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Vernissage: 18. April 2015 um 18:00 Uhr
Zur Eröffnung spricht Roman Grabner, Universalmuseum Joanneum Graz
Ausstellung bis 24. Mai 2015, Mo – Sa 9 – 19 Uhr, So nach Voranmeldung

Thomas Stimm und Uta Weber

„Substanz ist erlebbar, aber nicht vermittelbar.“

Mit diesem einleitenden Zitat von Thomas Stimm wird der Unmöglichkeit Rechnung getragen, Kunst adäquat in Sprache übersetzen zu können. Sie wird sich trotz bemühter Erläuterungen, Hinführungen, Offenlegungen und Kontextualisierungen nie ganz erschließen lassen und immer ein Restgeheimnis in sich bergen. Und das ist gut so. Trotzdem seien hier einige Gedanken zur Kunst von Thomas Stimm und Uta Weber formuliert.
Thomas Stimm und Uta Weber bestreiten in der Galerie Gölles nach 2006 nun ihre zweite Zusammenschau, die zugleich Ausstellungsdialog und Versuchsanordnung ist. Das Konzept derartiger Gegenüberstellungen beruht auf der Idee, über die Dialektik des Unterschieds neue Sichtweisen auf das Werk des bzw. der jeweilig anderen zu ermöglichen. Der Blick gilt, bei aller augenscheinlicher Verschiedenheit der künstlerischen Positionen, den korrespondierenden Elementen, gemeinsamen Bezugsfeldern und analogen Werkprozessen. Das erste, das bei einer synoptischen Betrachtung sofort ins Auge fällt, ist der farbenfrohe, vordergründig unbeschwert-leichte Charakter der einzelnen Arbeiten.
In seinen bekannten amerikanischen Vorlesungen behauptet Italo Calvino, dass das Problem der Substanz im Gegensatz von Leichtigkeit und Schwere läge. Aus seiner Sicht sei es notwendig, dem Kunstwerk die Schwere zu nehmen, damit es sich vom lastenden Gewicht der Zeit und der Stumpfheit und Schwerfälligkeit der Welt lösen kann. Er führt aus, dass auch für Ovid „Erkenntnis der Welt Auflösung der Kompaktheit von Welt“ ist und entdeckt dabei in Ovids Vorstellung von Erkenntnis und Wissen eine Leichtigkeit, die als Präzision und Klarheit wie auch als Ironie gedacht sein kann.
Es ist genau diese Form der Leichtigkeit, die die Arbeiten von Thomas Stimm und Uta Weber kennzeichnet: Einfachheit der Form, Klarheit der Farben, Präzision der Ausführung, Verständlichkeit des Inhalts, Ironie der Anspielungen und Gelassenheit im Umgang mit kunsttheoretischen Diskursen.

Utopie
Das verbindende Thema der beiden könnte Natur und Utopie bzw. Umwelt und Utopie sein. Allerdings begibt man sich mit der Erwähnung des Begriffs Utopie nach dem „Ende der großen Erzählungen“ (Jean-Francois Lyotard) noch dazu im Zusammenhang mit Kunst auf ein schwieriges Terrain. Das oft beschworene Utopia kann vieles sein: Paradies, Goldenes Zeitalter, „glückliche Insel“, ferner Ort im Weltraum, ideale Verfassung, Musterstadt oder Vision eines besseren Lebens. Es lässt sich jedoch feststellen, dass sich unsere Vorstellungen von Utopien seit Anfang des 21. Jahrhunderts zunehmend in eine ökologische Richtung verschoben haben. Es ist offensichtlich geworden, dass die Industrialisierung seit dem späten 19. Jahrhundert eine weitverbreitete Verschmutzung und Zerstörung der Umwelt und in weiten Teilen der Welt eine Verschlechterung des städtischen Lebens zumindest für den ärmeren Teil der Bevölkerung gebracht hat. Utopien sind keine Realitätsflüchte oder Träume einer anderen, einer besseren Welt, sondern es sind Kriterien wie Plausibilität und Realisierbarkeit, die Utopien vom Imaginären und Fantastischen abheben. Utopie ist nicht eine bestimmte Hoffnung, sondern eher die Realisierung dieser Hoffnung. Sie erkundet den Raum zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen. Thomas Stimm und Uta Weber haben versucht mit ihrem Soylent Green-Projekt, das sie 1995 gestartet haben, eine derartige utopische Vision in die Realität umzusetzen. Gemeinsam haben sie Aktionsräume geschaffen, die als Orte der Zusammenkunft und der Kommunikation fungierten und nicht nur einen Diskurs über die nachhaltige Gestaltung unserer Erde initiieren sollten, sondern über die künstlerische Ausstattung aller Lebensbereiche auch eine Bewusstseinsbildung bewirken sollten. Ziel war es, den Blick auf das Verbindende zu lenken und zu stärken, um so die unzähligen Grenzen und Abgrenzungen zu überbrücken. Dazu gehörte die Etablierung des Namens „Terra“ für die Erde und die Entwicklung identitätsstiftender Zeichen und Symbole, um das allzu menschliche Schema Identität durch Alterität aufzulösen. Wenn man das Bewusstsein hat, „Terranier“ zu sein und nicht mehr Österreicher oder Europäer, so die Hoffnung, lösen sich die geistigen und territorialen Grenzen sukzessive automatisch auf. Es ist dieses Empfinden der Verantwortung für ein soziales und ökologisches Gleichgewicht, das die Arbeiten von Thomas Stimm und Uta Weber prägt und, das wie ein Wasserzeichen in jeder Arbeit zu finden ist. Und, es zeigt auch sehr gut deren Auffassung von Kunst als Möglichkeit, auf Entwicklungen in der Welt im Allgemeinen und in der Gesellschaft im Speziellen zu reagieren.

Idylle
Der Mensch verliert in seinen künstlichen Lebens- und Arbeitsräumen zunehmend die Beziehung zu seiner natürlichen Umgebung. Dieser Entfremdung erwächst ein Gefühl der Leere und Sehnsucht, das er durch künstliche Idyllen zu stillen sucht. Zugleich, und damit streift man wieder das weite Feld der Utopie, ist die Idylle immer auch Sehnsuchtschiffre und Kompensationsmodell für eine bessere Welt. Damit wird sie zum Gegenbild der jeweilgen Gesellschaft und zum Symptom der Verfasstheit eben dieser. Die Arbeiten von Thomas Stimm und Uta Weber reflektieren auf unterschiedliche Weise diese ambivalente Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt, in der die Natur zunehmend zur Projektionsfläche wird.
Thomas Stimm hat noch während seiner Akademiezeit begonnen, Plastiken aus Papiermaché zu machen und Situationen seiner damaligen Lebenswelt in Ton nachzubilden. Diese tönernen Momentaufnahmen und Blumen waren aufgrund des Materials anfangs noch klein im Format, doch bestand schon damals der Vorsatz, sie auf menschliche Größe zu bringen, was ihm die Technik des Alumiumgusses schlussendlich ermöglichte. Stimm abstrahiert die realen Pflanzen in universell lesbare Zeichen und unterstreicht durch die Farbgebung und Oberflächengestaltung deren Künstlichkeit. In einer Zeit, in der wir uns immer öfter und immer länger in virtuellen, künstlichen Welten aufhalten, die eine natürliche Umgebung vortäuschen, kreiert Stimm analoge Umgebungen, die eine künstliche Welt simulieren. Seine Pflanzen verführen uns auf den ersten Blick mit ihrer Sinnlichkeit und Schönheit, doch Jean Genet behauptete, dass die Schönheit ihren Ursprung in der Wunde hat, die jeder Mensch mit sich trägt. Damit könnte man konstatieren, dass die vermeintliche Schönheit der künstlichen Natur, mit der sich das Gros der Gesellschaft umgibt, die Verletzung konditioniert, die jene Abnabelung, jene Entfremdung von der realen Natur auf einer unterbewussten Ebene mit sich gebracht hat. Der Betrachter kann sich zwischen Stimms Pflanzen wie in einem artifiziellen Landschaftsbild bewegen, deren Dimension und Materialität jedoch auch verstörend wirken mag und absurde Züge annehmen kann. Doch was ist Absurdität anderes als die Umkehrung akzeptierter Normen?

Kindheit
Auch Uta Weber arbeitet mit der Vergrößerung alltäglicher Elemente aus unserer unmittelbaren Umgebung. In Referenz auf das favorsierte Naschwerk ihrer Kindheit hat sie Plastiken geschaffen, die zwischen der Idee des Readymades von Marcel Duchamp und der geometrisch-abstrakten Kunst der 1920er- und 1930er-Jahre, zwischen der seriellen Formation der Minimal Art und der Warenhausästhetik der Pop Art oszillieren.
Es war Claes Oldenburg, der Anfang der 1960er-Jahre als erster überdimensionale Plastiken verschiedenster Alltagsgegenstände anfertigte. Doch gibt es bei seinen Tortenstücken, Hamburgern und Eistüten kein Oszillieren zwischen Form und Zuschreibung, seine Eistüten sind immer klar als solche erkennbar. Nicht so bei Uta Weber. Sie hat sich in ihrer Auswahl bewusst für Formen entschieden, die sowohl als universelle Zeichen für Kaugummis und Naschwerk lesbar sind, aber zugleich auch als autonome, geometrisch-abstrakte Plastiken funktionieren. Der Impetus hinter diesen Arbeiten mag derselbe wie bei Oldenbourg gewesen sein, nämlich alltäglichen Dingen unserer Lebensumwelt, mit denen wir spezifische Erinnerungen und Konnotationen verbinden, ein Denkmal zu setzen. Das Banale wird dabei durch die schiere physische Präsenz in etwas Beeindruckendes verwandelt und gewinnt eine Schönheit, die wir im Alltag nicht beachten würden bzw. sehen könnten.
Durch die Vergrößerung der Objekte ändert sich unser Bezugsrahmen zu ihnen und wir sind gezwungen, einen neuen Standpunkt einnehmen um unser Verhältnis zum Gegenstand wieder in Einklang zu bringen. Durch diesen erzwungenen Perspektivenwechsel verändern sich die eingeübten Sehmuster und bewirken eine Verschiebung der eingefahrenen Bedeutungen, die uns nicht nur die Objekte in neuem Licht erscheinen lassen, sondern idealerweise auch unsere Wahrnehmungskonventionen nachhaltig beeinflussen.
Uta Webers plastische Arbeiten stehen auch in einer Traditionslinie mit der kalifornischen Ausprägung einer minimalistischen Kunst, die in den 1960er-Jahren mit Kunstharzen, reflektierenden Oberflächen uns starken optischen Effekten experimentierte. Künstler wie Craig Kauffman, De Wain Valentine oder Helen Pashgian, die in Europa kaum jemand kennt, schufen farbenfrohe runde und biomorphe Plastiken aus Polyesterharz. Unter Anwendung fortschrittlicher Technologien, die typisch für die Region waren, vor allem Plastik- und Industriebschichtungsprozesse, erzeugten sie malerische, optische Oberflächen auf Objekten, die sich stärker auf die Mechanismen menschlicher Wahrnehmung konzentrierten als die ihrer Kollegen von der Ostküste. Craig Kauffmann schuf unter der Verwendung von vakuumgeformten Acrylkunststoff zum Beispiel schillernde Wandobjekte, die an überdimensionale Kapseln (Medikament) erinnerten. Die makellosen, glänzenden Oberflächen dieser Objekte ließen die Trennung zwischen Malerei und Skulptur verschwinden, was auch ein wesentlicher Ansatz der Kunst von Thomas Stimm und Uta Weber ist.
Dieser Ausflug in die Geschichte sei auch deshalb erlaubt, weil die Werke von Thomas Stimm und Uta Weber nicht nur ästhetische Parallelen und strukturelle Analogien aufweisen, sondern weil auch sie sich nicht an der zeitgeistigen Diskurs-Kunst und dem Kunstmessen-Stil orientieren, sondern davon unbeeindruckt Ihre eigenen Zielsetzungen verfolgen.

Heimat
Parallel zu den skulpturalen Arbeiten entstehen auch Zeichnungen und Gemälde von Stimm und Weber, die sich durch einen naturalistischen Charakter auszeichnen, der visuelle Anleihen aus der Popkultur und dem Genre der Landschaftsdarstellung nimmt. Es ist ein von der Pop Art und den digitalen Bildtechniken beeinflusster piktografischer Stil zwischen Stilisierung und abstrakter Figuration. Uta Weber fertigt darüber hinaus auch Fotografien an, die sie digital bearbeitet und zu Objekten oder raumgreifenden Installationen weiterverarbeitet.
Die kurze Lebensdauer verbunden mit einer höchst sensiblen Oberfläche, die bei der kleinsten Berührung platzt, haben Seifenblasen zu einer idealen Metapher für das Ephemere und Vergängliche werden lassen. Die Formel vom „Zerplatzen wie eine Seifenblase“, die wir auf Traum und Illusion beziehen, ist fester Bestandteil der Alltagssprache. Umso erstaunlicher ist es, dass gerade in den 1960er-Jahren, inmitten des Kalten Krieges und am Höhepunkt des atomaren Wettrüstens, Konzepte mit biomorphen oder organischen Formen, die an überdimensionale Seifenblasen erinnern, vielfach Verwendung fanden. Pneumatische Bauten und Kapseln waren in fast jeder Großstadt gegenwärtig. Im Rückblick erscheint es, als hätten sie in einer durch die Spannung zweier Weltmächte und kriegerischer Konflikte geprägten Gesellschaft die Vision einer besseren Zukunft repräsentiert: formbar, mobil, leicht und frei von Autoritäten. Und, höchst fragil. Uta Webers Fotografien durch Seifenblasen auf unberührte Landschaften teilen diese Vision einer anderen, einer besseren Zukunft. Für einen kurzen Moment ist eine paradiesische Umwelt in einer schimmernden Membran aus Farbe und Licht behutsam eingeschlossen, um kurz darauf umso unerbittlicher zu zerplatzen. Webers Arbeiten sind Sinnbilder für die Fragilität der Hoffnung, die Vergänglichkeit der Schönheit und die Vision einer besseren Gesellschaft, und zugleich der künstlerische Versuch, der Kurzlebigkeit entgegenzuwirken und jenen flüchtigen Moment dauerhaft festzuhalten.

Die Arbeiten von Thomas Stimm und Uta Weber nehmen uns weit mit in die Vergangenheit, zu den Vorstellungswelten unserer Kindheit und Jugend, die viele von uns als Zeit der Unbeschwertheit und Leichtigkeit des Seins in Erinnerung behalten dürfen. Es ist die Zeit der Kindheit, in der wir das erste Mal mit einer Utopie konfrontiert werden, die wir ein Leben lang zu erreichen trachten und die Ernst Bloch am Ende seines Prinzips Hoffnung so einfach und prägnant beschrieben hat als „etwas das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

Roman Grabner, 2015

Thomas Stimm zitiert nach: Thomas Stimm, Outsite. Ausst.-Kat. MUMOK. Wien 2010, S. 49. Italo Calvino, Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend. Harvard-Vorlesungen. München / Wien 1981. Vgl. Gregory Claeys, Ideale Welten. Die Geschichte der Utopie. Darmstadt 2011. "An der Schönheit ist nur die Wunde ursprünglich, die jeder Mensch in sich hütet, einzigartig, für jeden verschieden, sichtbar oder versteckt - die er wahrt und zu der er sich zurückzieht, wenn er die Welt für eine vorübergehende aber tiefere Einsamkeit verlassen will." Jean Genet, Alberto Giacometti, Zürich 1962, S.6. Polyesterharz kam 1966 auf den amerikanischen Markt. Die Künstler der Westküste wurden in einer Zeit, in der eine streng-minimalistische Ausrichtung den Kunstdiskurs dominierte, in der die Farbe des Materials den Charakter des Werkes bestimmte und die Arbeit gemäß Frank Stellas Diktum „what you see is what you see“ auf keine bildexternen Inhalte mehr verweisen durfte, weitgehend ignoriert.

Ernst Bloch, Werkausgabe: Band 5: Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt/Main 1985, S. 1628.