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Die Kunsthalle Tübingen widmet der weltbekannten iranischen Künstlerin Shirin Neshat eine große retrospektiv angelegte Einzelausstellung. Neben den wichtigsten Werken ihrer verschiedenen Schaffensphasen präsentiert die Schau auch Arbeiten der Künstlerin, die das erste Mal in Europa zu sehen sein werden.

Die iranische Künstlerin, Fotografin und Filmemacherin Shirin Neshat (*1957) ist insbesondere für ihre Auseinandersetzungen mit der Lage von Frauen in der muslimischen Welt bekannt. Sie wuchs in einem wohlhabenden, westlich orientierten Elternhaus auf und besuchte ein katholisches Internat in Teheran. Als 1979 Ayatollah Khomeini durch die iranische Revolution an die Macht kam, ging sie in die USA, um dort Freie und Darstellende Kunst zu studieren. 1990, ein Jahr nach Khomeinis Tod, kehrte sie erstmals in den Iran zurück, der sich durch die Revolution in der Zwischenzeit völlig verändert hatte. Auf diesen Wandel reagiert sie mit der international berühmt gewordenen schwarzweiß-Fotoserie Women of Allah (1993–1997), die zugleich den Beginn ihrer ersten wichtigen Schaffensphase als professionelle Künstlerin markiert. Die Aufnahmen zeigen Porträts von bewaffneten islamischen Frauen, deren von Kleidung unbedeckten Stellen, etwa an Gesicht oder Hände, mit Texten zeitgenössischer iranischer Lyrikerinnen in der Landessprache Farsi überschrieben sind.

1998 wechselt Neshat in das Medium Videoinstallation: Ihre Filmtrilogie Turbulent (1998), Rapture (1999) und Fevor (2000) gewinnt den Internationalen Preis der 48. Biennale di Venezia. Hatte sich die Künstlerin bislang vor allem mit der islamischen Kultur befasst, so beschäftigt sie sich nun stärker mit der Hinterfragung westlicher Wertvorstellungen, zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit der Sängerin und Performancekünstlerin Sussan Deyhim, die in ihrer Musik orientale und abendländische Stile kombiniert. In den Videoinstallationen Mahdokht (2004), Zarin (2005), Faezeh (2008), Munis und Farokh Legha (2009) kann eine dritte Werkperiode Neshats gesehen werden, weil sie sowohl eigenständige Videoarbeiten als auch Einzelsequenzen von Neshats abendfüllendem Spielfilm Women Without Men sind, mit dem die Künstlerin auf den 66. Filmfestspielen Venedig den Silbernen Löwen für die Beste Regie gewinnt. 2013 wird Shirin Neshat in die Wettbewerbsjury der 63. Internationalen Filmfestspiele Berlin berufen, 2017 präsentiert sie im Rahmen der Salzburger Festspiele eine multimediale Opernaufführung.

Die große Übersichtsausstellung in der Kunsthalle Tübingen führt wichtige Werke aus allen Schaffensphasen von Shirin Neshat zusammen, von den berühmten ikonischen Schriftfotografien über die Single- und Multi-Channel-Videoinstallationen bis hin zu ihren jüngsten Werkblöcken wie zum Beispiel The Book of Kings. Der programmatische Ausstellungstitel Frauen in Gesellschaft adressiert dabei zwei stetig wiederkehrende Themen in Neshats Oeuvre: einerseits die Rolle der Frau in muslimischen, patriarchischen Gesellschaften und andererseits die Nachwirkungen von Erlebnissen, die eine Frau für den Rest ihres Lebens prägen und in deren Gesellschaft sie sich also fortan befindet. Beide Aspekte beschreibt Shirin Neshat mit ihrer Kunst in poetischer, geheimnisvoller Ambivalenz. Der zwischen Fotografie und Bewegtbild mit Ton ausbalancierte Parcours wird sich durch die gesamte Kunsthalle Tübingen ziehen ganz neue Werke präsentieren, die zuvor in Europa noch nie zu sehen waren.