press release only in german

Seit Anfang der neunziger Jahre untersucht Susanne Brügger in einer Folge fotografisch-kartographisch angelegter Werkgruppen unter dem Titel Das Kartenwerk Methoden zur Erfassung unserer Lebenswelt. Entstanden ist eine künstlerische Forschungsarbeit über signifikante Erscheinungsformen der Alltagskultur. In Anlehnung an die Verfahren der Kartographie, der Soziologie oder auch der Sprachwissenschaft führt die Foto- und Videokünstlerin statistische Untersuchungen durch, hält Orte fest, verzeichnet Messungen und setzt dieses Material in vermeintlich informative Bezugssysteme. Dabei vermitteln ihre digital bearbeiteten Fotografien, auf denen beispielsweise Luftaufnahmen, Weltzeitkarten und Diagramme dargestellt sind, eine wissenschaftliche bzw. dokumentarische Objektivität, die noch verstärkt wird durch die Präzision ihrer Ausführung.

Der von der Künstlerin für ihre Aufnahmen bevorzugt gewählte 'Blick nach unten', also der von einem erhöhten Standpunkt auf ein Geschehen in der Tiefe, ist der modernen Gesellschaft ein vertrauter Blick. Von Türmen und Hochhäusern herunter erschließt sich die städtische Umgebung, Flugzeugfenster geben Aussicht auf eine zwischen Flussläufen und Bergmassiven eingebettete Zivilisation, und die Bilddokumente der Raumfahrt lassen über einen möglichen Aufbruch in neue Welten spekulieren. Im thematischen Rahmen dieses 'Blicks nach unten' reflektiert Susanne Brügger in ihrer jüngsten Werkgruppe Das Inselproblem die Lebensweise des Menschen in der Zivilisation. Motive aus dem städtischen Raum, von der Künstlerin in leicht schräger Aufsicht gefilmt und fotografiert, vermitteln dem Betrachter eine vertraute Ansichtskartenoptik. Das All-Over der Luftaufnahmen erfasst ein Gesamtgeschehen. Zugleich zeigt es die Dinge und Menschen jedoch in ihrer relativen Entfernung zueinander und ermöglicht insofern ihre isolierte Wahrnehmung als Einzelphänomene. Diese 'Ästhetik des Zerlegens', wie Susanne Brügger es bezeichnet, dient ihr als Ausgangspunkt einer ironisch geführten Untersuchung zu Fragen der Identität. In der Arbeit Pausenhöfe im Phasenraum hat die Künstlerin das Verhalten von Menschen auf Plätzen analysiert, die sich dort im Zeitrahmen einer Arbeits- oder Schulpause aufhalten. Ihre Videosequenzen mit dem Titel Babylonians Only erlauben eine geradezu meditative Betrachtung solcher Szenen und ähnlichem Geschehen an zentralen Straßenkreuzungen. In Ergänzung zeigt Susanne Brügger in den großformatigen Fotoarbeiten untitled desaster urbane Strukturen, seltsam unwirklich erscheinende Wohnviertel, die ein Bezugsfeld für die anderen Arbeiten darstellen.

Zweifach geblendet, durch den wissenschaftlichen Habitus und gleichermaßen durch die hoch ästhetische Gestaltung der Werkgruppe Das Inselproblem erkennt der Betrachter erst mit Verzögerung die Ambivalenz dieses 'Blicks nach unten'. Erkenntnissuche oder Observation? In jedem Fall ein Hinweis auf das manipulative Potential der Informationsysteme, in denen unser Leben verankert ist.

1960 geb. in Essen, Studium Visuelle Kommunikation, FH Dortmund u. Postgrad. Studium Medienkunst, KHM Köln. Ausst. u.a. 1996 RaumZeit-BildRaum, Museum Folkwang, Essen u. a. (K), 1998 Real Space Conceptual Space, Internationale Ausstellungstournee des ifa (K), 2000 Das Kartenwerk, Dresdner Bank Zentrale, Frankfurt am Main (E, K), 2001 naturae, Kunsthaus Essen/ Ruhrlandmuseum Essen (K), 2002 Die 50 Besten, ZKM Karlsruhe, 2003 Game Zone, Fotobiennale Rotterdam/ Goethe Institut Inter Nationes, Rotterdam; Wonderlands, Museum Küppersmühle Sammlung Grothe, Duisburg (K); Die Sehnsucht des Kartographen, Kunstverein Hannover (K), seit 2002 Professur für Fotografie und Neue Medien an der FH Dortmund, lebt in Essen

only in german

Susanne Brügger "Das Inselproblem"
Kuratorin: Dagmar Behr