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Die international renommierte, in ihrem Geburtsort jedoch noch weitgehend unbekannte Künstlerin Silke Schatz, deren Werk mit dem niedersächsischen Förderpreis 2005 geehrt worden ist, reflektiert in ihrem künstlerischen Werk - Rauminstallationen, Objekte, Zeichnungen und Fotoarbeiten - Orte ihrer Vergangenheit. Für das Celler Projekt begibt sie sich auf autobiografische Spuren und hinterfragt ihre eigenen Wurzeln.

Der in der gotischen Halle des Celler Schlosses präsentierte Werkkomplex bezieht sich auf Thaers Garten, ein klassizistisches Herrenhaus am Rand der Celler Dammaschwiese. Erbaut 1793 von Albrecht Daniel Thaer, dem Begründer der modernen Landwirtschaft, liegt das malerische Anwesen idyllisch eingebettet im saftigem Grün am Ufer der Aller, ein beliebtes Ausflugsziel für Spaziergänger und Fahrradfahrer. 1938 wurde das Gebäude zu einem SS-Heim ausgebaut, in dem auch der SS-Sturm Celle 12/17 bis 1945 sein Hauptquartier hatte. Der Großvater der Künstlerin, Erich Schatz, ein SS-Offizier, war dort als Verwalter des SS-Heims tätig.

Mehrfach besuchte die Künstlerin das momentan leer stehende Gebäude und begab sich auf Spurensicherung. Sie nahm Zurückgelassenes wie Lampen der letzten Bewohner mit, alte Briefe, ein Kleid aus den zwanziger Jahren. Darüber hinaus löste sie Tapetenbahnen ab, legte Schicht um Schicht frei, stieß auf Zeitungsartikel aus dem späten 19. Jahrhundert. Aber die gesamte NS-Zeit schien wie ausgelöscht.

Im Dämmerlicht der gotischen Halle wird Silke Schatz eine in Thaers Garten vorgefundene Lampe präsentieren, einen Kronleuchter aus den sechziger Jahren, der mit seinen farbigen Glühbirnen schillernd den Raum beleuchtet. Zwei lebensgroße Figuren, ein Mann mit einer Kerze in der Hand und eine Frau, die sich hingebungsvoll an ihn schmiegt, wirken höchst befremdlich. Einerseits wie Ebenbilder unserer selbst, da die Gesichter und die Proportionen realistisch anmuten, andererseits rückgratlos, wie Marionetten, denn sie hängen von oben herab, sind instabil, obwohl sie auf den ersten Blick auf den Füßen zu stehen scheinen. Die Figuren porträtieren Familienangehörige der Künstlerin, ihre Großeltern mütterlicherseits, Erich und Martha Schatz. Platziert sind Lichtobjekt und Figurenpaar vor einer monumentalen, filigranen Zeichnung, die Thaers Haus in der für die Künstlerin kennzeichnenden verfremdenden Art zeigt: als scheinbar technische Zeichnung und gleichzeitig als irritierendes Liniengewirr.

Die Installation wirft ein Licht auf eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Vergangenheit und ist zugleich der Versuch einer Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte: Großvater Schatz, als SS-Offizier u.a. für die „Partisanenbekämpfung“ (NS-Jargon) hinter der Ostfront zuständig, war Aufseher in einem Lager für Zwangsarbeiter in der Heide, tötete vermutlich seine Geliebte, die ihm auf der Flucht durch die russisch besetzte Zone half und mit der er sich in einer Jagdhütte bei Celle versteckte, wurde dafür vom Celler Gericht in den fünfziger Jahren freigesprochen, von ehemaligen polnischen Zwangsarbeitern gesucht und verübte, nach gescheitertem Neuanfang, in einem nahe bei Celle gelegenen Wald Selbstmord.

Einen anderen Werkkomplex, bestehend aus Zeichnungen und Architekturmodellen im Bomann-Museum, widmet die von der Bauhaus-Ästhetik geprägte Künstlerin dem lange Zeit in Vergessenheit geratenen Architekten Otto Haesler, der Celle in den zwanziger Jahren zu einem Zentrum des „Neuen Bauens“ machte und hier bis 1933 wirkte. Mit der Altstädter Schule und den Siedlungsbauten Italienischer Garten, Georgsgarten oder Blumläger Feld verwirklichte er seine visionären Ideen zum Thema Bau und Architektur in beispielhafter Form. Seine Rolle und Bedeutung als stellvertretender Leiter des Stadtbauamtes in Litzmannstadt (Lodz) ab 1941 ist noch unklar und wird zurzeit erforscht.

Mit diesen Arbeiten entwirft Silke Schatz ein sehr persönliches Porträt ihrer Geburtsstadt. Gleichzeitig sind sie als Versuche oder Prozesse zu verstehen, Geschichte, die sich in Mythen auflöst, fassbar zu machen und ihrer habhaft zu werden.

Zur Ausstellung erscheint ein zweisprachiger Katalog (deutsch/englisch) im Kerber Verlag Bielefeld mit Texten von Anita Shah, Ulrich Krempel und Vanessa Joan Müller.

Silke Schatz: Radical Self - Wurzelkind Eine Ausstellung des Bomann-Museums Celle und des Kunstvereins Celle e. V.

Pressetext

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Silke Schatz: Radical Self - Wurzelkind
Eine Ausstellung des Bomann-Museum Celle und des Kunstverein Celle
Orte: Gotische Halle im Celler Schloss und Bomann-Museum