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ort: Maschinenhaus M2

The Invented History
13. September 2020 bis 21. Februar 2021

Künstler*innen: Yael Bartana, Ramesch Daha, Anna Dasović, Jean-Ulrick Désert, Andrew Gilbert, Aslan Ġoisum, Maryam Jafri, Nadia Kaabi-Linke, Zartosht Rahimi, Larissa Sansour / Søren Lind, Maja Weyermann, Akram Zaatari

Die Gruppenausstellung The Invented History untersucht die Notwendigkeit, historische Narrative kritisch zu hinterfragen. Spätestens unter dem Einfluss der Globalisierung muss Geschichtsschreibung neu bewertet werden: Sie wird nicht mehr als reine Ansammlung von Daten und Fakten, als eine linear nachzuerzählende Abfolge von eindeutigen Ereignissen betrachtet. Stattdessen wächst das Bewusstsein, dass Geschichtsschreibung immer auch unter den politischen Vorzeichen ihrer „Autorinnen“ gelesen werden muss. Heute finden sich zunehmend Versuche, sich der Deutung von Geschichte zu bemächtigen – vor allem durch antidemokratische Kräfte weltweit. Die Künstlerinnen der Ausstellung spüren bisher verschwiegene oder unterdrückte historische Phänomene auf, betrachten Geschichte durch den Filter ihrer eigenen Biografie und arbeiten so an einer kritischen Geschichtsschreibung in Abgrenzung zu bestehenden Herrschaftssystemen.

Die künstlerische Recherche stellt für die Künstler*innen der Ausstellung eine wichtige Methode dar. So zeichnet Anna Dasovićs Arbeit Request for erased and ‘blurry’ photographs (2015–2017) die politischen Verwicklungen im Zusammenhang mit zwei fotografischen Filmrollen nach, die während des Völkermordes in Srebrenica im Sommer 1995 von Mitgliedern des niederländischen UN-Bataillons aufgenommen wurden. Bosnisch-serbische Milizen drangen damals in die UN-Schutzzone ein und ermordeten vor den Augen niederländischer UN-Blauhelme mehr als 8.000 muslimische Männer und Jungen. Von diesen zwei Filmrollen existieren lediglich drei „verschwommene Fotografien“, die erst nach der Intervention der Künstlerin in den Niederlanden überhaupt öffentlich gemacht wurden.

Auch Maryam Jafri stellt Fragen hinsichtlich des Urheberrechts, der Digitalisierung und des ausländischen Eigentums von nationalem Erbe. Auf der Website der Bildagentur Getty Images entdeckte die Künstlerin Fotografien von der Unabhängigkeit Ghanas am 6. März 1957 – erste Dokumente der Befreiung Schwarzafrikas von der westlichen Vorherrschaft –, die auch im Archiv des Ghanaischen Informationsministeriums enthalten sind. In ihrer Installation Getty vs. Ghana (2012) stellt sie die Bilder einander gegenüber und macht fehlerhafte Daten, Schlagworte und Bildunterschriften sowie offensichtliche Manipulationen an den Originaldateien sichtbar.

In ihrer Recherche zu einem Film über anatolische Teppiche und deren Bedeutung für das kulturelle Gedächtnis der Region stößt Maja Weyermann auf die Schlüsselrolle, die die armenische Teppichknüpfkunst für die Produktion in der Türkei vor 1915 einnahm – also in der Zeit vor dem systematischen Völkermord an den Armenier*innen. Prozesse der Erinnerung und des (politisch gewollten) Vergessens sind auch Thema von Aslan Ġoisums Film People of No Consequence (2016), der ebenfalls die Wiederbelebung von Wissen um historische Prozesse zum Thema hat – in seinem Fall die Unterdrückung und Vertreibung der lokalen Bevölkerung der heutigen russischen Teilrepublik Tschetschenien, die bereits unter der Sowjetmacht begann.

Andere Künstler*innen der Ausstellung wenden sich utopischen Zukünften zu und hinterfragen so unser Verständnis von Geschichtsschreibung. Yael Bartanas versteinerte Waffen R.i.P. Uzi, R.i.P. M16 und R.i.P. Smith & W (alle 2019) sind eine Vision einer fernen Zeit, in der Waffen nur noch als Fossilien einer überholten Zivilisationsstufe existieren. Auch das Video In the Future They Ate from the Finest Porcelain (2015) von Larissa Sansour und Søren Lind zeigt Geschichte als ein komplexes Geflecht: Eine fiktive Widerstandskämpferin vergräbt Porzellanobjekte als vermeintliche Spuren einer vergangenen Zivilisation mit dem Ziel einer neuen Geschichtsschreibung, in der Fakten und Fiktionen zu einer neuen Erzählung verschmelzen.