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Projektbeschreibung Ziel des von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Initiativprojekts ist es, eine Bestandsaufnahme zur Lage der Kunst und Kultur in Osteuropa gut ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges zu liefern und ein Diskussionsforum zu eröffnen, das den wechselseitigen Austausch über die Situation in den postkommunistischen Gesellschaften befördert. Nach wie vor ist die kulturelle Kluft, die in den Zeiten des Kalten Krieges zwischen Ost und West entstanden ist, nicht vollständig überwunden. Dies liegt vor allem an den unterschiedlichen Voraussetzungen, unter denen sich der kulturelle Diskurs in Ost und West entwickelt hat, was auch heute noch zu unzähligen Missverständnissen auf beiden Seiten führt. Die zeitliche und inhaltliche Entwicklung der Künste in Osteuropa basiert auf anderen Geschichtsmodellen und anderen Vorstellungen des öffentlichen Raumes. Wenn der offizielle Raum besetzt ist von staatlichen und bürokratischen Vorstellungen von Kunst, die progressive Tendenzen der utopischen Avantgarden politisch umsetzen, entwickelt sich als Samisdat-System ein geheimer Raum, in dem die eigentliche Avantgarde – mit zum Teil konservativen Zügen – entsteht. Die Rolle, die der Kunst mit dem Ziel überantwortet wurde, einen eigenständigen Entwurf zur Modernisierung und Globalisierung vorzulegen und zu verwirklichen, war zwischen dem historischen Auftrag der Avantgarden und der aktuellen politischen Verwerfung und Ablehnung dieser Avantgarden eingespannt. In dieser Spirale der Gegensätze hat sich ein Moderne-Begriff entwickelt, der paradoxerweise offener zu sein scheint als der westliche, weil er, im Dilemma widersprüchlicher Ansprüche gefangen, mehr Aktivitäten und Projekte, Methoden und Modelle als kunstfähig zulassen musste, als es die Kunst im Westen nötig hatte. Die Tatsache, dass der Kunstmarkt im westlichen Sinne im Osten nicht existierte, schuf zusätzlich völlig andere Bedingungen für das Funktionieren der Kunst. Die im Westen geläufigen institutionellen Instanzen, Galerie, Kunstverein, Museum, Privatsammler, existieren in dieser Weise im Osten nicht, konstituieren daher auch nicht die entsprechende öffentliche Sphäre. Die Unterscheidung zwischen nicht-marktfähigen und marktfähigen Kulturgütern trifft dort nicht zu. Im Westen stand das Verhältnis zwischen Kultur und Markt seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der kritischen Selbstreflexion sowohl der Intellektuellen wie auch der Künstler, wobei ihre theoretischen und künstlerischen Entwürfe meistens auf die Entmachtung des Marktes und auf die Etablierung des Primats der Politik zielten. Im kommunistischen Osten war der Markt dagegen immer schon abgeschafft und das Primat der Politik allgegenwärtig. Für den Osten galt also gerade der Markt als Utopie. So haben die östlichen Intellektuellen und Künstler ihre Hoffnungen auf den Markt westlicher Prägung gesetzt – auch und vor allem dann, wenn ihre Diskurse und Kunstwerke vom gleichen emanzipatorischen Impuls getragen wurden wie diejenigen ihrer westlichen Kollegen. Zugespitzt lässt sich behaupten: Als oppositioneller, kritischer Intellektueller oder Künstler setzte man im Westen auf Marx und im Osten auf Reagan – und zwar im Rahmen des gleichen emanzipatorischen Projekts. Darüber hinaus spielte die Frage nach der nationalen kulturellen Identität im Westen und Osten ebenfalls eine unterschiedliche Rolle. Die kommunistische Ideologie war internationalistisch, globalisierend, letztendlich anti-national. Die kommunistische Führung regierte im Namen dieser internationalistischen, den Rahmen des Nationalstaates transzendierenden Ideologie – daraus resultierte ihr Führungsanspruch. Der heutige postkommunistische Nationalismus in Osteuropa ist nach dem Untergang des Kommunismus aus der Demokratisierung der osteuropäischen Länder und Formierung neuer Nationalstaaten hervorgegangen. Der Stellenwert des Nationalismus im Osten unterscheidet sich also ebenfalls deutlich von seinem Stellenwert im Westen, wo der Nationalismus traditionell sowohl staatstragend wie auch umstritten ist. Dies wirft die Frage auf, wie die Kultur der osteuropäischen Länder auf die neue Lage reagiert, in die sie geraten ist – das heißt: Wie reagiert sie auf die Realität des Marktes und des Nationalstaates, von der sie jahrzehntelang nur eine vage und vielfach utopische Vorstellung hatte? Bei der Behandlung dieser Frage gilt es zu berücksichtigen, dass es sich nicht etwa um einen Modernisierungsprozess handelt, der schon vielfach beschrieben worden ist. Gerade im Hinblick auf die Neudefinition nationaler kultureller Identität unterscheidet sich die Situation in den postkommunistischen Ländern nämlich wesentlich von der Situation in den postkolonialen Ländern. Die Modernisierungs- und Geschichtsmodelle postkolonialer Länder lassen sich am ehesten als Effekt westlicher Hegemonial- und Globalisierungsstrategien, das heißt als Folgeerscheinung westlich geprägter Modernisierungsprozesse verstehen. Im postkommunistischen Osteuropa hingegen verläuft der Modernisierungsprozess nicht einfach als Kontinuum, wie in den letzten Jahren oftmals in den Cultural Studies behauptet wurde. Er vollzieht sich nicht so sehr als schrittweiser Wandel, denn als grundlegender Wechsel des Modernisierungsmodells, als Kehrtwende von einer politischen Modernisierung und Globalisierung ohne bzw. gegen den Markt zu einer vom Markt getragenen Modernisierung. Deshalb haben die Cultural Studies ebenso wie die Post-Colonial Studies die Situation der postkommunistischen osteuropäischen Länder bisher als Studienobjekt weitgehend unberücksichtigt gelassen. Diese Tatsache stellt die Cultural Studies vor die Aufgabe, einen neuen theoretischen Diskurs zu formulieren, welcher der postkommunistischen Situation gerecht wird. Das Projekt nimmt sich dieser Aufgabe an, indem es Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler aus Osteuropa in ein Gespräch über die Transformation des osteuropäischen, kommunistischen Modells in ein westliches, liberal-kapitalistisches Modell einbindet und danach fragt, welche Konsequenzen dieser Umbruch sowohl für die Kultur und Kunst in den osteuropäischen Ländern als auch für die Kultur und das politische Denken in Westeuropa hat. Die Situationsanalyse soll dazu beitragen, die einseitig westliche Blickperspektive auf Osteuropa aufzubrechen. Es soll kein Fenster geöffnet werden, durch das Westeuropa nach Osteuropa blickt, sondern im Gegenteil eine Tür geöffnet werden, durch welche die Intellektuellen und Künstler Osteuropas zu uns hereintreten und sich in einem offenen Diskurs unzensiert artikulieren können. Einige Anstrengungen zeitgenössischer Intellektueller (von Slavoj Zizek bis Alain Badiou), den Leninismus und in seiner Folge auch den Stalinismus neu zu überdenken, sind ein Zeichen dafür, dass die hier skizzierte Problematik wahrgenommen und von der kritischen Öffentlichkeit in ihrer Dringlichkeit begriffen wird. Aktuelle amerikanische Publikationen über die historischen und aktuellen Avantgarden Osteuropas belegen den Trend, sich der Kunst Osteuropas anzunähern. Trotzdem ist die Vielfalt der künstlerischen und theoretischen Literatur Osteuropas im letzten Jahrhundert immer noch bei weitem nicht erfasst, und entscheidende Positionen sind im Westen aufgrund fehlender Übersetzungen noch nicht bekannt. Im Rahmen des Projekts sollen daher Texte, die allein in osteuropäischen Sprachen publiziert worden sind und einen wesentlichen Beitrag zur Ausarbeitung des oben genannten Themas darstellen, in die deutsche Sprache übersetzt werden (Nikolaj Tarabukin: Le dernier tableau. Écrits sur l’art et l’histoire de l’art à l’époque du constructivisme russe, Paris 1972, russische Erstveröffentlichung: Ot mol’b k maschine, Moskau 1923; Aleksandr A. Bogdanov: Tektologie; Schriften von Kasimir Malewitsch und Nikolaj Fedorow). Zusätzlich zur Neuveröffentlichung bereits vorhandener Texte wird osteuropäischen Autoren, Wissenschaftlern und Künstlern durch die Stipendien die Möglichkeit gegeben, Untersuchungen durchzuführen und themenspezifische Texte zu verfassen, die ebenfalls übersetzt und publiziert werden. Das Projekt bietet intellektuellen Stimmen wie Ekaterina Degot, Mikhail Ryklin, Aless Erjavec, Ivalyo Ditchev, Pavel Pepperstein und Augustin Ioan ein Forum, auf dem sie ihre philosophischen und kulturtheoretischen Thesen über den postkommunistischen Osten formulieren, verteidigen und weiterentwickeln können. Auf einer Podiumsdiskussion am 13. Oktober 2003 in Frankfurt am Main haben Ekaterina Degot, Boris Groys, Peter Weibel, Martina Weinhart und Slavoj Zizek die Frage nach gegenwärtigen Realitäten und Utopiepotentialen in den postkommunistischen Gesellschaften Osteuropas gestellt. Ende Oktober wurde am ZKM ein Workshop mit den Stipendiaten durchgeführt, der eine erste Bestandsaufnahme der Diskussion lieferte und der Vorbereitung weiterführender Debatten diente. Voraussichtlich im Juni 2004 finden in Berlin ein großer Kongress mit zahlreichen internationalen Referenten und eine begleitende Ausstellung statt, auf der Werke von Künstlern wie Dmitri Gutov, Olga Chernysheva und Nedko Solakov gezeigt werden sollen.

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The Post-Communist Condition
Ein Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes
Podiumsdiskussion,
in Kooperation mit dem ZKM Karlsruhe
Projektleitung: Boris Groys
Wissenschaftliche Geschäftsführung: Anne von der Heiden
Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Julia Warmers
Öffentlichkeitsarbeit: Nicole Ruchlak
Kulturstiftung des Bundes: Lutz Nitsche

Podiumsdiskussion 13|10|03 - 19:00 Schirn, Frankfurt
Workshop 23|10|03 - 18:00 ZKM, Karlsruhe
Kongress 10|6|04 - 12|6|04 Das Moskau Kongresszentrum, Berlin
Ausstellung 16|6|04 - 26|6|04 KW, Berlin: Privatisierungen

Privatisierungen
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