press release only in german

Eröffnung: DONNERSTAG, 13. SEPTEMBER, 20.30 Uhr

Mit rund 200 Arbeiten von 59 Künstlern aus 18 Ländern bietet die Ausstellung einen internationalen Querschnitt durch das zeitgenössische Kunstschaffen. Wie schon der Titel verrät, wurden ausschließlich Arbeiten ausgewählt, die sich unter den Stichworten "Lens and Paper" zusammenfassen lassen: Arbeiten auf Papier und solche, die mit Hilfe einer Linse gemacht wurden, also Fotografien, Videos und Filme. "Die Schönheit des Intimen" bezieht sich dabei sowohl auf den spontanen Zugriff auf die Wirklichkeit, die mit gleicher Selbstverständlichkeit dokumentiert oder erfunden wird, wie auch auf die Direktheit, mit der viele der Werke den Betrachter ansprechen.

Die Ausstellung wurde von dem Künstler Carel Balth für das Gemeentemuseum, Den Haag, konzipiert und wird in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden als zweiter Station gezeigt. Es erscheint ein Katalog mit zahlreichen Abbildungen und Texten in englischer Sprache von Carel Balth und Hans Locher sowie einem Text in deutscher und englischer Sprache von Margrit Brehm (184 Seiten)

ZEITBILD(ER): PROVOZIERTE WIRKLICHKEIT

In aller Offenheit kann die Ausstellung "The Beauty of Intimacy – Lens and Paper" als ”Zeitbild” gelesen werden, weil alle gezeigten Werke in den vergangenen zwanzig Jahren, die meisten sogar nach 1990, entstanden sind. Jedes Werk, sei es statisches Bild oder dynamische Bildfolge, trägt Zeit in sich. In der Organisation und Reorganisation der inszenierten Bewegung der Formen steht die Zeit als Produktionsfaktor zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Künstler und Kunstwerk.

Direkt übersetzen lässt sich unsere lineare Zeitauffassung auf die Zeichnungen, in denen sich die dynamische Bewegung eines Stiftes durch Raum und Zeit auf dem Papier manifestiert. Dagegen verführt die scheinbare Unmittelbarkeit der Fotos, ihr Wirklichkeitscharakter, allzu leicht dazu, die Zeitabhängigkeit gerade dieses Mediums zu vergessen. Nicht nur entscheidet hier die Belichtungszeit maßgeblich über das Resultat, sondern zumindest die traditionelle, nicht digital manipulierte Fotografie ist das Medium des Augenblicks schlechthin, der Bildbeweis für das zeitweilige Vorhandensein des Abgebildeten.

Nur selten geht es in den hier ausgewählten Werken allerdings um den richtigen Moment, den Schnappschuss. Fotokunst, wie sie sich hier präsentiert, ist die Organisation des Visuellen mit Hilfe der Inszenierung einer Vision. Ob dabei vorhandenes Bildmaterial re-fotografiert (Richard Prince), Regie vor der Kamera geführt (Alicia Framis, Sharon Lockhart) oder das Bild nachträglich bearbeitet wird (Mariko Mori, Piplotti Rist), ist dabei nur von sekundärer Bedeutung. Entscheidend ist die Möglichkeit, ein Bild zu entwerfen, Wirklichkeiten zu provozieren, visuell Hypothesen aufzustellen und diese in die Realzeit einzuspeisen, ohne sie darin aufgehen zu lassen.

MENSCHENBILD(ER): NÄHE UND DISTANZ

Der Mensch erscheint in den ausgestellten Werken nicht als soziales Wesen oder kommunizierendes Subjekt. Gezeigt werden vereinzelte, isolierte Figuren (Lothar Hempel, Hellen van Meene), Metamorphosen des Menschlichen (Angus Fairhurst, Fabrice Hybert), Behausungen der Leere (Rachel Whitread). Wenn überhaupt narrative Momente aufscheinen oder Kontexte angeboten werden, so sind diese widersprüchlich oder zumindest uneindeutig. Gerade in dieser semantischen Unverbundenheit aber, die als Ergebnis sorgfältiger Konstruktion begriffen werden muss, liegt die Virulenz und Aktualität der gezeigten Arbeiten. Sie verweigern sich einer eindeutigen Lesart, indem sie alle zeitlichen und räumlichen Orientierungspunkte auf ein Minimum reduzieren und dadurch bewusst eine Distanz zwischen dem Rezipienten und der abgeschlossenen Entität des Bildgegenstands aufrechterhalten. Die dadurch ausgelöste Irritation, der Eindruck, unsichtbarer Betrachter einer intimen Szene zu sein, die aber gleichzeitig keinerlei Befriedigung des voyeuristischen Blicks in Aussicht stellt, ist Teil der Strategie der Bilder.

Mit ihnen konfrontiert, gewahrt der an die Maximierung produktiver Effizienz gewöhnte Zeitgenosse das Versagen seiner angelernten Beurteilungskategorien. Was sich hinter der schützenden zweiten Haut, dem Image, verbirgt und durch Haltung, Kleidung, Haarschnitt und Styling der Dargestellten angedeutet wird, bleibt offen. Das Thema ist nicht die Sinnsuche des um eine Selbstdefinition bemühten Individuums. Zeitzeugen sind die Dargestellten vielmehr gerade aufgrund ihrer fast marionettenhaften Passivität. In sich versunken oder auf ein (wenn auch unbestimmtes) äußeres Geschehen wartend, scheinen sie aus dem Lauf der Zeit herausgehoben. Diese Entrücktheit ist ein Aspekt der "Beauty of Intimacy", weil sie scheinbar dem Augenblick Dauer verleiht und damit das inhaltlich nachvollzieht, was die Künstler auf dem Papier und mit Hilfe der Kamera Wirklichkeit werden lassen.