press release only in german

Essen. Die Villa Hügel in Essen, einst Wohnhaus der Familie Krupp, hat sich einen weit über die Region hinausweisenden Namen in der Kulturlandschaft Nordrhein-Westfalens gemacht. Neben der Präsentation bedeutender Werke Alter Meister sind es die großen kulturhistorischen Projekte, die das Publikum in ihren Bann ziehen. Einen Schwerpunkt bildet dabei Kunst und Kultur Zentral- und Ostasiens.

Vor dem Hintergrund dieser Tradition bereitet die Kulturstiftung Ruhr ein einzigartiges Projekt vor: Im Brennpunkt stehen Tibet und seine unbekannten Klosterschätze. Vom 19. August bis zum 26. November 2006 zeigt die Villa Hügel eine Vielzahl von bis zu 1500 Jahre alten religiösen Kunstwerken aus den Schatzkammern tibetischer Klöster, die größtenteils das Land noch nie zuvor verlassen haben – und präsentiert damit die erste Großausstellung dieser Art in Europa. Die Staatlichen Museen Berlin planen eine anschließende Übernahme.

Rund 150 Exponate – von lebensgroßen Skulpturen über Gemälde und vielgestaltige Mandalas bis hin zu Schreinen, Tempeldekor und Altargerät - machen die stilistische Bandbreite der Kunst in Tibet erfahrbar und geben zugleich einen Einblick in die buddhistische Kultur der Tibeter.

Untrennbar ist die tibetische Kunstgeschichte verbunden mit der geistig-religiösen Geschichte dieses Landes auf dem „Dach der Welt“, dessen Name für die rational geprägte Gesellschaft den Zauber einer magischen Formel ausstrahlt und als Symbol geheimen Wissens um Sinn und Ziel des Daseins gilt. Mit gutem Grund: In wohl kaum einem anderen Land der Erde ist die Überzeugung von der Richtigkeit und seelischen Wirksamkeit des Glaubens über Zeitläufe hinweg so tief und konstant im Bewusstsein ihrer Bewohner verwurzelt und so bestimmend für ihr Leben wie in Tibet. Das geht allein daraus hervor, dass bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts mehr als 300.000 Mönche in rund 3.000 Klöstern lebten – fast ein Viertel der männlichen Bevölkerung. Der Buddhismus ist die Substanz tibetischer Identität, und jegliches Kunstschaffen war immer Ausdruck dieser Haltung.

Die Kunstwerke haben ihren Ursprung zum Teil auch in Indien, Nepal, Burma, Kaschmir und China – Länder, zu denen Tibet rege Beziehungen unterhielt. Zwischen dem 5. und dem frühen 20. Jahrhundert von meist anonym gebliebenen Künstlern geschaffen, dienen sie auch heute noch in den Klöstern Tibets als Ritual- und Kultobjekte. Sie sind bis heute ein lebendiger Teil der tibetischen Kultur und werden von Laien und Klerus gleichermaßen verehrt. Das macht, neben Formvollendung und Pracht, ihr Wesen aus. Damit präsentiert die Ausstellung nicht nur Kunstschätze von hohem Wert und exotischer Schönheit, sondern auch das Selbstbewusstsein eines Volkes, dass uns sein kulturelles und geistiges Erbe anvertraut.

Der Weg zur Realisierung der Tibet-Schau in der Villa Hügel ist von außergewöhnlichen Erfahrungen und Erlebnissen geprägt: Nachdem die Kulturstiftung Ruhr die Entscheidung getroffen hatte, erstmals in Deutschland Kunst aus Tibet zu zeigen, die sich auch heute noch dort befindet, wurde zunächst Kontakt zur chinesischen Botschaft in Berlin als Vertreterin der Autonomen Region Tibet in Deutschland aufgenommen, die ihre Bereitschaft signalisierte, das Projekt zu unterstützen. Unmittelbare Folge war eine Delegationsreise der Kulturstiftung Ruhr nach Tibet, in deren Rahmen Univ. Prof. Dr. Jeong-hee Lee-Kalisch, Professorin an der Abteilung Ostasien des Kunsthistorischen Instituts der Freien Universität Berlin und Kuratorin der Ausstellung, Gelegenheit erhielt, in Museen, Palästen und Klöstern zahlreiche herausragende Stücke buddhistischer Kunst von höchster Qualität zu sehen.

Dass Prof. Lee-Kalisch und ihre Mitarbeiter aus diesem Fundus dann auch schon vor Ort wichtige Stücke für Essen auswählen konnten, ist nicht zuletzt dem Entgegenkommen der Mönche in den Klöstern zu verdanken. Obwohl ihnen das Prinzip Kunstausstellung und das damit verbundene Verständnis von autonomer Kunst fremd ist, zeigten sie Interesse, die monastischen Schätze einem großen Publikum zugänglich zu machen – gleichsam als Chance einer kulturellen und spirituellen Mission.

Und so gehören die Klöster Sakya, Tashi Lhunpo, Gyantse Palkhor Chöde, Shalu und Mindroling neben dem Potala-Palast in Lhasa mit seiner schier unermesslichen Sammlung, dem ehemaligen Sommerpalast der Dalai Lamas – Norbulingka –, dem Tibet-Museum und dem Yarlung-Museum in Tsethang zu den wichtigsten Leihgebern der Villa Hügel.

Um all den vielfältigen Aspekten tibetischer Kunst Geltung zu verschaffen und eine Idee davon zu vermitteln, wie sich der Buddhismus in der Kunst widerspiegelt, wird die Ausstellung thematisch gegliedert:

Einen ersten Schwerpunkt – und ganz gewiss auch einen der Höhepunkte – bildet eine an Lebendigkeit und Vollkommenheit gleichermaßen unübertreffliche Skulpturengruppe: Zehn annähernd lebensgroße, ins frühe 16. Jahrhundert datierte Bronzeportraits von Meistern der Sakya-Schule.

In Anlehnung an die „Sechs Objekte der buddhistischen Zuflucht“ – 1) Buddha, 2) Dharma, 3) Sangha, 4) Lama, 5) Yidam sowie 6) Dakini zusammen mit Dharmapala – wird der Besucher in einem zweiten Themenkomplex anhand unterschiedlichster Darstellungsformen in die Welt der tibetischen Gottheiten und Lehrmeister eingeführt. Glanzpunkte in dieser Gruppe sind eine große Skulptur des Tausendarmigen Avalokitesvara mit einzeln gearbeiteten Händen, ein außergewöhnlich gut erhaltenes indisches illuminiertes Manuskript aus dem 11. Jahrhundert sowie die zum Teil uralten, kunstvoll gemalten, gestickten oder gewebten Rollbilder, sogenannte Thangkas.

Ein drittes Ausstellungskapitel widmet sich dem Mandala – heiliger Kreis des tantrischen Buddhismus, der den Makrokosmos des Universums mit dem Mikrokosmos der menschlichen Erfahrungen verbindet. Die optischen Ausformungen dieses Gedankens sind mannigfaltig: figurativ oder zeichenhaft, gemalt, geschnitzt, in Bronze gegossen – oder etwa aus 21 hölzernen Ritualdolchen geformt, die ihrerseits die Gottheiten eines Mandalas darstellen.

Einblicke in den Alltag der Religionsausübung gibt der vierte Block: eine Zusammenstellung von Insignien und Gebrauchsgegenständen religiöser Herrscher Tibets, Schreinen und Altargerät, Ritual- und Weihegegenständen, Tempeldekor sowie Musikinstrumenten und Tanzmasken. Hier finden sich fein ziselierte Amulettkästchen neben schlichten Votivbildern aus Ton, Gebetsmühlen und Teeschalen, Opferschalen, Butterlampen und wertvolle Wandbehänge.

Der fünfte Abschnitt der Ausstellung schließlich befasst sich mit tibetischer Medizin, die in ihrem ganzheitlichen Ansatz in einem engen Zusammenhang mit der Kultur und der Religion des Landes steht. So illustriert eine Serie von Thangkas das medizinische Handbuch „Die vier Tantras“.

Das besondere Verdienst der Ausstellung ist es, die Kenntnis tibetischer Kunst, die bislang in erster Linie auf Stücken aus westlichen Privatsammlungen basierte, um den Blick auf die in Tibet verbliebenen Werke zu erweitern und so ihren geistigen Hintergrund zu erhellen. Außerdem wird wissenschaftliche Pionierarbeit geleistet: Viele der gezeigten Stücke sind bislang unpubliziert und werden erstmals einer ausführlichen wissenschaftlichen Bearbeitung unterzogen. Sie werden erfasst, entziffert, chronologisch eingeordnet und interpretiert – ein Prozess, der dem Schutz einmaliger Kunstschätze und damit auch der Pflege eines bedeutsamen kulturellen Erbes dient.

Pressetext

only in german

TIBET - Klöster öffnen ihre Schatzkammern
Organisation: Kulturstiftung Ruhr
Kooperation mit den tibetischen Kulturbehörden und den Mönchen in den Klöstern vor Ort
Kuratorin: Jeong-hee Lee-Kalisch

Stationen:
19.08.06 - 26.11.06 Villa Hügel, Essen
Februar 2007 - Mai 2007 Museum für Ostasiatische Kunst, Berlin