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Eröffnung: 18. September 2008, 19 Uhr Der Künstler ist zur Eröffnung anwesend und steht für Interviews zur Verfügung.

Die GALERIE KRINZINGER freut sich, von 19. September bis 8. November 2008 die erste Ausstellung von Sudarshan Shetty im deutschen Sprachraum zeigen zu können. Shetty, 1961 in Mangalore (Indien) geboren, ist einer der wichtigsten, konzeptuell arbeitenden Künstler der jungen indischen Gegenwartskunst. Shettys Ausstellung "Leaving Home" wird bei freiem Eintritt in der Galerie Krinzinger, Seilerstätte 16, 1010 Wien, zu sehen sein.

Sudarshan Shetty schafft aus verschiedensten Alltagsmaterialien kinetische Skulpturen, die über eine vordergründige Leichtigkeit zu weitreichenden Überlegungen führen. Gleichzeitig makaber, spielerisch und verführerisch, werden wir auf einer emotionalen Ebene angesprochen, um über Zeit und Ort, über Abwesenheit und Gleichzeitigkeit nachzudenken. "Ich sehe mich selbst vor das Eintauchen in und das Stützen auf das Unausgeprochene gestellt, in vielen Fällen auf das sozial Unterbewertete, das unter der Oberfläche aller menschlichen Interaktionen tickt. Ich vereinnahme diese missliche Lage und erfreue mich an ihr. Ich interessiere mich für die Idee der Abwesenheit, einer menschlichen Abwesenheit, dem Woanders-Sein. Ich denke, die meisten von uns sind dazu verurteilt, woanders zu sein." ("I find myself delving into and drawing from the unspoken, or in many cases the socially understated that ticks beneath the surface of all human interactions. I embrace this predicament and rejoice in it. I am interested in the idea of absence, a human absence, of being elsewhere. I think most of us are condemned to be elsewhere.")

In Shettys außergewöhnlich dichten Werken spielt die Kombination von mechanischen Bewegungen und gefundenen Alltagsobjekten eine wichtige Rolle. Durch seine gezielte Verquickung verschiedener Objekte bringt er einen Antropomorphismus ins Werk, der die Arbeiten emotionalisiert: "Wenn ich in meiner Arbeit Objekte verwende, bin ich mir bewusst, dass damit Assoziationen und Konventionen einhergehen. Ich mag die Idee, gewöhnliche Objekte mittels einfacher Strategien der Gegenüberstellung zu dekonstruieren, ohne sie physisch auseinander zunehmen. Die Dinge kommen dann zusammen, ohne dass das eine oder andere Objekt im Vordergrund steht - sie gehören fraglos zur selben Konstruktion. Der Eindruck von gleichzeitig Vertrautheit und Distanz kann sich dabei auf das eigene Innenleben übertragen." ("When I use objects in my work, I am aware of the possibilities and the problems in terms of associations and conventions that it comes with. I like the idea of taking familiar objects apart without physically dismantling them. I do this by simple strategies of juxtaposition. I bring them together in a way that the work is neither about one object or the other but they belong unquestionably to the given construct. The familiarity and the distance that it evokes at the same time, may point to ones interiority.")

Formen, aufgrund ihres symbolischen Werts benutzt, werden ikonisch, gleichzeitig beugen sie sich ihrem Kontext. Die Werke brechen das Gewohnte, sie zwingen den Betrachter hinter die offensichtlichen Metaphern zu blicken, wobei sie zunächst über dieses Gewohnte einen Zugang schaffen zu einer Gleichung, deren ineinander verschränkte Elemente der Betrachter zunächst entwirren muss, um sie dann zu lösen. So funktionieren Shettys Arbeiten auf den ersten Blick über eine Dualität, weisen aber weit über die ersten Assoziationen, die einfache Gegenüberstellung oder schnelle Polarität hinaus und wirken ähnlich vertraut und weit wie der Ausstellungstitel: "Leaving Home".

Eigens für die Ausstellung in der Galerie Krinzinger hat Shetty eine Serie neuer Werke konstruiert, die um das Assoziationsfeld Zuhause kreisen. "Leaving Home" ist eine umfassende, existentialistische Überlegung über die menschliche Tendenz, Dinge und Geräte zu schaffen, die unser Leben bestimmen. Einrichtungsgegenstände - Shettys Lieblingsprotagonisten - verbindet der Künstler hier, um eine vielschichtige Narration zu inszenieren, die fragt, wie wir ein Zuhause definieren, wie Geographie, Architektur, Örtlichkeit, aber auch emotionale Bindung bestimmt ist - und dekonstruiert die allzu schnellen Antworten sofort.

Zwei große Arbeiten beziehen sich auf die Idee eines Eigenheims als physische Einschränkung. Die 2,4 x 2,4 x 2,4 Meter große Behausung aus rostfreiem Stahl weist anstelle von Fenstern eine Unzahl von Sonnenbrillen auf. Beim Eintreten in den Raum wird die Umkehr einer Politik des Schauens bewußt - ein unheimlicher, augenloser Blick scheint auf dem Betrachter zu haften. Es kommt zu einem Wechselspiel der Gefühle: Der Raum vermittelt einerseits Sicherheit und Schutz, andererseits wird die Privatsphäre durch die Allgegenwärtigkeit des Blicks gebrochen. In der anderen Arbeit schließt ein 2,7 x 2,1 x 0,9 Meter fassender Käfig einen Berg frisches Brot mit einer an Milch erinnernden Flüssigkeit ein. Assoziationen zum Heim als Ort der Ernährung und Lebenserhaltung werden wachgerufen, aber sogleich konterkariert durch die Unzugänglichkeit, wie auch durch das falsche Versprechen, das die eigentlich ungenießbaren ‚Lebensmittel’ implizieren. In einem weiteren Werk penetriert ein mechanischer Penis monoton und repetitiv ein bescheidenes kleines Stahlhäuschen. Der übertriebene Phallus (ein wiederkehrendes Motiv bei Shetty) ist hier nicht so sehr Symbol der Männlichkeit, sondern eine Referenz auf leidenschaftslose, biologisch determinierte Funktionen. Die Arbeit artikuliert gleichzeitig die Idee des Heims als einem heiligen Tempel der Intimität und ehelicher Leidenschaft - und stellt beides sogleich wieder Infrage. Eine weitere Referenz an das Zuhause als Ort der Ruhe und Muße ist ein Bett mit einer Matratze. Die Holz-Matratze erscheint benutzt. Darauf steht das Skelett eines Hundes, das in der Mitte gespalten ist und sich mit einem mechanischen, aber suggestiven Gähnen öffnet und schließt. Diese Werke thematisieren die Widersprüchlichkeit unserer Idee von Intimität und Emotionen, die unser Bild eines Zuhauses bestimmen.

Die in diesen Werken enthaltene Idee der Abwesenheit des Körpers wird noch verschärft in den drei Anzügen, die in einem automatisierten Rhythmus in Milchtröge ein- und austauchen. Es ist eine sparsame aber gewandte Geste, die Shetty hier verwendet, um physische Absenz, Verlust, Bindung und Erinnerung zu verhandeln. Der in ein Häckeltuch eingewickelte, auf einem Tisch stehende, aus Aluminium gegossene Fernseher verliert mit seiner rauen Oberfläche und den Gummischläuchen voller Blut seinen Auftritt als allgegenwärtiges, häusliches Objekt. Trotzdem ist Shettys Fernseher, auch wenn er einen echten nur imitiert, vielleicht wahrhaftiger als sein Vorbild, indem er zu einem Avatar wird, einem toten Gott, der falsches Blut verströmt. Das Blut sickert über den Tisch hinunter in einen Trog, um von dort wieder in den Fernseher gepumpt zu werden. Daneben liegt die Pumpe, als wäre sie das schwer arbeitende Herz dieses falschen Gottes.

Diese außergewöhnlich umfassende Einzelausstellung von Sudarshan Shetty ist der Auftakt zu einer Indien-Serie der Galerie Krinzinger und Krinzinger Projekte, deren nächster Höhepunkt eine umfangreiche Schau mit den shooting-stars der indischen Gegenwartskunst Sakshi Gupta, Zakir Hussein, Srinivasa Prasad, Navin Thomas und Avinash Veeraraghavan wird. Die im deutschen Sprachraum einzigartige Gruppenausstellung wird am 30. Oktober bei Krinzinger Projekte eröffnet und zeigt auf drei Ausstellungsebenen fünf Projekte, die die Künstler als Artists in Residence vor Ort erarbeiten. Im nächsten Jahr folgen auf diesen Schwerpunkt der Kunstszene in Bangalore noch Präsentationen ausgewählter Kunst aus Mumbai und Neu-Delhi.

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Sudarshan Shetty
Leaving Home