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Stadtansichten Internationale Gruppenausstellung in Kooperation mit der IBA Heidelberg
06.05.2018 – 08.07.2018
Eröffnung: 05.05.2018

mit Eric Baudelaire, Louidgi Beltrame, Dries Depoorter, Tim Etchells, VALIE EXPORT, Esther Hovers, Sharon Hayes, Jiří Kovanda, Till Krause, Andree Korpys / Markus Löffler, Klara Lidén, Lotte Lindner / Till Steinbrenner, Maya Schweizer, Adnan Softić, Ettore Sottsass, Klaus Staeck, Rebecca Ann Tess, Clemens von Wedemeyer / Maya Schweizer, Florian Zeyfang / Alexander Schmoeger / Lisa Schmidt-Colinet, Seminar ›Neue Räume des Politischen‹, KIT Karlsruhe

Eröffnung
Begrüßung und Einführung:
Michael Braum, geschäftsführender Direktor IBA Heidelberg
Frieder Hepp, Direktor Kurpfälzisches Museum
Ursula Schöndeling, Direktorin HDKV

Die Stadt hat Konjunktur: Mehr als 60 Prozent der Welt­bevölkerung lebt mittlerweile in Städten – Tendenz steigend. Von jeher haben sich Künstler des Themas Stadt an­genommen. Die internationale Gruppenausstellung ›Stadt­ansichten‹ zeichnet die regen Auseinandersetzungen mit dem Sehnsuchtshorizont Stadt, mit modernen Veduten und der Vermessung realer Lebens­- und Arbeitsbedingungen nach. Künstlerische Arbeiten aus den letzten 50 Jahren umkreisen Themen wie die Vermessung (mapping) und Über­wachung (monitoring) des öffentlichen Raums und doku­mentieren künstlerische Interventionen in Sphären des Öffentlichen. Weitere Schwerpunkte liegen auf der Reflexion städtebaulicher Utopien und realer Projekte, der Re-­Vision von ›Bildern‹, die paradigmatisch für ›moderne‹ Städte stehen.

1973 legt der italienische Designer Ettore Sottsass eine Serie von farbigen Zink-­Lithographien auf, die in Comic­manier bekannte utopische Architektur­- und Stadtentwürfe in eine postapokalyptische Zukunft katapultieren. Buck­minster Fullers Geodesic Dome strandet in einer Felsschlucht, auch eine Walking City bleibt stehen. Sottsass’ humorvolle und ironische Science­-Fiction wendet sich vor allem den auf technischen Fortschritt bauenden optimistischen Utopien zu, verschont aber auch antikisierende Kulissenarchitekturen nicht. In dieser Hinsicht bilden die Blätter Bezugspunkte zu anderen Arbeiten der Ausstellung.

Maya Schweizer und Clemens von Wedemeyer konfrontieren in der filmischen Collage ›Metropolis, Report from China‹ (2006) zwei Elemen­te: Szenen aus Fritz Langs berühmtem Film ›Metropolis‹ (1927), in dem der Regisseur eine moderne, vom westlichen Totalitarismus geprägte, Großstadtutopie entwirft, treffen auf filmische Dokumente der zeitgenössischen Städtebau­praxis in China. Adnan Softić inszeniert mit ›Bigger Than Life‹ (2018) das Städtebauprojekt Skopje 2014 als Oper. Nach Regierungsplänen entsteht in der mazedonischen Haupt­stadt ein nagelneues antikes Stadtzentrum: eine Geschichts­klitterung zur Selbstversicherung einer Nation, ein Vexier­spiel von Vielvölkerstaat und dem Phantasma nationaler Reinheit. Louidgi Beltrame dagegen sucht einen mittlerweile verlassen Ort auf, die japanische Insel Hashimi. Der Film ›Gunkanjima‹ (2010) erkundet das unter diesem Namen bekannte Vorzeigeprojekt fortschreitender Industrialisierung. Mitte des 20. Jahrhunderts lebten 5250 Menschen auf der 480×160 Meter großen Insel. Die Ruinen gehören heute zum UNESCO Weltkulturerbe. Florian Zeyfang, Lisa Schmidt­ Colinet und Alexander Schmoeger widmen ihren Film ›Microbrigades‹ aus dem Jahr 2013 der Geschichte der sogenannten Microbrigaden, Gruppen kubanischer Arbeiter, die zum Wohnungsbau freigestellt wurden. Mit einfachen Systembauteilen errichteten sie Wohnquartiere und öffentli­che Gebäude und prägten damit den sogenannten Micro­-Stil. Rebecca Ann Tess greift in der Fotoserie ›Templates‹ (2014–16) die spiegelnden Fassaden von Hochhäusern gro­ßer (asiatischer) Metropolen auf und verdichtet sie zu Prototypen von hypermodernen Stadtansichten.

Im öffentlichen Raum bewegen sich eine Reihe perfor­mativer Arbeiten der Ausstellung. In der fortlaufenden Reihe ›Körperkonfigurationen‹ (ab 1972) vermisst VALIE EXPORT städtische Architekturen mit ihrem Körper und verdeutlicht das Verhältnis von Körper und Stadtraum. Jiří Kovandas poetische Handlungen beschränken sich auf kurze beiläufi­ge Gesten und einfache Aktionen, die in Prag Mitte der 1970er Jahre Momente der Befremdung hervorriefen, aber kaum deutliche Provokationen darstellten. Klara Lidén und Sharon Hayes setzen 30 Jahre später aggressivere Zeichen: Klara Lidén tanzt in ›Paralysed‹ (2003) wild in der U­-Bahn, Sharon Hayes spricht auf einem Platz in der Frankfurter Innenstadt vor laufender Kamera über ›private‹ Beziehungen, ›Love Adress‹ (2009). Beide machen öffentliche Sphären zur Bühne und brechen mit normierten oder an die Situation angepassten Verhaltensmustern, finden jedoch kaum Beachtung.

Gegen diese Anonymität auf der zwischenmenschlichen Ebene steht die Ahndung abweichenden Verhaltens durch den Einsatz von Überwachungskameras. Dries Depoorters interaktive Installation ›jaywalking‹ (2016) nutzt Live­-Über­tragungen von Überwachungskameras im öffentlichen Raum. Dabei kann das unerlaubte Überqueren der Fahrbahn durch Passanten beobachtet und der nächsten Polizeiwache gemeldet werden. ›False Positives‹ lautet der Titel der Foto­serie (2015–16) von Esther Hovers. Sie entlehnt den Begriff der Anwendung von Smartcameras, die ebenfalls zur Überwachung des öffentlichen Raums eingesetzt werden. Die Kameras sind mit selbstlernenden Systemen ausge­stattet, die durch die Sammlung von Daten verdächtiges Ver­halten von Passanten erkennen sollen.

Eric Baudelaires Videoarbeit ›Walked The Way Home‹ (2018) entwirft eindringliche Bilder militärischer Präsenz in europäischen Großstädten als Antwort auf jüngste terroris­tische Anschläge. Andree Korpys und Markus Löffler wenden sich bereits einer Stadtanlage zu, die als Trainings­anlage für Terrorbekämpfung und Häuserkampf von Polizei und Militär genutzt wird. Der Blick aus einem Wachturm an der ehemaligen Grenze in Berlin wird in Maya Schweizers Videoarbeit ›Regarde par ici,…Und dort die Puschkinallee‹ (2017/18) zur Reflexion über gegenwärtige soziale Ordnung als Ergebnis historisch übermittelter und architektonisch manifestierter Machtverhältnisse. Till Krause verzeichnete auf dem schnurgeraden Fußweg von Hamburg nach Kiel neben anderen Daten sein Blickfeld. Die auf eine Karte im Maßstab 1:25.000 übertragene Aufzeichnung mit dem Titel ›Blickfeldachse‹ (2001/13) gibt Auskunft über die Sicht­weiten und Richtungen auf diesem Weg.

Tim Etchells’ Textarbeit ›City Changes‹ (2008) entfaltet ausgehend von der Beschreibung einer Stadt, in der ›sich nichts verändert‹, 19 Variationen des Textes mit farbigen Abänderungen. Etchells interessiert sich hier für die Rhetorik, die Städte um­gibt, die Art wie sie beschrieben werden und die Konzepte von Stabilität. Teilnehmerinnen des Seminars ›Neue Räume des Politischen in Architektur und Stadt‹ bei Prof. Dr. Georg Vrachliotis am Karlsruher Institut für Technologie haben eigene Texte als Hörstücke eingesprochen. Die Tribüne von Lotte Lindner und Till Steinbrenner schafft einen Ort für gemeinsame Gespräche und Vorträge, für individuelle Pausen und zum Hören der Texte. Sie bildet damit einen Raum des Politischen und steht allen Besucherinnen zur Nutzung auf eigene Gefahr offen. Klaus Staecks Plakat ›Würden Sie dieser Frau eine Wohnung vermieten?‹ ist nicht nur in Heidelberg so aktuell wie nie und durfte nicht fehlen. Nichts ist erledigt!