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Eröffnung: Donnerstag, 20 März 2008, 19–21 Uhr

Pressetext:

Die Ausstellung [scene missing] versammelt 11 jüngere künstlerische Positionen, die eine Analyse von Kino und Film betreiben. Ohne Film im herkömmlichen Sinn zu zeigen oder Kinosituationen zu simulieren, wird die Methodik der narrativen Konstruktion hinterfragt und auf den brüchigen Charakter von Realität und deren filmischen Repräsentationen verwiesen. Die Abwesenheit von Kino und Film in der Ausstellung [scene missing] ist Produkt eines kollektiven Gedächtnisses. Der Rezipient ergänzt durch eigene Erinne-rungen an Kino und Filmgeschichte die fehlende Szene, „the scene missing“. Im Spannungsfeld von Black Box und White Cube wird in der Galerie Thomas Schulte Kino zum Material in den ausgestellten Werken.

Im Gegensatz zum Avantgardefilm und Expanded Cinema ist nicht der Bruch mit den Konventionen Motor für künstlerische Praxis, sondern vielmehr ihre Aneignung. Die Konventionen der filmischen Repräsentation werden zum Ausgangsmaterial. Narrative Strukturen, Interesse an der Mechanik von Projektionsapparaten, kinematografische Traditionen und Rezeption von Filmen werden einer Dekonstruktion und Recodierung unterzogen. Filmgeschichte wird zum Werkstoff.

Die Ausstellung [scene missing] wurde kuratiert von Fiona Liewehr und ist eine Kooperation mit Georg Kargl Fine Arts in Wien.

Björn Kämmerer, Marijke van Warmerdam, Manon de Boer, Christoph Weber und Wolfgang Plöger verbindet ein gemeinsames Interesse. Sie bedienen sich einer antiquiert wirkenden Technologie, zwingen Film- und Diaprojektoren oder alten Tonbandmaschinen Funktionen auf, für die sie ursprünglich nicht gebaut oder vorgesehen waren. Der mechanische Apparat wird als Fetisch inszeniert. Der deutsche Künstler Björn Kämmerer zeigt in seinem 16-mm-Filmloop dawn (2007) die Nahaufnahme einer Frau, die vor einer gleißenden, stets im Verborgenen bleibenden Lichtquelle ihren Kopf unentwegt hin und her bewegt. Die lineare Erzählstruktur und räumliche Orientierung wird durch Schnittfolge, Montage und Verdichtung des Found Footage-Materials aufgehoben. Der erschrockene Gesichtsausdruck der in starker Untersicht gezeigten Frau, die scheinbar in einer ausweglosen Situation gefangen ist, erzeugt beim Rezipienten ein beklemmendes Gefühl von Unendlichkeit und evoziert Erinnerungen an die Ästhetik von Hitchcock Thrillern, in denen der unschuldig Verfolgte ein oft variiertes Thema darstellt.

Der 16-mm-Filmloop Passage (1992) von der niederländischen Künstlerin Marijke van Warmerdam zeigt ein schwarzes kleines Viereck, das langsam aus der Mitte eines weißen Hintergrundes auftaucht und allmählich die gesamte Projektionsfläche ausfüllt, um nach Beendi-gung des Bewegungsablaufs erneut zu beginnen. Durch die Endlosbewegung entstehen beim Betrachter Assoziationen, aus denen sich Geschichten entwickeln können. „Passage is a work which troubles my eye and my thoughts. I have the feeling that the phenomenon film has been stripped to the bone, but still someone is pulling my leg. In the meantime, my eye is very much attracted by its movements in black and white. It could be a tunnel, it could be an elevator, it could be the beginning of a story. In fact, it is no more than what it is. Or isn’t it?” (Marijke van Warmerdam)

Nadim Vardag untersucht in den unterschiedlichsten Medien wie Skulptur, Zeichnung und Film die Konstruktion medial vermittelter Bilder und hinterfragt die Mechanismen von Kino- und Filmproduktion. In der Arbeit The Night (2005) verwendet Vardag die Untertitel des gleich-namigen Films von Michelangelo Antonioni. Die Abwesenheit von Bild und Ton legt den Fokus auf die geschriebenen Dialoge. Das Drehbuch als Ausgangspunkt einer Spielfilmproduktion scheint wiederzukehren und dient dem Rezipienten als Vorlage zur Inszenierung seines imaginierten Films. Der Betrachter wird zum Regisseur. Ebenso fordert die Arbeit Black Screen (2007) dazu auf, die schwarze Leinwand als Leerstelle mit individuellen Projektionen zu besetzen. Die skulpturale Arbeit stellt die mimetische Abbildung einer Projektionsfläche dar, disfunktional durch die schwarze Leinwand bleibt sie leer und somit abbildlos. Gleichermaßen weckt die Arbeit Erinnerungen an minimalistische Skulpturen und funktioniert als Projektionsfläche kinemato-grafischer Erinnerungen.

Theo Ligthart analysiert in seiner Arbeit Avant-garde (Rainer, Kubelka, Ligthart) (2002) eine Ikone des Avantgardekinos – den Film Arnulf Rainer (1960) von Peter Kubelka. Rainer gab Kubelka den Auftrag zur Produktion einer Dokumentation über sein künstlerisches Schaffen. Das Ergebnis war zu Rainers größtem Erstaunen ein ausschließlich aus weißen und schwarzen Kadern bestehender Film, deren rhythmische Abfolge einer strikten Partitur folgt. Ligthart übersetzt diese Partitur in seiner Arbeit Avant-garde (Rainer, Kubelka, Ligthart) in einen Rhythmus von Licht und Dunkelheit, in das An und Aus einer Lichtquelle, das durch eine kleine Box, deren Herzstück ein Prozessor ist, gesteuert wird. Eine solche Box kann an jede beliebige Lichtquelle angeschlossen werden und somit jedes Wohnzimmer in ein Avantgarde-Kino verwandeln. Auch Ligtharts Arbeit Spielfilm (Director’s Cut) (2002-2004) orientiert sich formal an der Bild-sprache des Avantgarde-Films. Der Bruch mit der filmischen Narration im Experimentalkino wird ad absurdum geführt, indem die in einem einzigen Satz zusammengefassten Plots aus dem Mainstream-Kino in einem formal nachempfundenen Kino-Schaukasten präsentiert werden und damit auf die Ästhetik der Standbilder aus dem Mainstream-Kino verweisen. Dadurch entsteht eine Parade von Textbildern, welche die Redundanz des herkömmlichen Erzählkinos auf ironische Weise vorführt und das individuelle Filmgedächtnis der Rezipienten unmittelbar anregt.

Andreas Fogarasi präsentiert in seinem monumentalen Siebdruck 1974, 1975, 1976,… (2007) einen Zwischentitel seiner Videoinstallation Kultur und Freizeit (2006), die zuletzt auf der Biennale in Venedig gezeigt wurde. Die Größe der Arbeiten entspricht dabei der Projektionsfläche seiner Videos. Thema seiner Filme sind Kultur- und Bildungshäuser in Budapest, deren Architektur von den Veränderungen ihrer inhaltlichen Programme erzählt und Fragen nach den ästhetischen und strukturellen Vorstellungen ihrer Erbauer und Nutzer aufwirft. Die Serie der Zwischentitel, die ursprünglich auf einstige und gegenwärtige Realitäten der vorgeführten Architekturen verwiesen, werden aus den Videos extrahiert. Entkontextualisiert werden sie zu Projektionsflächen individueller Erinnerungen.

Der deutsche Künstler Wolfgang Plöger zeigt in seiner Installation Untitled (Barcelona) (2001) zwei einander gegenüberliegende Projektionen. Ein 8-mm-Filmstreifen wird mit drei Bildern pro Sekunde gleichzeitig durch einen Filmprojektor und einen Diaapparat geführt. Während der kinematografische Übertragungsapparat auf der einen Wand private Filmaufnahmen in Zeitlupe zeigt, laufen auf der gegenüberliegenden Wand im statischen Lichtkegel des Diaprojektors die einzelnen Filmkader ruckartig vorbei; somit wird offenbar, dass Film aus einer Aneinanderreihung von Standbildern besteht. Die lineare narrative und zeitliche Struktur wird verschoben, indem die selben Filmszenen durch die verschiedenen technischen Apparaturen in scheinbar unter-schiedlichen Geschwindigkeiten und Bewegungsabläufen gezeigt werden. Die Illusionsmaschine Film wird dekonstruiert, indem Fragen nach der Repräsentation von Realität wie nach Veränderungen in der Rezeption durch verschiedene kinematografische Apparate aufgeworfen werden.

Die Installation des tschechischen Künstlers Ján Mančuška I asked my wife to blacken all parts of my body which I cannot see (2007) besteht aus einer überdimensionalen Lichtbox, vor der von der Decke hängende Filmstreifen präsentiert werden. Sie zeigen die fotografische Dokumentation einer Performance, bei der eine Frau einem Mann alle Körperstellen bemalt, die er selbst ohne Zuhilfenahme eines Spiegels nicht sehen kann. Indem Mančuška gezielt die Stellen des menschlichen Körpers markiert, die für einen selbst wie für andere wesentlich zur Identifikation und Identitätsbildung beitragen, verweist er auf die Schnittstellen von privatem und öffentlichen Raum und auf die Konstruktion von Identität als Prozess einer subjektiven Selbstwahrnehmung und fremdbestimmten Zuschreibung. Der Veränderungsprozess des männlichen Performers, der sich im Laufe der Aktion immer mehr zu einem maskierten Wesen wandelt, kann mit Identitätsbildung gleichgesetzt werden. Identität stellt keine eindeutige Essenz dar und ist stets vielschichtig und wandelbar und ist selbst wieder Erscheinung und Produkt eines sozialen und kulturellen Konstruktionsprozesses.

In Christoph Webers Arbeit Telefunken und Tesla (2007) treten zwei Tonbandgeräte aus den späten 50er Jahren – Telefunken aus westdeutscher Herstellung, Tesla aus tschechoslowakischer Produktion – in einen scheinbaren Dialog. Die Maschinen geben Textfragmente wieder, die aus den deutschsprachigen Versionen unterschiedlicher Science Fiction Filme von den 50er Jahren bis heute entnommen sind. Sie treten in fiktive Dialoge, welche die wissenschaftlich aufgeladene Propagandaschlacht des Kalten Krieges im Fernsehraumschiff emotional dramatisiert repräsentieren. Indem Weber zwei typische Geräte des beginnenden Homerecording einander gegenüberstellt, verweist er auf jene Zeit, in der die Propaganda zwischen Ost und West auf ihrem Höhepunkt stand und durch mediale Vermittlungsformen Einzug in private Haushalte fand.

Der walisische Künstler Cerith Wyn Evans verbindet seit den frühen 90er Jahren in seinen Arbeiten vielschichtige Referenzen auf Literatur, Poesie, Philosophie, Filmtheorie und moderne Naturwissenschaften mit formalen Anspielungen an die konzeptuellen Werkentwürfe der 60er und 70er Jahre. In raumgreifenden Installationen – an Wänden angebrachte Leuchtschriftzüge, Filmprojektionen und skulpturale Objekte – evoziert Wyn Evans dabei einen ästhetischen Kos-mos, in dem der unabschließbare Prozess von subjektiver und assoziativer Wahrnehmung an die Stelle von Eindeutigkeit und Transparenz in der Informationsvermittlung tritt. Die ausgestellte Arbeit slow fade to black ... (reversed) (2004) stammt aus den subtitle series. Die Positionierung der Neonschrift in Bodennähe lässt die weiße Galeriewand zum Filmbild werden. Der Inhalt des Satzes steht im Widerspruch zum grellen Neonlicht auf heller Wandfläche: zwar lässt slow fade to black ein langsames Verschwinden des Bildes erwarten, doch die Erwartung bleibt unerfüllt.

Für Manon de Boer ist Geschichte keine lineare Aneinanderreihung von Ereignissen, sondern die Erfahrung eines beständigen Prozesses, in dem selektive Erinnerungen in ganz bestimmter Weise in Beziehung stehen. Unter Verwendung der persönlichen Erzählung als narrative Methode erkundet de Boer in ihren Arbeiten die Beziehung zwischen Sprache, Zeit und dem Anspruch auf Wahrheit. Die „erzählte Geschichte“ von unterschiedlichen herausragenden Persönlichkeiten wie Sylvia Kristel – die als Darstellerin der Emmanuelle internationale Berühmtheit erlangte – erlaubt der Künstlerin den Begriffen von Erinnerung und Überzeugung nachzugehen und dabei die Übereinstimmung von gelebter Zeit und Geschichte zu hinterfragen. Sylvia, March 1&2, 2001 Hollywood Hills (2001) zeigt eine Nahaufnahme von Sylvia Kristel, die rauchend in die Kamera blickt. Das ratternde Geräusch des 16-mm-Projektors wird zur Tonspur des stummen Dialogs zwischen Kristel und de Boer. Die Tradition der Porträtkunst wird verknüpft mit dem individuellen filmischen Gedächtnis.

Der Film Sherlock Jr. (Buster Keaton, 1924) von Christian Mayer, der ganz ohne Bilder auskommt, ist nicht unmittelbar im Rahmen der Ausstellung [scene missing] zu sehen, sondern soll in einer eigenen Veranstaltung gezeigt werden. In Form einer Beschreibung, wie man sie als Film-kommentar für Blinde und Sehbehinderte kennt, wird hier eine Szene aus dem Buster Keaton Film Sherlock Jr. erzählt. Während der Filmprojektor nur weißes Licht auf die Leinwand wirft, beschreibt eine Stimme, wie Keaton durch die Leinwand eines Kinos in einen Film hineinspringt, um als handelnder Akteur in eine Kette von Missgeschicken zu stolpern, da er die Diskontinuität von Zeit und Raum im Film nicht verstehen will. Indem das ursprüngliche filmische Bild durch eine mündliche Erzählung ersetzt wird, erweitert der Tonfilm die komplexe Architektur von Keatons Film in den Zuschauerraum hinein. Die Erzählung platziert die Geschichte direkt in unserer Imagination und ermöglicht uns die Vorstellung eines Raumes, in dem zwischen Fiktion und Realität nicht mehr zu unterscheiden ist. Aufführungsort und -zeit des Films Sherlock Jr. (Buster Keaton, 1924) von Christian Mayer werden kurzfristig bekannt gegeben.

(Text: Fiona Liewehr)

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scene missing
In Kooperation mit Georg Kargl Fine Arts in Wien
Kuratorin: Fiona Liewehr

mit Manon de Boer, Cerith Wyn Evans, Andreas Fogarasi, Björn Kämmerer, Theo Ligthart, Jan Mancuska, Christian Mayer, Wolfgang Plöger, Nadim Vardag, Marijke van Warmerdam, Christoph Weber