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Die in drei Kapiteln angelegte Thematische Ausstellungsreihe untersucht den Modus des Karnevalesken in seiner Dichotomie zwischen widerständigen Potential und kommerzieller Vereinnahmung. Während es in dem ersten Kapitel hauptsächlich um die Auseinandersetzung mit (medialen) Räumen ging, in denen das Karnevaleske stattfindet, bzw. aufgeführt wird, richtet sich der Fokus im zweiten Kapitel auf die Figuren – die Adressaten und ProduzentInnen – des Karnevalesken.

Das Karnevaleske benötigt keine Bühne – es ist ein Schauspiel ohne Rampe (Bachtin), das die Grenzen zwischen Publikum und "Aufführenden" verwischt. Der Modus des Karnevalesken kann im Gegensatz zum traditionellen Karneval unabhängig von örtlich und zeitlich festgelegten Rahmenbedingungen im Alltag wieder gefunden werden und sowohl von Gruppen wie auch Individuen als Ausdrucksform gewählt werden. Er produziert Zeichen durch Aneignung, Entwendung oder Verfremdung, die sich tatsächlich oder auch nur auf der Oberfläche von der bestehenden hegemonialen Ordnung absetzen. Das Karnevaleske lässt sich in diesem Zusammenhang als kulturelle Praktik verstehen, in der die Gesellschaft über sich selbst kommuniziert.

Einerseits kann diese Praktik im Rahmen der kommerziellen Spektakelkultur als Entertainment zur passiven Befriedigung von Schaulust und Erzeugung materieller Sehnsüchte eingesetzt werden, andererseits bietet das Karnevaleske aber auch emanzipatorische Möglichkeiten zur aktiven Produktion von Bedeutung und Konstruktion von Identität. Es stellt sich aus dieser Perspektive die Frage nach dem "Ich" als karnevalesken Subjekt und in wieweit individuelle und kollektive Verhaltensmuster zu trennen sind. Wer lacht eigentlich über wen? Ist die karnevaleske Figur zwangsläufig Statist oder kann ein "Statist des eigenen Alltags" auch karnevalesk handeln, um selbst bestimmte Handlungsoptionen zu eröffnen? In welchem Zusammenhang stehen hierzu Überlegungen zu subkulturellen Bewegungen als ProduzentInnen von "Stil"? Und wie ist die Verunsicherung in Diskussionen über kollektive Identifikationsmuster zu verstehen, wenn soziologische Definitionskreationen Zuschreibungen wie "Bobos" (eine Kreuzung zwischen Hippies und Yuppies) und "Puppies" (eine Mischform zwischen Punk und Hippies) bemühen müssen?

Im Spannungsfeld zwischen ökonomischen Interessen und subkulturellen Subversionsstrategien stellt das Karnevaleske Fragen nach Macht- und Herrschaftsverhältnissen in einer durch "race", "class" und "gender" geprägten Gesellschaft. Als hintergründiges Spiel bietet es die Möglichkeit, die Fixierung auf vereinfachende Identitätszuschreibungen, Geschlechterrollen und Konstruktionen von sozialem Raum kritisch zu hinterfragen, sich der Norm widersetzende Bilder zu generieren und eine Körperpolitik der Aufmerksamkeit zu befürworten, die zunächst außerhalb der gesellschaftlichen Ordnungsmuster stehen sich aber häufig schnell wieder von ihnen vereinnahmen lassen.

Das Karnevaleske als kulturelle Praktik offenbart die hybride Identität des Subjektes als Konstruktion, die durch das Ineinandergreifen von realen und medialen Versatzstücken geprägt ist. Die im zweiten Kapitel der Ausstellungsreihe vorgestellten künstlerischen Positionen verhandeln und dekodieren Alltagskodes und machen deren Doppelbödigkeit sichtbar. Im Vordergrund steht die künstlerische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und historischen Kodes und Spracherfindungen ebenso, wie Analysen über aktuelle individuelle Stilproduktionen, die sich auf einer sichtbaren Oberfläche einschreiben und den Anschein haben auf eine Stimme aus dem "Off" zu reagieren.

Pressetext

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Spektakel, Lustprinzip oder das Karnevaleske 2:
SCHAUSPIEL OHNE RAMPE

mit Songül Boyraz, Annika Eriksson, Jesper Just, Marion Porten, Corinna Schnitt, Szuper Gallery, Artur Zmijewski