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Eröffnung der Ausstellung Freitag, 23. Oktober, 2009, 20 Uhr Es sprechen Dr. Yilmaz Dziewior, Direktor Kunsthaus Bregenz Dr. Rudolf Sagmeister, Kurator Kunsthaus Bregenz              

Ein neues Multimediaprojekt des KUB von Tony Oursler Tony Oursler hat »LOCK 2,4,6« über mehrere Jahre hinweg gemeinsam mit dem Kunsthaus Bregenz entwickelt, wobei die Installationen für das von Peter Zumthor geplante provokative Gebäude und seine Ausstellungsräume entworfen und von diesen angeregt wurden. Mit Dan Lloyd, Professor für Philosophie am Trinity College in Hartford, Connecticut, hat der Künstler musikalische Kompositionen geschaffen, die auf funktionellen MRT-Daten (Magnetresonanztomografie) psychologischer Tests verschiedener Personen beruhen.

Die Installation zielt darauf ab, eine Kette von Ereignissen, von festgehaltenen Augenblicken zu erfassen, die verschiedene Systeme epistemologischer, gesellschaftlicher, anatomischer und sprachlicher Art verzahnen. Monologe, Rituale und Inszenierungen werden auf Video aufgezeichnet und in dreidimensionalen Projektionen wiedergegeben. Diese Verbindung von bewegtem Bild und plastischen Medien findet in geloopten Handlungen ihren Ausdruck, die sich durch die Ausstellungsräume ziehen. Insgesamt vermittelt sich ein Eindruck des Versinkens, das Gefühl, in einem unheimlichen System gefangen zu sein, das in einem nie endenden Kampf um ein nicht herstellbares Gleichgewicht gegenüber der Verwirrung von Input und Output, von Antrieben, Zwängen und Wesensinhalten, nach Selbstregulation strebt – das Gefühl eines zum Scheitern bestimmten Unterfangens. Die Betrachter werden Teil des Werks und des analytischen Prozesses, indem sie sich von einem Element zum anderen bewegen und den Fluss von Ursache und Wirkung über die verschiedenen Ebenen hinweg nachvollziehen.   Im Erdgeschoss beginnt Oursler mit einer einfachen kausalen Prämisse: Haben wir daran gedacht, das Licht auszuschalten? Die meisten verdrängen diesen komischen nagenden Gedanken, der uns üblicherweise verfolgt, auch wenn er dem Betrachter einen Zugang zur Besessenheit des Geistes eröffnet und eine neue Perspektive erschließt. Obgleich der Zwang, umzukehren und nachzusehen, ob der Raum auch dunkel ist, den meisten normal erscheint, macht nur eine von fünfzig Personen tatsächlich kehrt und dreht das Licht immer wieder an und aus. Oursler untersucht fließende Gesten, alltägliche mikrokosmische Handlungen wie das Betätigen eines Schalters durch einen Finger, die er als Zugang zu größeren Problemen und Ideen versteht.

Die Entscheidung, einen Stromkreis zu schließen, der einen Faden in der Projektion einer riesigen Glühbirne zum Leuchten bringt, wird humorig bis zu einer winzigen Ladung zurückverfolgt, die durch eine Synapse im Gehirn ausgelöst wird. Ein und Aus, Licht und Dunkel sind im Werk des Künstlers häufig vorkommende Themen und entsprechen Veränderungen seelischer und körperlicher Zustände, sind Zufallsoperationen, primäre Eigenschaften der Quantenphysik wie eines umfassenderen menschlichen Kampfes. Die Betrachter werden auf ihrem Weg durch die Installation Stroboskoplicht ausgesetzt, mit dem es ein abruptes Ende hat, wenn die Glühbirne explodiert und es dunkel wird, bevor sie sich in einer Endlosvideoschleife wieder zusammensetzt.

Der Künstler hat eine Art innere Logik entwickelt, welche die Steuerung auf jeder Ebene des KUB bestimmt. Während im 3. Stockwerk die Fernbedienung regiert und körperliche oder haptische Steuerung das 2. Stockwerk beherrscht, steht der 1. Stock im Zeichen zwanghafter, risikobereiter und zufälliger Kontrolle – ist also außer Kontrolle. Nach oben und nach unten strömende Internetbilder, Botschaften, widerhallende Stimmen und phänomenologische Prozesse verbinden die verschiedenen Ebenen und führen zu deren wechselseitiger Kontamination.  

  Flüssigkeiten unbestimmbarer Qualität ergießen sich nach unten, Kaskaden ursprünglicher elektrischer Impulse und Befehle stürzen herab, Totems von Bildern und Videos stapeln sich in bedenklicher Weise vom Boden bis zur Decke, Ziegel und Mörtel türmen sich auf und fallen in sich zusammen, und ununterbrochen steigen gespenstische Rauchsäulen auf.

Wer wird wodurch gesteuert? Fernsteuerung unterstellt nicht nur Genauigkeit und Entschlossenheit, sondern auch Beherrschung der Technologie und des Schicksals. Im 3. Stockwerk betätigt ein Finger den Knopf einer nicht klassifizierbaren Vorrichtung und löst verschiedenste Wirkungen aus. Die Übertragung eines unsichtbaren Signals lässt einen Ort psychischer Impulse sowie störender Gedanken und Projektionen entstehen und ein Netz der Fernsteuerung von außen erkennen. Die Besucher, die sich einem virtuellen Chor lebensgroßer Videoprojektionen von Frauen gegenübersehen, werden ersucht, zu einer Reihe von scheinbaren Testfragen und poetischen Verkündigungen Stellung zu beziehen. Die Verbindung dieser und anderer Darbietungen spiegelt auf humorvolle Weise unterschiedliche Ansätze der Kategorisierung des Bewusstseins von Freud bis zur MRT-Technologie wider. Der Künstler beschreibt Bewusstsein als undifferenziertes System von Mäandern eines Nebeneinanders von Bildern, Handlungen und Sprache, elektronischen Geräten, neurologischen Diagrammen, Masken, MRT-Animationen, Tapeten und einer Flasche, aus der ständig Flüssigkeit rinnt. Diese lässt an verschiedene Arten der Betäubung, sich selbst auslösende psychologische Belohnungssysteme, Endorphinflüsse und das Bandenritual denken, jenen Alkohol darzubringen, die schon »abgedankt« haben, und ist ein Maß der Zeit, Zeichen eines ohne Unterlass von der Schwerkraft nach unten gezogenen Lebensflusses.        

Das 2. Stockwerk ist als Sinnesorgan konzipiert und reflektiert die Rolle der Haut. Hier steht die körperliche oder haptische Steuerung im Vordergrund. Finger, Geschlechtsorgane, Hände und Mund vollführen von – gesunden und weniger gesunden – Bedürfnissen regulierte Rituale. Hände bestimmen Zustände von Sauber- und Schmutzigsein, angenehme und unangenehme Gerüche, Verseuchung und Dekontamination und vermitteln zwischen beiden Seiten. Auch hier trifft man auf das Motiv des Behälters als Ersatz für Körper und/oder Organe und/oder psychische Funktionen: es wird mit antibakteriellem Säuberungsmittel, flüssiger Seife, Parfüm und einem mit Gas gefüllten Feuerzeug hantiert, die jeweils zusammengepresst und malträtiert werden. Auf dieser Ebene geht es um den Austausch zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit, wie er in der durchlässigen Natur der Haut und dem unerklärlichen Drang, einzudringen und durchdrungen zu werden, zum Ausdruck kommt. Indem wir einen ständigen Stoffwechsel zwischen Innen und Außen und Außen und Innen vollziehen, werden wir eine Mischung von beidem. Der Körper wird ebenfalls als Dualität, als Objekt erfahren: Man berührt seine eigene Hand und hat subjektiv das Gefühl, berührt zu werden. In der Installation ergibt sich aus den Teilen kein einziges Geschöpf. Im 2. Stockwerk setzt dem Betrachter die Projektion eines Chors farbenprächtiger Dragqueens zu, welche mit ihrem »you never had a good image of your self« (du hattest nie ein gutes Bild von dir selbst) die Wandelbarkeit von Identität betonen. Das »Individuum« wird entweder in Chören als Mannigfaltigkeit oder als Personifizierung lebloser Gegenstände wie eines Schlüssels oder von Blumen dargestellt oder in Einzelteile wie Finger, Augen oder Lippen zerlegt, um entstehen zu lassen, was der Künstler als zeitgenössischen Zustand ansieht: ein Feld der Undifferenziertheit.

Das 1. Stockwerk ist eine von Chaos bestimmte Ebene, ein horizontales Terrain für Aktivitäten, die sich der Kontrolle entziehen. Der Raum wird von einer Reihe von Rubbellosen, einer nackten Glühbirne, brennenden Zigaretten und der sich in trostlosem Licht zeigenden Fußsohle einer liegenden Figur bestimmt, die im besten Fall schläft. Die Zigarette ist ein dunkles Objekt der Transformation, das Materie zu aufsteigendem Rauch werden lässt, faszinierend in ihrer Noir-Schönheit, doch auch auf von Regierung und Industrie geförderten Drogenkonsum und -tod verweisend. Projektionen riesiger Rubbellose, die in einem schlichten Spiel des Zufalls gleichzeitig entstellt und lesbar werden, säumen die Wände. Hier bricht die Maschinerie zusammen, und die Schwerkraft gerät mit der ausgegossenen Flüssigkeit in Konflikt, wodurch sich eine gewaltige spritzende Fontäne der Willkür ergibt. In scharfem Gegensatz zu dem verstörenden Thema und der Landschaft der auf dieser Ebene weniger radikalen Suchtformen findet sich der Betrachter mit einem Chor von Schreien einer Gruppe unschuldig aussehender Kinder konfrontiert. In der Projektion der Dokumentation der akribischen Arbeit eines Maurers entsteht Ziegel für Ziegel eine virtuelle Wand. Kleine Einheiten finden ihren Platz, und wir werden Zeugen eines unablässigen schrittweisen Bauprozesses: des vergeblichen Versuchs, Gleichgewicht herzustellen. Da der Prozess des Aufbauens von unten nach oben schließlich kein Ende hat, bleibt auch hier das Streben nach Selbstregulation bestimmend. »Das maßgebende Verständnis des Gehirns beruht auf der Vorstellung, dass gewisse seiner Regionen spezialisierte Aufgaben der Informationsverarbeitung haben und die Ergebnisse ihrer analytischen Tätigkeit überall sonst hin senden (man spricht manchmal von einem ›globalen Arbeitsraum‹). Sowohl Flüstern als auch Summen sind für diese neurale Aktivität treffende Metaphern. Die Texte entsprechen perfekt der fremden Vertrautheit der Gehirntätigkeit. Die einander überlagernden Spuren nehmen sich wie verschiedene Stimmen aus, die man im Kopf belauscht. Stünde man in sensorischen oder motorischen Regionen in der Nähe einer Tür, würde man weniger Kanäle, eine weniger dicht geschichtete Klanglandschaft hören. Doch im Zentrum geschieht alles auf einmal, und das immer – diese Klanglandschaft wäre dicht geschichtet.« * Constance DeJong  

KUB Billboards Tony Oursler LOCK 2,4,6 05 | 10 | 2009 – 17 | 01 | 2010 Begleitend zur laufenden Ausstellung »LOCK 2,4,6« im Kunsthaus Bregenz hat Tony Oursler sechs Standbilder aus seinen aktuellen Werkzyklen für die KUB-Billboards ausgewählt. Jedes der sechs Billboards misst 332 x 332 cm und trägt somit auf einer Gesamtfläche von 66 Quadratmetern die Botschaft des Künstlers in den Außenraum. Mit den stark farbigen Nahaufnahmen von Menschen, die alltägliche Konsumartikel wie Fernbedienungen, Rubbellose oder Flüssigseife benutzen, zeichnet Oursler ein Bild der gegenwärtigen Konsum- und Mediengesellschaft.              

Tony Oursler, geboren 1957 in New York, lebt und arbeitet in New York. 1979 California Institute for the Arts, B.F.A.; 1977 Gründung der Punk-Band “Poetic” mit Studienfreund Mike Kelley und John Miller. Ausstellungen (Auswahl): Kunstmuseum Bonn (2007); Centre Pompidou, Paris; Whitney Museum, New York (2006); Tate Liverpool (2004); Landesmuseum Joanneum, Graz (2003); Jeu de Paume, Paris (2005); Hirshhorn Museum, Washington D.C. (1998); Museum of Modern Art, New York (1995). Der Fotograf, Video- und Installationskünstler ist besonders für seine “Dummies” bekannt, also Gesichter und Körper, die auf ausgestopfte Objekte projiziert werden und die den Besucher mit ihren theatralischen Monologen konfrontieren.

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Tony Oursler LOCK 2,4,6
Kurator: Rudolf Sagmeister