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Vielleicht ist es nicht falsch, Phänomene übersinnlicher Wahrnehmung, okkulte Lehren, Spiritismus, Millenarismus, Telekinese, Parapsychologie und so weiter als Unfug abzutun. Eine aufgeklärte Selbstsicherheit, die diese Phänomene als Aberglauben und Ammenmärchen ignoriert, macht sich jedoch blind für ihre Historizität, ihre komplexe Sozialgeschichte und die verdeckten Triebkräfte ihrer Faszination. Ein für alle mal vom Aufstieg der Naturwissenschaften und der Industrialisierung entmündigt, bildeten okkultistische Strömungen, Relikte vormoderner Weltsichten und traditionelle Motive der Religion, allen voran das Apokalyptische, seit dem 19. Jahrhundert einen „Underground of Europe“ (James Webb) häretischer religiöser Positionen, erfolgloser sozialer Pläne und zurückgewiesenen Wissens, aus dem eine Art okkultistische Internationale entstand.

In ihr eine Verweigerung zur Aufklärung zu sehen, greift zu kurz. Helena Petrovna Blavatskys (1831-1891) Theosophische Gesellschaft lieferte ein globales Glaubensbekenntnis der „Universal Brotherhood of Humanity without distinction of race, creed, sex, caste or color“ im Zeitalter überbordenden Rassismus. Aleister Crowleys (1875-1947) zentraler Gesetz („Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz.“) und Magick („Die Kunst und Wissenschaft, die Welt in Übereinstimmung mit dem Willen zu formen“) erscheint wie ein ausgeklügeltes und reguliertes Emanzipationsprogramm, dass keine äußeren religiösen und weltlichen Autoritäten mehr anerkennt. Seine Drogenexperimente und kollektiven Sexualrituale lassen in ihm einen Ahnen des selbstbestimmten Hedonismus erkennen, der alle popkulturellen Jugendbewegungen der vergangenen sechzig Jahre prägte.

Bei weitem eint die Geisterseher und Magiker nicht die Ablehnung der Moderne. Oft nutzten sie neueste Technologien wie Radio, Fotografie und Magnetbänder um die Bereiche rational empirischer Forschung auf unbekannte, als übernatürlich geltende Erscheinungen auszudehnen. Mit Jack Parsons (1914-1952) verfügen die Okkultisten über einen Pionier der US-Raumfahrt in ihren Reihen. Statt im Okkulten und Spirituellen ein Kontrastprogramm zu Rationalismus und Materialismus zu sehen, lassen sich rückblickend in ihnen Möglichkeitsräume für die Bearbeitung fragwürdig gewordener Auffassungen von Körper und Materie, Seele und Geist, Krankheit und Gesundheit, Tod und Leben, Individualität und Gemeinschaft, geschlechtlichen Rollen und künstlerischer Produktion entdecken.

Somit erklärt sich auch die Faszination zahlreicher Avantgardekünstler für diese Lehren, die entscheidende Impulse für moderne Ästhetiken gaben, denn auf der Suche „nach einer neuen Sprache“ bot sich hier Raum für die Erfahrung von Passivität in der künstlerischen Schöpfung, die autororientierten Theorien verschlossen blieben. Sind sich die Erkenntniswege des Künstler und Mystiker so fremd? Setzen nicht beide auf das Subjekt als unverzichtbare Variable des Erkenntnisprozesses und meinen in der Kontemplation die Wahrheit zu erkennen?

Unterschiedliche Positionen zeitgenössischer Kunst gehen in der Ausstellung „The True Artist Helps the World by Revealing Magick Truths“ dem Okkulten in der Kunst und den Spuren okkulten Denkens in der Gegenwart nach.

Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und das Kulturamt der Stadt Leipzig.