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Sechs Künstlerinnen und Künstler - Phyllida Barlow, Alexandra Bircken, Michael Beutler, Vincent Fecteau, Anita Leisz und Kimberly Sexton - zeigen das breite Spektrum von zeitgenössischer Skulptur. Gemeinsamer Nenner ihrer Werke ist ein künstlerischer Prozess, der sich am Material entzündet und formuliert. Den Objekten sind die Handlungen, die zu ihrem Entstehen geführt haben, eingeprägt: das Umweben, Reißen, Falten, Biegen oder Zerdrücken von Material. Gemeinsam sind ihnen außerdem eine stille bis humorvolle Exzentrik und Experimentierfreude.

Seit den 1960er-Jahren haben Künstler sich verstärkt von der autonomen Skulptur losgesagt. Richard Serra und Robert Morris etwa setzten dem Kunstwerk als Konsumobjekt Prozess und Handlung entgegen. Diese ambivalente Haltung gegenüber dem Objekt fand ihre Fortsetzung in der Institutionskritik und Kontextkunst. Heute verstehen Künstler Handlungen nicht mehr als Selbstzweck, sondern wählen sie in Hinblick auf ihre sozialen und kulturellen Konnotationen. Dabei fällt der Hinweis auf Handlung und Herstellung bei jedem Künstler unterschiedlich aus.

Michael Beutler verarbeitet seine "Ressourcen" - damit meint er Ausgangsstoffe wie Papier, Holz, Stoff oder Leim - zu räumlichen Modulen, die manchmal auch begehbare Räume bilden. Weil die dafür notwendigen Apparate nicht vorhanden sind, baut er sie selbst: Räderwerke zum Falten von Papier, Leimvorrichtungen zur Verbindung von Metall und Stoff, Holzkonstruktionen um Maschendraht zu biegen u.a. Diese hochspezialisierten, per Hand zu bedienenden Apparate stellt er mit aus. Seine Environments wirken wie eine vorindustrielle, vorübergehend verlassene Werkstatt. Sie erwecken den Anschein, als könne der Prozess noch fortgesetzt und die Installation erweitert werden.

Auch Phyllida Barlow stellt den direkten Kontakt zum Besucher her. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie ein Objekt betrachtet wird, welche Perspektiven ermöglicht und welche blockiert werden, und inwiefern die Wirkung eines Objekts durch die Art, wie es präsentiert wird, bestimmt ist. Phyllida Barlows Beitrag zur Ausstellung bezieht die architektonischen und sozialen Rahmenbedingungen des Ortes mit ein. Die Künstlerin platziert im Eingangsbereich der Ausstellung eine Bühne aus bemaltem Holz und Styropor, die sich dem Besucher entgegenstellt und ihn zwingt, sie am Rand zu umgehen. Darauf folgt eine Ansammlung von stehenden und liegenden Säulen und Säulenfragmenten, die mit Zement überzogen sind. Sie lassen an die Säulenreihen vor und hinter dem Haus der Kunst denken und bilden eine Art Ruinenlandschaft.

Kimberly Sexton beschäftigt sich in "Columns" (2005/2011) mit einem kunsthistorischen Vorbild: die "Splashes" und "Casts" von Richard Serra. Serra spritzte für diese ab den späten 1960er-Jahren entstandenen Arbeiten erhitztes, flüssiges Blei in die Ecken von Innenräumen. Wegen der Hitze des flüssig gewordenen Materials war dieser Schaffensakt nur teilweise zu kontrollieren. Kimberly Sexton konterkariert Serras betont männliche Inszenierung des Prozesses: Ihre Abgüsse von Eckprofilen sind aus einer elegant formbaren Sorte Gips und sehr fragil. Die Abgüsse werden in Viererkonstellationen angeordnet und deuten einen Pfeiler an. Auf den Innenseiten sind sie mit einem Löffel in malerischem Gestus bearbeitet. Zusammengenommen zeugen all diese Mittel - Minimalismus der Form, Materialbehandlung, psychologische Aufladung, Einbeziehung zeichnerischer Elemente - von einem konzeptuellen Ansatz.

Den grundsätzlichen Fragen nach Format, Volumen, Gewicht fügt Anita Leisz in minimalistischer Tradition die Auseinandersetzung mit der Platzierung im Raum hinzu. Ihre Objekte sind aufrecht stehende Quader aus Materialien für den Innenausbau, wie Sperrholz- und Rigipsplatten, die in der Regel nach oben offen sind. Sie unterscheiden sich, was Proportionen, Öffnungen, Gebrauchsspuren und Zuschnitt der Kanten betrifft. Dabei bleiben sie alle innerhalb einer Größe und eines Gewichts, das für Anita Leisz handhabbar ist. Der Körper wird damit zum Maßstab. Gerade die teils minimalen Unterschiede verleihen jedem Objekt einen eigenständigen Charakter. Durch grafische Eingriffe, wie eine auf grauweißem Grund aufgetragene Bahn aus schwarzem Lack, wird dies noch betont. Mit der Positionierung der einzelnen Objekte zueinander öffnet Anita Leisz das Feld hin zu sozialen Konstellationen.

Alexandra Bircken kommentiert gesellschaftliche Rollenbilder, indem sie Materialien und deren Verarbeitung im Bewusstsein ihrer kulturellen Bedeutung einsetzt. Sie arbeitet mit frei verfügbarem Material, das sich in der Natur findet, wie Zweige und Blätter, und mit Fundstücken von Flohmärkten oder aus eigenen Beständen, wie einem ausrangierten Motorradritzel und Tanktasche (SOULUTION, 2010). Verknotungen und Verspannungen mit Wolle, Draht, Seilen und Tauen bilden die Verbindung zwischen diesen Elementen, von denen jedes eine bestimmte Lebensdauer und Wertigkeit besitzt. Die Stärke dieser Arbeiten besteht in der Präzision, mit der die Materialien beim Betrachter bestimmte Assoziationen abrufen; z.B. wecken Bojen oder Taurollen andere Vorstellungen von Rollenbildern als Echthaarsträhnen, ein hellgelber Wollrock oder ein überdimensionaler Tampon (Alexandria, 2010).

Vincent Fecteau ist in der Ausstellung mit mittelgroßen Pappmaché-Skulpturen und Wandarbeiten vertreten, die er in den vergangenen fünf Jahren produziert hat. Die Vielansichtigkeit der Skulpturen ist sehr ausgeprägt. Umriss und Gestalt eines Objekts sind von jeder Seite vollkommen anders. Die Skulptur kann erst erfahren werden, wenn der Betrachter um sie herumgeht. Die Wandobjekte haben ebenfalls keine Hauptansicht. Die Rückseite kann zur Vorderseite werden. Ausgangspunkt für jedes Wandobjekt ist ein Papprohr, das zur Aufhängung dient. In einem langen Prozess modelliert Vincent Fecteau die Formen. Die Bemalung in gedeckten Farben täuscht andere Materialien wie z.B. Holz oder Keramik vor. Vincent Fecteaus Interesse gilt einer Skulptur, die den Betrachter - frei von Verweisen - zum Sehen und Nachvollziehen ihrer Formen einlädt.

Der Katalog mit Installationsansichten erscheint Anfang Dezember bei Hatje Cantz; mit einem Vorwort von Okwui Enwezor und Texten von Deborah Bürgel, Patrizia Dander, Anette Freudenberger, Zoë Gray, Michael Lobel, Julienne Lorz und Daniela Stöppel; 128 Seiten, Deutsch/Englisch

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Skulpturales Handeln
Kuratorinnen: Patrizia Dander, Julienne Lorz

Künstler: Phyllida Barlow, Alexandra Bircken, Michael Beutler, Vincent Fecteau, Anita Leisz, Kimberly Sexton