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In der Ausstellung TON SCHERBEN STEINE zeigt die Thomas Rehbein Galerie eine Auswahl skulpturaler Werke verschiedener zeitgenössischer Künstler. Den Positionen gemein ist die Verwendung spezifischer Materialien, die im Titel – der provokative Impuls einer altgedienten deutschen Rockband schwingt hier mit - programmatisch proklamiert werden. Aus dem „Ton“, der wie Porzellan und Steinzeug zu den keramischen Massen zählt, wird der „Scherben“ – als Vorform oder Rohling – geschaffen. Auch der „Stein“ ist mit Werken aus edlen Sorten wie Marmor und Alabaster im Ausstellungskontext vertreten. Zugleich unterbricht der „Scherben“ - als Bruch- oder Teilstück - die Werkstoffreihe und führt einen störenden Aspekt ein, mit dem die Brüchigkeit der Exponate betont wird, eine Brüchigkeit, die neben der materiellen Beschaffenheit auch ihre Formgebung und inhaltliche Aussagekraft berührt. So offenbart sich vor allem im Kontrast zwischen Figürlichem und Fragmentarischem das spannungsvolle Konzept der Schau.

Oft erscheinen die präsentierten Werke „unvollkommen“, sind vom Herstellungsprozess „gezeichnet“, tragen Fehlstellen zur Schau oder behaupten demonstrativ ihren Rohzustand. Entsprechend dazu wird in der Darstellung des Körpers und dem Gegensatz von ganzheitlicher Gestalt und isolierten Körperteilen ein Menschenbild verhandelt, welches fragil und verletzlich ist. Von diesem ausgehend scheint sich zugleich ein Bruch mit der klassischen Bildhauerkunst zu vollziehen. Das propagierte Ideal, die Erfüllung der geistigen Idee durch Beherrschung beziehungsweise Sublimierung des Materials anzustreben, wird hier konterkariert und findet in anatomischen Ausschnitten und flüchtigen formalen Andeutungen Ausdruck. In diesem Zusammenhang lassen sich die Werke einerseits als experimentelle Gegenentwürfe zur gestalterischen Vollkommenheit begreifen. Andererseits manifestiert sich im Gebrochenen, aber auch Zweideutigen, Gespaltenen ein universelles Dilemma, die Dualität des Daseins zwischen Körper und Geist, Leben und Tod.

In ihren Portraits aus Alabaster, von der Künstlerin selbst „mentale Skulpturen“ bezeichnet, kontrastiert SOFIE MULLER (* 1974, B) Fragilität und Verletzlichkeit mit Integrität und Stabilität. Porös und löchrig erscheint der Stein, aufgrund der Ebenmäßigkeit und Reinheit seiner Oberfläche gemeinhin als Sinnbild einer makellosen Haut bekannt. Bei Muller hingegen weist er Verunreinigungen, Einschlüsse, Löcher, Risse, Bruchkanten auf. Diese sind Ausgangspunkt für gestalterische Entscheidungen, dabei ist die offensichtliche Fehlerhaftigkeit ein Zustand, den Muller in ihrem Werk vielfach nachspürt und mit existenziellen Befindlichkeiten verbindet. Thematisch orientiert sich Muller an der menschlichen Verfasstheit zwischen Vergänglichkeit und Verfall, wobei die Versehrtheit des verwendeten Materials von (oft auch gewaltsamen) Eingriffen in die Integrität des Individuums zeugt. So wie der Stein porös und durchlässig ist, so sind Leib und Seele anfällig für Störungen und Traumatisierungen.

Wenige Eingriffe in die weiche Tonmasse genügen, um das Material in die Form zu überführen. Wie eine Skizze, flüchtig und spontan aus wenigen Strichen angelegt, wirken die Tonfiguren des Malers ROBERT HAISS (*1960, D). In freien Zügen modelliert, sind wesentliche Merkmale einer Haltung oder Gestalt leicht und mühelos eingefangen. Trotz der rudimentären Anmutung ist die lässige Pose eines Jugendlichen im wattierten gelben Anorak unverkennbar, genauso vertraut erscheinen ein Sitzender mit flatternden Gehrockschößen und eine Figur mit salopp umgedrehter Baseballkappe in sportlicher Bewegung. Es sind Protagonisten des öffentlichen Raums die Haiss hier auf 4 Podesten versammelt. An keine Zeit gebunden bevölkern Kids in Streetwear und kosmopolitische Flaneure urbane Grünflächen und Gehwege. Die Umrundung der Kleinplastiken und die damit einhergehende Verlagerung der Perspektive lässt den Kontrast zwischen Form und rohem Material aufscheinen. Das soeben erkannte Merkmal, die charakteristische Form, die Halt und Sicherheit in der Betrachtung gibt, verschwindet plötzlich hinter kaum bearbeiteten, rüde angedeuteten, schrundigen Partien, um einen Schritt weiter wieder aufzutauchen. Geformtes und ungeformtes existieren nebeneinander, Schau- und Kehrseite ergänzen sich.

Auch die aus feinstem Biskuitporzellan gefertigten Plastiken von JARED BUCKHIESTER (*1977, USA) widmen sich der „Kehrseite“. Ausgehend von Abdrücken aus Gips, mit der zur Herstellung einer Portraitbüste das Gesicht abgeformt wird, formt Buckhiester diese Matrize, die oft als „verlorene Form“ entsorgt wird, erneut ab und lässt sie in hochwertigem Material gießen. Das körperhafte Bildnis, das Positiv bleibt aus, stattdessen wird die negative Hohlform originalgetreu - bis hin zur Ausführung der rauhen Gipsoberfläche - reproduziert. Buckhiesters Darstellungen konzentrieren sich auf Jugendliche, die den Machtgefügen und Zwängen von Gruppen erlegen sind. Durchströmt von latenter und sexuell konnotierter Gewalt, sind ihre Protagonisten repressiven Mechanismen ausgesetzt und in grotesken Rollenspielen gefangen. Die gnadenlose Zuordnung in Gewinner und Verlierer, an den Leistungsmaximen von Schule und Sport orientiert, lässt auch der kräftige Arm aus Alabaster erahnen. Sowohl der erfolgreiche Athlet als auch der despotische Peiniger findet in diesem Bild Eingang.

ELMAR TRENKWALDERS (*1959, A) Plastiken aus farbigem und glasiertem Steinzeug zeugen von einer schier ungebändigten Formenfülle. Der Künstler schöpft aus der unmittelbaren Begegnung mit dem Material, die sinnliche Berührung gebiert wollüstig gestalterische Wucherungen. Die Grundform der ausgestellten Werke mutet architektonisch an und deutet mitunter eine bestimmte Funktion an, so dass hier der Vergleich mit einem Altaraufsatz und dort mit einer Siegessäule naheliegt. Jedoch wird in der näheren Betrachtung jegliche Zuordnung hinfällig. Die vermeintlich klare Gliederung weicht hinter der dichten, undurchdringlichen Ausgestaltung ihrer Schmuckelemente zurück. Nicht die streng reduzierte Linie, die der Form eine klare Kontur gibt, sondern der aufgebrochene, spielerisch geschwungene Umriss, die organische Öffnung der Oberfläche für Metamorphosen und Mutationen, prägt das Erscheinungsbild. Der schwelgerische Stil, der an die Erzeugnisse des Barock und Manierismus erinnert, lässt die Grenzen zwischen Anatomie und Architektur durchlässig werden und verschränkt in sinnenfreudigen Kombinationen Gliedmaße und Geschlechtsteile mit Gebäudeelementen. In diesen schöpferischen Phantasien, die ihre eigene Produktivität zu thematisieren scheinen, verschmelzen Ornament und Form zu einer untrennbaren Einheit.

Die Skulpturen von JOHAN TAHON (*1965, B) folgen keiner einheitlichen Figurauffassung. Von unregelmäßiger Form und aus heterogenen Einzelteilen zusammengefügt, wirken sie wie bildhauerische Collagen. Trotz der Anmutung menschlicher Gestalt ist der Gesamteindruck bestimmt durch die wenig passgenaue Zusammenführung der Elemente. Die Übergänge zwischen den disparaten Teilstücken treten bisweilen scharfkantig hervor, wie Schweißnähte eines Werkstücks aus Metall. Eine weiße Glasur ergießt sich über sie wie ein milder milchiger Schleier, wodurch Brüche kaschiert werden. Es sind Konstruktionen von Menschen, die uns Tahon vorführt, keiner anatomischen Genauigkeit folgend, sondern bildhauerischen Überlegungen und Problemstellungen nachgehend. Oft ist den Figuren ein zarter, lieblicher Gesichtsausdruck eingeschrieben, der in fast schmerzhaftem Kontrast zu ihrem blockhaften Unterbau steht, wuchtig wie ein Baumstumpf oder Thron. Im Gegensatz zur klassischen Skulptur, die der Schwere des Materials durch eine Leichtigkeit der Bewegung beizukommen suchte, scheint Tahon das Gegenteil zu demonstrieren: Die Schwerkraft stört den grazilen Schwung und überführt ihn in die Starre. Und tatsächlich scheinen Tahons Figuren in ihrer Zerrissenheit den bildhauerischen Konflikt zwischen (Ab)geschlossenheit und Offenheit der Form zu wiederspiegeln.

Die Kunst von LEIKO IKEMURA (*1951, D, JP) ist geprägt von variantenreichen Erscheinungsformen und hybriden Wesen. Ob auf Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen und Aquarellen, stets durchdringen sich in ihren Bildwelten animalische und anthropomorphe Gestalten. Katzen, Vögel, Mädchen mischen sich und ergeben zauberhafte Figuren wie Hummingbird Head (2006). Auch die Grenzen zwischen Lebewesen und Landschaft sind fließend. Ikemuras Skulpturen erscheinen oft zunächst wie amorphe Anhäufungen, einem Erdklumpen ähnlich, der bei näherer Betrachtung Form annimmt. Leicht konisch zugespitzt, verwandelt sich die Umrisslinie bisweilen in eine Bergkuppe oder Portraitbüste. Der Blick erkennt ein Gesicht, flüchtig in die Oberfläche eingeritzt und kaum mehr als eine abstrakte Anordnung von Rissen oder Furchen im Material. Ein universelles Wesen scheint alle Formen zu beseelen. Dieser Universalgeist kennt keine Trennung zwischen Mensch, Tier und Landschaft. Ikemuras Katzenfrauen und Vogelmädchen sind Verkörperungen einer sich ewig transformierenden schöpferischen Energie und repräsentieren damit auch den ewigen kreativen Kreislauf zwischen Werden und Vergehen.

Den Werken von GERT UND UWE TOBIAS (*1973, D) wohnt ebenfalls eine zeitübergreifende Qualität inne. Sie speist sich aus den heterogenen Vorlagen die Eingang in das Werk finden: Farbenfrohes folkloristisches Formengut und plakative Pop Art, Schreibmaschinenlettern und Surrealismus, Klischees und Kunstgeschichte, Märchen und Mythen. Figuren und Vorbilder sind durch die künstlerische Fantasie verfremdet und entfalten in den Werken ein assoziatives Potenzial, das, wie im Traum, Ambivalenz und Anarchie freisetzt. Ein riesiges Bein ist übersäht mit Ausstülpungen, die an Astlöcher erinnern. Der Fuß, teils unförmiger Klumpen, teils spitze Klaue lässt die Unterscheidung zwischen Mensch oder Tier kaum zu. Vielmehr legen die überlebensgroße Dimension und die monströse Gestalt das Ungeheuerliche nahe. Dagegen verführt die Oberfläche mit einem kostbaren Schmelz, der, matt und von goldenen Einschlüssen durchbrochen, die Lust an der handwerklichen Vielfalt zum Ausdruck bringt, die das Werk von Gert und Uwe Tobias maßgeblich mitbestimmt.