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Sofie Thorsen setzt sich seit mehreren Jahren in Zeichnungen, Diareihen und erläuternden Audiotexten mit Themen wie Wohnen, dem Einfluss des Tourismus auf dörflich gewachsene Strukturen und dem Erscheinungsbild von Einfamilienhäusern sowie Siedlungen in neuen und älteren Dorfstrukturen auseinander. Das Thema des Dorfes bestimmt eine ganze Werkreihe der Künstlerin. Hierbei ist das Dorf eine Metapher für Lebensbedingungen und soziale Strukturen innerhalb einer bestimmten Größe. Im Zuge einer wachsenden Mobilität verändern sich suburbane Räume drastisch. Entweder sterben alte Strukturen oder es entwickeln sich neue, die so aussehen sollen bzw. wollen wie funktionierende ehemalige Dörfer. Man sieht das außerhalb von Zentren an Arealen mit Shoppingmalls und Plätzen mit künstlich gebauter Anheimeligkeit, z.B. bei Ferienorten, die an Disneyland erinnern. „Die Suche nach dem Gemütlichen“ (Setha Low, Soziologin) steht hierbei für BewohnerInnen und PlanerInnen gleichermaßen im Vordergrund. Lokale Unterschiede ergeben sich durch Hinzunahme traditioneller Bauweisen und Materialien als Identifikatoren für deren NutzerInnen. Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Fiktion spielen bei allen Projekten und Untersuchungen Thorsens eine wesentliche Rolle. Was war, was findet sie vor, was hat sich verändert und was könnte sich hier abspielen? Im Verlauf ihrer Untersuchungen gewinnen die Arbeiten mehr und mehr an fiktionalen Elementen.

In „Village fig.2/Counting the Parts, 2001“ inventarisiert Thorsen ein ganzes Dorf, wobei man die Uniformität, die das Dorf bestimmt, durch eine Aufzählung vor Augen geführt bekommt. Die Aufzählung „verwandelt die dörfliche Struktur in eine Abfolge monotoner Gebäude, und auch die klassische Gegenüberstellung von Stadt und Land mit Gegensatz von ´anonymvs. ´vertraut scheint sich in der Ödnis des Landlebens zu verlieren.“ (Aus: Non-Places, Frankfurter Kunstverein 2002) Sofie Thorsen hat 2002 während eines Stipendienaufenthaltes den suburbanen Raum Leipzigs in zweierlei Hinsicht intensiv untersucht. Am Anfang dieser Untersuchung stand die Frage: „Was passiert am Stadtrand Leipzigs?“ In einer ersten Etappe konzentrierte sie sich auf das Leben und Wohnen von Menschen, die in den letzten Jahren ein Eigenheim, meist ein Einfamilien-Fertighaus, bezogen hatten. Diese Arbeit mit dem Titel „Ein Haus, innerhalb der letzten zehn Jahre am Stadtrand gebaut, mit einer Gesamtwohnfläche zwischen 110 und 150 m2, bewohnt von einer zwei- bis sechsköpfigen Familie, 2003“ besteht aus drei Teilen: 1. einer Postkarte mit einem Fertighaus, 2. über 30 Schwarzweißzeichnungen, die das Innere der Häuser abbilden, 3. der Audiospur einer Verlosungssendung eines Einfamilienhauses eines Leipziger Radiosenders.

Im Anschluss an diese Arbeit entstand die dreispurige Diaarbeit (3x80 Dias) und Audiospur „Village fig.7/+ - Guided tours, 2004“. Sofie Thorsen hat hierfür ein Jahr lang an unterschiedlichen Orten außerhalb der Innenstadt Leipzigs fotografiert, wobei sie vor allem jene Situationen interessiert haben, an denen Altes auf Neues trifft. So geht es ihr in dieser Aufzählung um das, was seit einigen Jahren neu zu einem Dorf hinzugekommen und was verschwunden ist.

Hiermit spricht sie ein zentrales Problem des Umlandes an. Die großen Investitionen nach der Wende haben zu vielen Erneuerungen, gleichzeitig aber auch zum Verschwinden langjährig gewachsener Strukturen geführt. Thorsen lässt den Text von einem Mädchen sprechen und fügt mit dieser jungen Stimme bewusst eine in Richtung Zukunft weisende Komponente ihrer Arbeit und der behandelten Realität hinzu. Gleichzeitig weist sie auf den Verlust eines historischen Gedächtnisses hin. In früheren Arbeiten ging sie auch der Frage nach, wie sich Architektur durch den Strukturwandel und durch regionale Politik verändert. Fragen der Wirtschaftlichkeit, den Planungsperspektiven für die Struktur von Wohn- und bzw. oder Feriensiedlungen schließen sich diesen beispielsweise in „Village fig.4/Einige öffentlich zugängliche Informationen, und 20 Ereignisse die sich um das Jahr 2002 in Plaiv zugetragen haben könnten, Schweiz, 2002“ an. Setzte man sich auf eine Holzbank oberhalb des Dorfes Madulain (Engadin), bekommt man per Bewegungsmelder ausgelöste Audioinformationen über die Region, die TouristInnen sonst unzugänglich bleiben. Hierbei vermischen sich Fakten mit Fiktionen und Begebenheiten, die hier stattfinden könnten.

Während eines Aufenthalts in Warschau entstand die Arbeit „Village fig. 9, The Golden Castle That Hung In The Air, 2004/2005“. Im Zentrum dieser Serie von Schwarzweißzeichnungen, die iconhaft Ansichten von Zäunen, Schranken, Übergängen und Hecken zeigen – also Orte des Übergangs und Grenzen – steht eine Beschäftigung mit den immer häufiger vorkommenden so genannten Gated Communities. Sofie Thorsen stellt diesen schwarzweißen Ansichten einer Wohnform Fragmente von Interviews gegenüber, die ihr Bemühen zeigen, mehr über das Dahinter, das Wohnen oder das Bewachen dieser Areale zu erfahren. Der Titel der Arbeit bezieht sich auf ein norwegisches Märchen, in welchem der Protagonist auf unterschiedliche Art und Weise beschreibt, wie er versucht, vorbei an Drachen und Monstern in Schlösser zu gelangen. Die Arbeit „Village fig. 10, Am Hauptplatz im Wald, 2004/2005“ entstand während des Festivals der Regionen in Oberösterreich und beschäftigt sich mit Orten, an denen sich Jugendliche treffen und ihre Freizeit verbringen. Sofie Thorsen hat mit ihnen in Workshops zu diesen Orten gearbeitet und sie gebeten, in Geschichten zu berichten, was an den Orten passiert, als was sie fungieren. Die Ergebnisse mündeten in ein Making-of-Video zum Projektverlauf, einem sechsminütigen 35-mm-Film, der die Orte in Schwarzweißzeichnungen zeigt; eine von einem Mädchen gesprochene Erzählung berichtet über den Alltag und das Geschehene an den Orten; eine Posterserie kündigte den Film in der Stadt und der Landschaft an. Die Ausstellung, wie sie für die Galerie für Zeitgenössische Kunst konzipiert ist, zeigt den Blick Thorsens seit dem Jahr 2001 auf das Phänomen Dorf in mehreren Kapiteln und verschiedenen Perspektiven. Hierfür bedient sie sich unterschiedlicher Medien. Sie beleuchtet je nach Zusammenhang andere Aspekte – und doch stehen alle einzelnen Projekte miteinander in Beziehung. Diese Beziehungen sollen in der Ausstellung durch Sichtachsen und Konfrontationen einzelner Kapitelpaare unterstützt werden.

Eine Publikation wird das Konzept des Hauptthemas mit den einzelnen Village fig.s in ähnlicher Weise zusammenfassen und dokumentieren.

Die Ausstellung wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Sachsen LB. Die Sachsen LB fördert ausgewählte Vorhaben in den Bereichen Kunst, Kultur, Wissenschaft und Umwelt. Seit ihrer Gründung 1992 engagiert sich die Sachsen LB im Umfeld zeitgenössischer Kunst. Der Förderschwerpunkt entspricht dabei dem eigenen Selbstverständnis. Insbesondere junge, innovative, kreative und außergewöhnliche Ideen, die auch den Unternehmensslogan "Sächsisch als Erfolgsprinzip" aufgreifen, werden unterstützt. Nicht an etablierte, sondern an förderungswürdige Künstler richtet sich das Engagement. Die langjährige Kooperation mit der Galerie für Zeitgenössische Kunst ist hierfür beispielhaft.

Pressetext

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Sofie Thorsen: 162 von 172 Häusern stehen an der Hauptstraße...
Kuratiert von Julia Schäfer