes Werk in räumlicher Nähe zu dem zahlreicher Künstler aus Pop Art und Abstraktion zu kontextualisieren und so neu erfahrbar zu machen.

Die Ausstellung, zu der ein zweisprachiger Katalog mit zahlreichen Abbildungen erscheint, entsteht in enger Zusammenarbeit mit der Saul Steinberg Foundation, New York.

Kurator der Ausstellung: Andreas Prinzing