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Vorbild von Makoto Aidas 3x4m-Acrylgemälde auf Acetatfilm Giant Miss Fuji vs. King-Gidora (1992-93) war Hokusais berühmtester erotischer Holzschnitt mit einem jungen Mädchen und einem Kraken. Aida spiegelte die Darstellung in die zeitgenössische Mangawelt, indem er die über der Stadt schwebende Riesin Fuji, Heldin der japanischen Comicserie „Ultraman“ (einem Außerirdischen, mit dem sie gemeinsam das Gute verteidigt) mit einem, Godzillas Gegner „King Gidora“ nachempfundenen, Drachenmonster kämpfen ließ.

1993 eröffnete Tsuyoshi Ozawa – als vielbeachteten, kritisch-konstruktiven Gegenentwurf zu den Mietgalerien in Japans Kunstbetrieb – gegenüber der etablierten Nabisu Gallery im Tokioter Stadtteil Ginza seine tragbare Nasubi Gallery (bis 1995), die kleinste Kunstgalerie der Welt, in einer schuhkartongroßen, innen weiß gestrichenen Milchkiste, die man bis in die 1970er vor jedem japanischen Haus (und nun im ACC) finden konnte. Mit seiner Milk Ceremony (2008), einer amüsanten Performance mit Milch, Gebäck und leichter Unterhaltung, parodierte er in einem lächerlichen Campingzelt die strengen Regeln unterliegende, traditionelle Tee-Zeremonie.

Fulminant arrangiert und gebettet in visuellem Reichtum, waren Hiroyuki Matsukages Fotografien – Puberty (yuki) (1992), Girl and Death (Bed) (1994), The end of SEXTENNIS (1992-97) oder Mercedes (Gold) (1993) – Selbstspiegelungen, gefüllt mit unsterblichen Themen wie Tod, Erotik, Schönheit. Edvard Munchs weinendes Mädchen auf einem Bett inspirierte ihn zu Untitled (1995), während Beer, Sex, My Life, Star Beer (1997) aus seiner „Bi-jinga“-Serie in zeitgenössischem Stil auf das traditionelle, schöne Frauen verherrlichende Genre der japanischen Malerei anspielte.

Wenn man sich mit Makoto Aidas Ausrüstung für einen versuchten Selbstmord (1998) erhängen und vom Sockel springen wollte, konnte man nach missglücktem Akt – denn das elastische Band (als Strick) hatte fünf Klettverschlüsse und jeder Versuch war sinnlos – vielleicht wieder zu neuem Leben finden. Nervenkitzel pur, der Suizid simuliert als „Soft-Version“.

Stand man nah vorm apokalyptischen, minutiös ausgeführten, Poesie und Kritik in sich vereinenden Industriestadtgemälde Lettuce (1996) des Japan-Brasilianers Oscar Satio Oiwa, verwandelte sich das Salatfeld in einen Acker aus elektronischem Zivilisationsmüll. Das Doppelölbild Light Birds (1997) erzählte von Enge und Ödness menschlichen Bauwahns, Crow's Nest (1996) zeugte von der Anpassungsfähigkeit der Krähen an das „Biotop“ der urbanen Ganztagsbaustelle. In der Serie Air Lunch (1996) waren die Teller auf den Speiseklapptischen im Flugzeug nicht mit Speisen, sondern Collagen der Weltkarte gefüllt.

In der beliebten japanischen Comedyserie „Shoten“ bekam der sitzende Comedian jeweils ein Kissen untergeschoben, wenn sein Witz besonders gut angekommen war. Makoto Aidas Kissenturm Nietzsche (1998) reichte bis zur Decke, wenn nicht bis zum Himmel, darauf saß der imaginäre Philosoph – schon nicht mehr zu sehen –, dessen geistige Umnachtung in Weimar einen irrealen Jauchzer hervorbringen könnte, auf dem er sich in die Ewigkeit hinauflacht.

„Was ich auf der Flucht mitnehme“ stand auf den Hutschachteln der Installation Eboshi Project (1995). Angesichts des Erdbebens in Kobe stellte sich Tsuyoshi Ozawa diese Frage. Später fand er in Tokios Sperrmüll Eboshi-Mönchs-Hüte aus einem shintoistischen Schrein, Kopfbedeckungen mit hochgezogener Form, unter der das nach oben gebundene Haar verstaut wurde. Wie könnte man sie erneut nutzen, was darunter verbergen, z.B. bei einem Erdbeben? Die Group-1965-Künstler antworteten: Zigaretten der Marke „Short Hope“, Wundspray, Schweizer Offiziersmesser, goldenes Ei, Nähzeug, das Wort „Hoffnung“ auf einem Stück Papier…

Zu seinem Langzeitprojekt mit Tagebuchcharakter Jizoing ließ sich Tsuyoshi Ozawa von „Jizo“ inspirieren, einem japanischen Schutzheiligen der Kinder, der als kleine, steinerne Buddha-Statue überall im Lande auftaucht. Täglich platzierte Ozawa seine Jizo-Figur, zunächst als handgemachte Tonskulptur, später skizziert auf Notizzettel oder hingekritzelt im Sand, dort, wo er sich gerade befand und fotografierte die Szenerie getaucht in blaue Tönung, die inspirierend auf ihn wirkte: in Tokyo Disney Land, Tibet, am Fujijama etc. (alle 1995).

Für People observe the forest through rolled-up paper (1998) sandte Tsuyoshi Ozawa eine Einwegkamera an Freunde in aller Welt, verbunden mit der Bitte, sie mögen mit einem zusammengerollten Blatt Papier in einen (vorhandenen oder imaginären) Wald schauen, was eine zweite Person fotografieren solle. Das Papier, selbst aus Holz, d.h. aus dem Wald entstanden, möge in jenem Moment ein Gefühl der Verbindung und Verwandtschaft zwischen Wald, Holz und Papier wachrufen.

Masamichi Tosa erfand gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Nobumichi als Duo „Meiwa-Denki“ (der Name stammte von der Elektrogerätezuliefererfirma ihres Vaters, die 1979 bankrott ging) Nonsens-Geräte und Musikinstrumente, die sie „Produkte“ nannten, während ihre Performances, von denen im ACC eine Demonstration of new products (der drei Objekte Aves Structure #1, 1998) zur Aufführung kam, „Produktpräsentationen“ waren. Sie benutzten Elektrizität und Computer, um mechanische Geräte zur Erzeugung realer Klänge anzutreiben.

Karaoke heilt Geist und Welt, wie es die Kunst einst tat. Mit seiner „Karaoke Stereo Machine“, einem Mikrofon mit Abspielgerät und Lautsprechern, überwand Parco Kinoshita im Emergency Karaoke Meeting Sprachbarrieren, befreite die Kunst aus ihren Institutionen, räumte auf mit dem Klischee vom Unvermögen der Japaner, sich „auszudrücken“. Seine Rauminstallation aus 14 Graphitzeichnungen (1997-98), und zwei Videos in einer Art Gedenkaltar verbildlichte auch schweigende Karaokesänger vorm Eingangsgebäude des ehemaligen KZ Buchenwald.

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THE GROUP 1965 
The Voices from Tokyo
Kurator: Hitomi Hasegawa

THE GROUP 1965 : Makoto Aida, Parco Kinoshita, Hiroyuki Matsukage, Oscar Satio Oiwa, Tsuyoshi Ozawa, Masamichi Tosa