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Weegee – Odermatt – Metinides – LA Police Archive

Die schrecklichsten Tatort-Fotos sind möglicherweise die jüngsten: Überlebende der Terroranschläge in Londons Untergrund-Bahn schickten Handyfotos vom Tatort and die BBC. Nur Minuten nachdem Terroristen im Sommer 2005 Rucksackbomben gezündet hatten nahmen sie die Bilder mit ihren Handys auf und sandten Sie als E-mail an den Sender. Noch am gleichen Tag sah die ganze Welt diese Bilder des Grauens.

Bilder aus dem Kopf der Bomben, die im Goldkrieg einschlugen, Bilder von embedded journalists, das alles wird noch übertroffen durch die Handy-Fotos der Londoner Terroropfer, der ersten Aktion des Mobile Blogging, so der Mobilfunkstratege Shawn Conahan.

Mag auch berühmte Foto von Robert Capa, daß einen Roylisten in dem Moment zeigt, in dem ihn die tödliche, feinliche Kugel trifft, das meistpublizierte Foto der Welt sein; mögen auch die legendären Bilder von den Tatorten des Vietnam Krieges dazu beigetragen haben, daß dieser sein Ende fand; mögen auch die Folterfotos aus Abu Ghureib einen Furor ohne Ende und ein moralische Entrüstung sondergleichen ausgerufen haben; mit den Handy-Tatort-Fotos erreicht die Wirkung schockierender Bilder eine ungeahnte Aktualität, Omnipräsenz und Authentizität.

Tatort-Fotos sind Fotos, die sich in das kollektive Bildergedächtnis der Welt einbrennen. Sie werden zu Ikonen für Desaster, Versagen, Ohnmacht ...

Was aber macht einen »Ort« zum »Tatort«? Ist es die Musik vom »dritten Mann«, der Trailer des Straßenfegers »Durbridge«, der Jingle der ZDF-Serie »Tatort«? Ist es die berühmte »thin blue line«, die den Ort vom Tatort trennt, wie in Erroll Morris berühmten, gleichnamigen Film von 1988, der als einer der wichtigsten und einflussreichsten Filme des Jahrzehnts gilt?

Oder ist es ganz einfach so, wie Walter Benjamin fragt, daß »jeder Fleck unserer Städte ein Tatort (ist)? Nicht jeder ihrer Passanten ein Täter (ist)?« Bei Joel Sternfeld mag sich dies bestätigt finden, wenn er in seiner berühmten Fotoserie Orte voller Stille und Unaufgeregtheit fotografiert ... und wir nur durch beigefügte Legenden erfahren, daß diese Orte einmal Tatorte denkwürdiger Verbrechen waren.

Schreckensbilder, so schreibt Susan Sontag, »können als Memento mori dienen, als Objekte der Kontemplation, die uns helfen, unseren Wirklichkeitssinn zu vertiefen, als weltliche Ikonen«. Diese Bilder werden immer wieder angeschaut werden, ohne Schadenfreude und ohne Kitzel. Und ohne in ihrer Wirkung nachzulassen. Auch auf die angeblich so abgebrühten TV-Konsumenten haben solche Bilder einen Effekt.

Das wurde bereits 1929 erkannt, als der internationale Gewerkschaftsbund in kleines Heft unter dem Titel »Nie wieder Krieg« Fotos der Schlachtfelder publizierte.

Die aufrüttelnde Wirkung des Tatort-Fotos ist seine eine Seite. Die andere Seite: Als um 1900 die erkennungsdienstliche Tatortfotografie als Beweismittel zugelassen wird, wird ein technisches Medium zur Unterscheidung von Wahrheit und Lüge – als »Realie des Strafrechts« - herangezogen.

Im gesellschaftlichen Raum gibt es meines Erachtens noch eine weitere Seite: die semantische, um mit Naom Chomsky zu sprechen. So wie – tradiert – das Nichtwissen um Gefahren unsere Risikobereitschaft senkt, bzw. so wie das richtige Wissen unsere Risikoeinschätzung schärft, so könnte die Beherrschung der visuellen Sprache der Fotografie zu einer Beinflussung des Verhaltens führen. Sind Fotografien von Tatorten wie Tschernobil oder dem Pariser Flughafen mit der explodierenden Concorde, von Autounfällen oder einstürzenden Dächern geeignet, die Risikoerkenntnis der Menschen zu schärfen? Viele behaupten, »der Preis visueller Aufklärung sei hoch und die Kultivierung von Hemmungen durch Bilder nicht zu eroffen«. Aber, wie der Art Director der Süddeutschen Zeitung beschreibt, sind »Bilder direkter, schneller als Text. Auch kann man Entsetzen nicht im gleichen Maße in Worten beschreiben.«

Indes, der Kontext bestimmt die Aussage. Wenn der Werbefotograf Liviero Toscani Bilder von Aidskranken oder Kriegsschauplätzen in die Werbung einführt, dann schafft er »unangebrachte« Bilder, die ihre Wirkung daraus bezogen, daß sie aus dem News-Raum der Medien in den wertfreien Raum der Konsumwerbung transferiert wurden. Was geschieht, wenn die Ästhetik der Polizeifotografiert in die Kunst transferiert wird oder in den Film.

Oder aber: Was geschieht, wenn die Tatort-Fotografie ins Museale überführt wird. Harald Szeemann hat dies – beispielhaft – mit den Bildern des Polizeifotografen Arnold Odermatt getan. Er zeigte sie auf der Biennale in Venedig. Zur bloßen Tatsache, daß hier Polizeifotos in einem Kunstkontext gezeigt wurden, gesellt sich das Auswahlkritierum: Harald Szeemann selektierte diese Arbeiten mit einem an avantgardistischer Kunst geschulten Blick. Er beschreibt diese Bilder als »unverbraucht« im Sinne eines naiven Blicks. Er sieht in den – eigentlich ja schrecklichen – Bildern die Schönheit des Skulpturalen. Und doch, so konstatiert er, daß es Schicksalsbilder seien.

Den Fotografien aus dem Archiv der Los Angeles Police haftet heute der Charme des Film Noire an. Und Weegee selber überführte sein teils schrecklichen Bilder aus dem Elend und der Gefahr New Yorks in eine Liebeserklärung an »seine« Stadt, als er sie in »Naked City« publizierte: »Ich hatte die Seele der Stadt fotografiert, die ich in- und auswendig kannte und die ich liebte.«

Einzig die Fotos von Enrique Metinides sind so erschreckend, daß dem Betrachter auch im musealen Kontext der Kommentar in der Kehle stecken bleibt.

»Seit ihrer Erfindung im Jahre 1839«, so schreibt sie, »pflegt die Fotografie den Umgang mit dem Tod.« Und je näher ein Foto dem Tod ist, desto leichter findet es Platz in den Köpfen. Wie eine winzige Bedrohung. Oder wie der Genuss, selbst außerhalb des Bildes zu stehen und es betrachten zu können.

Die Ausstellung im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft zeigt mit hunderten Fotografien von 3 weltberühmten Fotografen und einem Polizei-Archiv unterschiedliche Ansätze, mit dem alltäglichen Schrecken umzughen.

Weegee, der sich „the famous“ nannte und eigentlich Arthur Fellig hieß, zeigt in seinen Reportagefotos aus den späten 30er Jahren, der Zeit der Depression, das Amerika von unten, das der Verlierer und Underdogs. Weegee hat die amerikanische Reportagefotografie revolutioniert: Er hörte als erster regelmäßig den Polizeifunk ab und war oft vor den Beamten am Ort des Geschehens. Noch liegen die Opfer von Morden, Unfällen und Bränden unverhüllt auf der Straße, stehen Zeugen am Tatort, schlagen Feuergarben aus dem Gebäude, wenn Weegee eintrifft. Er fotografierte nur nachts und rückte mit der Kamera möglichst nah – mit Blitzlicht. Seine Fotografien sprechen auch davon, dass er sich selbst in große Gefahr gegeben hat.

Er war der ungekrönte König des nächtlichen New York. So inszenierte er sich selbst, und so wurde er auch von seinen Kollegen gesehen. Weegee wurde zum unübertroffenen Chronisten dieser schonungslos brodelnden Stadt.

Der Polizeifotograf Arnold Odermatt hatte seinen Dienstauftrag, Unfälle zu fotografieren, mit grosser Genauigkeit und viel Sinn für das Bildhafte ausgeführt: Zwei Typen von Fotografien prägen seine “Karambolagen”: Landschaftsfotografien und fotografierte Skulpturen. Die schweizerische Landschaft mit ihren Wiesen, Bäumen und Seen, die immer ein wenig sonntäglich wirkt, wird in Odermatts Bildern unfreiwillig zu einer Bühne für Kuriosa. Eine meist sanfte, leicht schläfrige Landschaft wird an einer Stelle punktiert – peng, zwei Fahrzeuge ineinander verkeilt – oder überzogen von einem merkwürdigen Kratzer mit Endpunkt, einem Auto, aufgeprallt an einem Baum, einer Wand, die Abschrankung durchtrennt und halb im See gelandet. Eine Unfallstelle mitten in der Ordnung. Ein Unfall der Ordnung, gesäubert und bereits wieder “soweit” geordnet. Der zweite Typus zieht den Blickradius weit enger, fokussiert auf das Auto, ist skulptural: Nahaufnahmen von ineinander verkeilten Wagen, von aufgeschlitzten Kotflügeln, aufgerissenen Kühlerhauben, zerdepperten Scheiben. Eine Art von “unvoluntary sculptures” entstehen durch die nüchtern, sachlich und präzis aufgenommenen Fotografien. Er fotografierte Unfälle und es entstand Kunst.

Bilder von Katastrophen faszinieren den Menschen, und von denen, die sie fotografieren, ist der Mexikaner Enrique Metinides einer der Faszinierendsten. Die Kunstgalerien feiern inzwischen seinen Stil. Er selbst wartet auf das nächste Unheil.

Über 50 Jahre lang fotografierte er als Polizeireporter. Er sah Menschen erstochen, verbrannt und elektrokutiert am Strommast hängen. Er sah sie erschossen, zerfleischt, vom Blitz erschlagen oder von Trümmern, von Bahnrädern zerschnitten, zermalmt von Maschinen, erstickt, vergiftet, ertrunken, verschüttet im Schlamm. Seine Fotos sind eine Enzyklopädie der Art und Weise, wie Menschen zu Schaden kommen können. "Ich habe immer versucht", sagt er, "in einem Bild die ganze Geschichte zu erzählen."

Zurzeit verhandelt das New Yorker Museum of Modern Art über den Ankauf von Metinides-Bildern. Darunter auch ein Abzug der toten Adela Rivas. Der Polizeifotograf ist in die Kunst aufgenommen. Er wird irgendwann zwischen Ansel Adams und Man Ray hängen.

Im Katalog untersuchen Essays von Prof. Marion G. Müller und Ronald Berg das Verhältnis von Tod und Fotografie, von Bild und Wahrnehmung, von der Wirkung des Kontextes und der Medien auf die Rezeption schrecklicher Bilder. Die dramatischen Bilder von Abu Ghraib wie auch der Karrikaturenstreit und seine globalen Folgen führen uns drastisch vor Augen, was Bilder vom Tod und was die Kontextverschiebung von Bildern heute bedeuten.

Pressetext

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(Tat)Orte

Fotografien von Weegee , Arnold Odermatt, Enrique Metinides und aus dem LA Police Archive