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Eröffnung: Freitag, 13. März 2009, 19:00 Uhr

Too Much Change is not enough

In Stefan Panhans Ausstellung I Might Keep It without Telling Him in der Galerie Olaf Stüber wird erstmals seine neue Videoarbeit If a Store Clerk Gave Me Too Much Change (2009) präsentiert. Darüber hinaus zeigt Panhans eine Auswahl assoziativer Collagen, Zeichnungen und Fotografien, die während der Recherche- und Vorbereitungsphase seines Videos entstanden sind. Als eigenständige Arbeiten kommentieren und erweitern sie die Bildwelt des entpersonifizierten ’Hauptdarstellers’ im Film. Ungefilterte Beobachtungen, Textfragmente, Collagen und Skizzen verweben sich zu einem Raum, der ähnlich offen bleibt wie das filmische Setting. Irgendwo zwischen Keller, Jugendzimmer, Hobbywerkstatt, Abrisshaus und Warteraum liegt etwas Seltsames in der Horizontalen ...

If a Store Clerk Gave Me Too Much Change, 2009 öffnet in einer Kameraeinstellung Einblick in eine Raumcollage aus Requisiten differenter Zeitlichkeiten. Eine Reproduktion von Van Goghs Nachtlandschaft und der Starschnitt der Erfolgsserie Heroes stecken den kulturellen Kontext ab, in dessen Bedeutungsgewebe sich eine bizarre Made eingesponnen hat. Umschlossen von einem segmentierten Stoffkokon erstreckt sie sich in leuchtendem Rot auf einer blauen Isomatte über Heuballen. Nur ihr Kopf ragt heraus, ein maskierter Talking Head mit blonder Perücke und theatralem Make Up. Unsauber verputzte Wände, abgestellte Werkzeugkisten, die Poster und das kühle Blau der Tür lassen ein Provisorium assoziieren. Verheißungen auf Erfüllung, Ausgleich, Auftanken sind längst verbraucht, abgegolten. Einzig das Ensemble aus Mumienschlafsack, reflektierendem Campinggeschirr, Essensresten und welligen Heuballen – inszenierte Residuen bearbeiteter Natur – ist bis ins Detail arrangiert und ausgeleuchtet. Wie ein strahlender Display, der, behutsam auf Tücher gebettet, im Lager eines Warenhauses auf seinen Auftritt wartet. Der isolierende Schutzanzug fängt an zu rascheln.  

Du kannst jeden Tag dein Leben ändern, heute wäre ein guter Tag!

 Der nach oben gewandte Kopf dreht sich zur Seite, das Weiße in den schwarz umrandeten Augen rollt auf den Betrachter zu. Emphatisches Lebenscoaching hallt ohne Wiederkehr ins Off. Stefan Panhans Kreatur sampled den optimalen Ratgeber zum effizienten Selbsttuning. Zwei Schauspielerinnen* trainieren im (mentalen) Loop, abwechselnd absolvieren sie ihr Brain-Workout auf vier Diskursebenen: vom Management über Qi-Lifestyle zu Steuersparmodellen und postmoderner Liebe im Cyberspace. Die sprechende Maske wird zu einer hybriden Fiktion gegenwärtiger Subjektkonzeptionen. Allein Gehaltsvorstellungen, das nächste Flugticket und die Mode der kommenden Saison stimulieren ihr Begehren. Die Slogans überhöhen die grenzenlose Bereitschaft des flexiblen neoliberalen Arbeiters zum enthusiastischen Lifelong Learning. Ein rastloser, unaufhaltsamer Monolog, dessen Geschwindigkeit und Informationsdichte einem Raubtierangriff gleicht. Der Store Clerk kann sich mit dem Wechselgeld noch irren, dem Webmaster entgeht nichts mehr. In der simulierten Plastikidylle bilden sich allegorische Schichten heraus, die aus der Horizontalen in die Vertikale wachsen –  auch das unheimliche Wesen träumt davon, in einer Lichtkugel ganz nach oben katapultiert zu werden.  

Alles wird immer besser! Let no one set the limits for your dreams!

Als Gregor Samsa eines Morgens in seiner Kammer aus unruhigen Träumen erwachte, sind ihm Gedanken an Freude, Power und positive Energie ferner denn je. Da er nun achtbeinig auf dem Rücken lag, war es ihm unmöglich aufzustehen. Die Beine des ehrgeizigen Tuchhändlers flimmerten ihm hilflos vor den Augen. Während Samsa im Geschäft vergebens erwartet wurde, verharrt Panhans Gestalt im Raupenmantel außerhalb der Zeit und äußerer Verpflichtungen. Ihre Stimme rezitiert wasserfallartig sinnentleerte Botschaften fremder Geister. Wie besessen, windet und schlängelt sich dieses selbst ernannte Medium und gibt Daten, Infos, Highlights preis. Aufzählungen stilisierter Charaktereigenschaften, ökonomische Aufwendungen und Einkünfte, lexikalisches Wissen und imaginierte Superkräfte schwirren durch den Raum, um an dessen glatten Oberflächen abzuprallen. Der Betrachter von If a Store Clerk Gave Me Too Much Change wird zum Zeugen einer spiritistischen Séance im Informationszeitalter. Das beklemmende Gefühl der Verzweiflung, das Gregor Samsa noch kennt und in Worte zu fassen weiß, wird bei Panhans zu einem epileptischen Anfall, der Samsas distanziertes Denken in unfassbare, visionäre Zuckungen überführt. Außerhalb der Vorstellungskraft zirkulieren die Worthülsen als leere Zeichen verlorener Repräsentanz. Wie fühlt sich Schmerz im digitalen Zeitalter eigentlich an?  

Trifft er (der Tyrannosaurus) auf größere Pflanzenfresser unter den Dinosauriern, stößt er blitzschnell seine weit geöffnete Schnauze in deren Körper und reißt große Fleischstücke heraus.  

Im Zeichennebel lauern unberechenbare Gefahren. Während das  programmierte Zimmermädchen aus Who is afraid of 40 Zimmermädchen in adretter Pose mit Schweißperlen auf der Stirn wilde Tiere fürchtet, ist es in Store Clerk die größte Demütigung, in der Subjektgarderobe vergessen zu werden. Das Survivalequipment, profane Symbole der Handlungs- und Widerstandsfähigkeit, entlarvt sich als reines Dekor. Die Ära der physischen Attacken scheint vorbei zu sein, die Vogelstimmen kommen vom Band.

Ich versteh überhaupt nicht warum ich jetzt nicht endlich drankomme?  

In den Löchern der Spirale des Warenverkehrs nehmen Menschen und Dinge die Form von Wartenden an. In Erwartung, zu einer Ware zu werden, antizipieren die Subjekte den Blick des Kapitals und bieten sich als paarungsbereite Investitionsanlagen an. Stefan Panhans Monstrum ist Sprachrohr der Mumien des kapitalistischen Jenseits. Solange ihr Einsatz ausbleibt, wabern sie in ihren Kunststoffhöhlen und beschäftigen sich mit ihrem Design.

Too much change is not enough. Sie und alle Dinge, die sie umgeben, sind unberührbar und unersättlich geworden. Sie rufen flüsternd nach dem Archivar, der sich im babylonischen Schacht unter der Pyramide verlaufen hat.