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28. März – 13. September 2020

Wie “verdiente” sich Amo seine “Freiheit” aus dem Besitz der Herzöge? War diese “Freiheit” der Lohn für seinen Universitätsabschluss?

THE FACULTY OF SENSING
Thinking With, Through, and by Anton Wilhelm Amo

Die Ausstellung THE FACULTY OF SENSING –Thinking With, Through and by Anton Wilhelm Amo ist bis auf Weiteres nur online auf www.kunstvereinbraunschweig.dezugänglich. Wir freuen uns, Ihnen auf unserer Webseite ab dem 27. März Texte, Fotos, Videos und Videoporträts einzelner Künstler_innen zu präsentieren.

Mit THE FACULTY OF SENSING–Thinking With, Through, andby Anton Wilhelm Amopräsentiertder Kunstverein Braunschweig auf Initiativevon Bonaventure Soh Bejeng Ndikung ein Projektzu Ehren Anton Wilhelm Amos,einemherausragendenPhilosophen des 18. Jahrhunderts. AnhandvonAmos Schriften und ihrer Rezeptionwerdenhochaktuelle Politikender Bezugnahme, des Vergessens und derKanonisierungdiskutiert.

In einem 2013 erschienenen Aufsatz The Enlightenment's 'Race' Problem, and OursderPhilosophieseiteThe Stoneder New York Times fragt sich Justin E. H.Smith, wie und warum Philosophen wie Immanuel Kant oder David Hume es sich leisten konntenso explizit rassistisch zu sein, ineiner Zeit inder Anton Wilhelm Amosich alsphilosophischer Zeitgenosse behauptete.Die Erklärung dafür findet sich in Löschprozessen, die in Bezug zu Michel-Rolph Trouillots Silencing the Pastgelesen werden können.

Anton Wilhelm Amo (*um 1700 –† nach 1753) gilt als erster Schwarzer Philosoph, dereine akademische Karriere in Deutschland verfolgte. Jedoch wurde sein Werk weitestgehend an den Rand gedrängt und geriet in Vergessenheit. Amo studierte in Halle Philosophie und Rechtswissenschaften und positionierte sich mit seiner Dissertationüber die Leib-Seele-Problematik (1734) an der Universität Wittenberg und Über die Kunst, nüchtern und präzise zu philosophieren(1738) als früher Denker der Aufklärung.

AntonWilhelm Amo wurde als Kleinkind ausdem Gebiet des heutigenGhana verschleppt,versklavt und gelangteüber Amsterdam an den Hof von Herzog Anton Ulrichvon Braunschweig-Wolfenbüttel, von wo auser seine wissenschaftliche Karrierebegann.

Im Rahmen des umfangreichen Recherche-und AusstellungsprojektsTHE FACULTY OF SENSING wurden 16internationale künstlerische Positionen eingeladen, sich mit demphilosophischen Denken Anton Wilhelm Amosin größtenteils neu produziertenArbeitenauseinanderzusetzen. Kuratorisch entwickeltsich das Projekt entlang von Fragen nach Amos Verständnis vom Ding-an-sich, dem Leib-Seele-Diskurs, der Rechtsstellung und Anerkennung von Schwarzen Menschenim 18. Jahrhundert und in der Gegenwart, transzendentaler Obdachlosigkeit, der Politik des ‚Naming‘ sowie der Narration und Geschichte der Aufklärung.

Mit Fragennach derUmgebung,in derAnton Wilhelm Amoaufwuchs und Orten, diewir noch heute mit ihm teilen, hat sich Akinbode Akinbiyiauf fotografische Spurensuche durch die Regionbegeben. Der Blick auf transhistorische Verknüpfungeninteressiert auch Adama Delphine Fawundu, wobei sich Wasser als verbindendesElement durch eineraumgreifende Installationaus Fotografien, Videos und einem Künstlerinnenbuch zieht. Der These Anton Wilhelm Amos folgend, dass nur der lebendige organische Körper,nicht aber die Seele spüren kann, porträtiertKitso Lynn LelliottvideografischdieUmgebungen von Amos Lebenswegenin Ghana und Deutschland. In einem zweiten Kapitel wird dabei auch die Unzulänglichkeit eines Nachvollzugs in Abwesenheit thematisiert. Die Leerstellen und bewussten Auslassungen, die Amos Biografie und Rezeption prägen, macht Anna Dasovićmithilfegezielter Fragen, die den Ausstellungsparcours flankieren, zum Gegenstand, wobei vorherrschendeKriterien der Kanonisierung hinterfragt werden.

In anderer Form hatsich auchRESOLVE Collectivemit den Aporien, Lücken und Widersprüchen auseinandergesetzt, die Amos Rezeption, Leben und philosophisches Werk charakterisieren. Das resultierende Projekt Programming Im/Passivity(2020)unternimmt den Versuch theoretische Prinzipien Amos in sensorische und gestalterische Prozesse zu übersetzen, wobei die Rezipierenden als aktive Teilnehmende in einWorkshop-und Bibliotheksumfeld involviert werden.Bernard Akoi-Jacksons neu entwickelte Performance zieht sich in mehreren Etappendurch die Ausstellung, wobei Besucher_innenabermalseingeladen sind, sich persönlichzu Amos Schaffen in Bezug zu setzen.

Miteiner Raumzeichnung aus NATO-Draht und behandelten Stoffenadressiert Lungiswa Gquntain Benisiya Ndawoni II(2020)strukturelle Gewalt, Migrationund die forcierte Bewegung Schwarzer Menschen. Fragen von Ausgrenzung und alltäglicher Diskriminierung sind ebenso Ausgangspunktvon Olivier Guesselé-Garais Gedicht Their Eyes Were Watching Cop,(2015/2020),das in Form einer Installationneu interpretiertwird.Claudia Martínez Garayversammelt Zeichnungen, Drucke und Malereien zu einer visuellen Erzählung, die auf Herkunft, Vertreibung und Rassismus, aber auch einseitige Definitionen der Moderneund das problematische Verhältnis Schwarzer undBrauner Körperzu (Kultur-)Institutionen verweist. All dies sind Themen, die auch Patricia Kaersenhout in ihrer künstlerischen und aktivistischen Praxis seit vielen Jahren bewegen.Im Rahmender Ausstellung zeigt Kaersenhout die SerieWhile we were Kings and Queens(2020),in der sie dentraumatischen Charakter kolonialer Unterdrückung untersucht, der im eklatantenWiderspruch zu proklamierten Idealen der Aufklärung steht.

Adjani Okpu-Egbevollzieht in seiner multimedialenInstallationDecolonizing Knowledge(2020)den Brückenschlag zwischen Amos Werk, Person und einem vorgeschlagenenalternativen Kanon, derin Kollaboration mit namhaften Denker_innen, Wissenschaftler_innen und Künstler_innen erarbeitetwurde. Unmittelbare Bezüge zu den philosophischen Schriften Anton Wilhelm Amos finden sich auch in den neu entstandenen Werkenvon Antje Majewskiund Theo Eshetu. Während Majewski in Die Apatheia der menschlichen Seele(2020)individuelle Imaginationen der Seele unter Berücksichtigung vonAmos Vorstellungenin Malereien übersetzt, kommt Amo in Eshetus Videoarbeitmit Originalzitaten ‚zu Wort’. DassAnton Wilhelm Amos Geschichte ein Sonder–,gewissaber kein Einzelfall ist, wird auch in derSerie von Cyanotopien Good Morning Prussia(2009)von Jean-Ulrick Désert deutlich, in der an dasSchicksal eines Zeitgenossen Amos erinnert wird.

Auf Initiative des Architekten Konrad Wolfwird der Kunstverein Braunschweig für die Laufzeit der Ausstellung THE FACULTY OF SENSING –Thinking With, Through, and by Anton Wilhelm Amoselbst zum Anton Wilhelm Amo Center(2020),wobei Prozesse strategischer Umbenennungen in begleitenden Workshops reflektiertwerden, die gemeinsam mitAmo –Braunschweig Postkolonial und Tahir Della (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V.) durchgeführt werden.

Das Performancekollektiv andcompany&Co. zeigtam 25. Aprilmit Black Bismarck revisited (again)zuletzt einein Kooperation mit dem Staatstheater Braunschweig entstandenePerformance, dieihrenAusgangspunkt in der Afrika-Konferenz nimmt und den Folgen des Kolonialismus nachspürt.

Anlässlichder Ausstellung laden wir zu einem Begleitprogramm mitPerformances, Künstler_innengesprächen, Workshops und Diskussionsrunden ein.AlsTeil dessen findet am 19. und 20. Juni ein mit Wissenschaftler_innen und Künstler_innen besetztes Symposium statt. Auftakt des Symposiums bildet am 19. Juni dasSommerfest im Garten des Kunstvereins.

Begleitend zuTHE FACULTY OF SENSING–Thinking With, Through, and by Anton Wilhelm Amoentsteht einePublikation, die theoretische und künstlerische Beiträge der Ausstellung und des Symposiums verknüpft.

Künstler_innen: Akinbode Akinbiyi(1946 in Oxford, GBR), Bernard Akoi-Jackson(1979 in Accra, GHA), andcompany&Co.(gegr. 2003 in Frankfurt am Main, GER), Anna Dasović(1982 in Amsterdam, NLD), Jean-Ulrick Désert(Port-au-Prince, HTI), Theo Eshetu(1958 in London, GBR), Adama Delphine Fawundu(1971 in New York, USA), Lungiswa Gqunta (1990 in Port Elizabeth, ZAF), Olivier Guesselé-Garai(1976 in Paris, FRA), Patricia Kaersenhout(1966 in Den Helder, NLD), Kitso Lynn Lelliott (1984 in Molepolole, BWA), Antje Majewski(1968 in Marl, GER), Claudia Martínez Garay(1983 in Ayacucho, PER) Adjani Okpu-Egbe(1979 in Kumba, CMR), RESOLVE Collective(gegr. 2016 in London, GBR), Konrad Wolf(*1985 in Neubrandenburg, GER)

Kuratorinnen: Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Jule Hillgärtner, Nele Kaczmarek

Kuratorische Assistenz: Franz Hempel, Raoul Klooke